Am 23. September 2011 machte die HP-Aktie etwas, was bei ihr nicht üblich ist: einen Sprung nach oben. Grund für das kleine Börsenbeben war ein Abgang erster Klasse: Nach nur elf Monaten Regentschaft musste Léo Apotheker seinen Stuhl als CEO räumen. Unglückliche Kommunikation der Firmenziele nach innen und außen, unkalkulierbare Strategiewechsel und ein in knapp einem Jahr halbierter Börsenwert waren mehr, als das HP-Direktorium und die Anteilseigner noch ertragen mochten.
Aufruhr und Chaos
Jetzt soll Margaret ("Meg") Whitman, die Ebay zum Erfolg geführt und später vergeblich versucht hat, Gouverneurin von Kalifornien zu werden, HP zurück auf die Erfolgsstraße führen. Was auf sie zukommt, macht IDC-Analyst Crawford Del Prete deutlich: "Whitman erbt ein Unternehmen, das eine beispiellose Periode von Chaos und Aufruhr durchlebt hat."
Grund für diese nicht schmeichelhafte Zustandsbeschreibung des nach Umsatz größten IT-Unternehmens der Welt waren auch Entscheidungen, die Apotheker in den letzten Monaten seiner Regentschaft getroffen hatte. Im Februar 2011 kündigte der ehemalige SAP-Chef in San Francisco unter großem Trommelwirbel an, im Sommer werde HP die Früchte der 1,2 Milliarden Dollar teuren Palm-Akquisition ernten und einen mit dem Palm-Betriebssystem WebOS ausgestatteten Tablet-Rechner auf den Markt bringen. Apple könne sich warm anziehen. Im Übrigen würden ab 2012 HP-PCs mit eben diesem Web-OS ausgestattet. Apotheker sprach auch von der künftigen Cloud-Computing-Ausrichtung von HP, doch das ging vor diesem Hintergrund unter.
Gerücht: Oracle will HP kaufen |
Knapp eine Woche, nachdem das HP-Board Margarete Whitman zur Nachfolgerin von Léo Apotheker ernannte, kursierte ein spektakuläres Gerücht: Nach Informationen, die die Finanznachrichtenagentur Bloomberg streute, soll Oracle "informell erwogen" haben, mit einer Kaufofferte an HP heranzutreten. Diese Botschaft stammt laut Bloomberg aus dem Umfeld von Oracle. Eine Quelle wurde nicht genannt. Die Quelle aus dem Oracle-Umfeld soll nach diesen Informationen allerdings weiter ausgedrückt haben, dass ein entsprechendes Angebot jedoch in absehbarer Zeit unwahrscheinlich sei. Die abrupte Trennung von Apotheker und die sofortige Inthronisation von Whitman sei mit diesen angeblichen Kaufabsichten begründet worden. Der Aktienkurs von HP pendelte zum Ende der Amtszeit Apothekers auf einem fast schon historischen Tiefstand. Deshalb habe das Direktorium von Hewlett-Packard Angst gehabt, Oracle könne diese Situation nutzen, um den Konkurrenten zu übernehmen. |
Alle Versprechen Makulatur
Ein halbes Jahr später waren alle Ankündigungen Makulatur. Ohne den Chef der Personal Systems Group, Todd Bradley, vorher eingeweiht zu haben - erst drei Tage vor der offiziellen Verlautbarung eröffnete Apotheker dem PSG-Chef die Neuigkeiten beim Abendessen -, teilte der HP-CEO einer irritierten Öffentlichkeit mit, man werde die Produktion des "TouchPad" genannten iPad-Konkurrenten einstampfen. Noch vorhandene Chargen würden für 99 Dollar (etwa 200 Dollar unter Produktionspreis) verschleudert. Ferner plane HP, sich vom PC-Geschäft zu verabschieden und sich damit auch von Tablets und Smartphones zu lösen. Ein Spinoff der PC-Division sei Apotheker die liebste Variante, andere Optionen behalte man sich allerdings vor.
Außerdem werde man den auf die Verarbeitung unstrukturierter Daten spezialisierten Anbieter Autonomy für 10,5 Milliarden Dollar kaufen - ein Preis, der vielen Experten weit überhöht scheint, der Autonomy-Aktionären aber immer noch zu niedrig ist. Prompt ging die HP-Aktie in den Sturzflug über. Binnen Stunden verlor sie 20 Prozent ihres Wertes.
Auftrag zum Umbau
Apotheker hatte bei Amtsantritt nach Meinung von Experton-Analyst Andreas Zilch "offensichtlich den Auftrag zum Umbau des Konzerns erhalten". Mit der Fokussierung auf Software- und Servicethemen habe er wohl versucht, diesen Kurs "aus seiner Sicht konsequent umzusetzen". Seine mangelnde Kommunikationsfähigkeit innerhalb des Konzerns und in die Öffentlichkeit, die ihn auch schon bei SAP um sein Amt brachte, schafften allerdings auch bei HP Probleme - nicht zuletzt mit dem Verwaltungsrat.
Das Ende vom Lied waren anscheinend lancierte Meldungen in der "New York Times" und im "Wall Street Journal", die am 21. September orakelten, Apothekers Tage seien gezählt, Meg Whitman werde ihn beerben. Unklar schien nur noch, ob als vorübergehende oder auf lange Sicht eingesetzte Spitzenfrau von HP. Einen Tag später saß sie im Sattel.
Raymond Lane als amtierender Vorsitzender des Direktoriums begründete den Wechsel mit den Worten: "Leo war durchaus gut darin, herauszufinden, was HP tun musste, um Mehrwert zu schaffen." Aber dem geschassten CEO hätten wichtige Management-Werkzeuge gefehlt, wie etwa "Operational Excellence, Menschenkenntnis und Kommunikationsfähigkeit". Als man am Tisch im Direktorium in die Runde gesehen habe, sei plötzlich allen klar geworden, dass es da jemanden gab, der all diese Fähigkeiten in sich vereinte: "Meg hat all diese Dinge."
Massive Änderungen im Board
Die Veränderungen im Board of Directors von Hewlett-Packard reflektieren die Unruhen, von denen dieses Spitzengremium seit der Benennung von Léo Apotheker erschüttert wurde. Apotheker selbst wurde mit seiner Inthronisation als HP-CEO auch Mitglied des Aufsichtsrats. Dort kam es seit der Bestallung des ehemaligen SAP-Managers im November 2010 zu massiven Auswechselungen. Sieben neue Mitglieder wurden seither in das 14-köpfige Verwaltungsratsgremium berufen:
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Weitere Mitglieder des Board of Directors von HP sind:
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Die Analysten von Experton glauben, dass es für Whitman, die sich zuletzt im kalifornischen Wahlkampf aufgerieben hatte, keine leichte Sache wird, HP wieder auf Kurs zu bringen. Ebay habe sie zwischen 1998 und 2008 zwar erfolgreich geführt. "Damit bringt sie jedoch überwiegend Erfahrung aus dem B2C-Geschäft mit, wogegen HP seinen meisten Umsatz im B2B-Bereich - und zwar mit Großkunden - macht."
Wichtig: Klare Kommunikation
IDC-Mann Del Prete sagt, Whitmans vordringlichste Aufgabe sei zum einen, HP wieder auf die Fähigkeit zu konzentrieren, konsequent das Kerngeschäft zu verfolgen. Zum anderen müsse das Unternehmen Botschaften bezüglich einer nachvollziehbaren klaren Strategie senden. Apotheker habe zwar die Losung ausgegeben, HP in Richtung Software und Service zu drehen. Das werde aber viel Zeit benötigen. Noch erwirtschafte HP den Löwenanteil seiner Umsätze und Gewinne mit Hardware. Das zu ändern bedürfe weiterer Akquisitionen, komplexer Integrationen von Geschäftseinheiten und erheblicher Anstrengungen in der Produktentwicklung. Schließlich müsse HP all dies absolut klar, unmissverständlich und in vertrauenerweckender Weise kommunizieren.
Fast identisch heißt es bei Experton: "Wichtig für HP und natürlich auch für die Kunden ist jetzt, dass das Unternehmen sehr schnell eine konsequente und nachhaltige Strategie entwickelt, die auf den eigenen Stärken aufbaut - und diese sauber kommuniziert." Del Prete meint: "Whitman ist hierzu in der Lage."
HP: Tradition und Moderne
An dieser Stelle sei ein kleiner Rückblick gestattet: Man kann sich Unternehmen aus verschiedenen Perspektiven ansehen. Um einen Anhaltspunkt zu bekommen, weswegen es bei HP schon seit längerem nicht mehr rund läuft, könnte man hierzu die Bewegungen an der Management-Spitze unter die Lupe nehmen. Das mit 538 Dollar Startkapital gegründete Unternehmen war geprägt von seinen Urvätern, Gründern und Namensgebern, Absolventen der Eliteuniversität Stanford: William (Bill) Hewlett und David Packard. Packard setzte 1958 mit seinen "11 Rules" ein deutliches Zeichen, wie ein Unternehmen agieren sollte. Die elf Regeln lesen sich wie ein Brevier zu ethischem Unternehmertum.
Ruhe an der Spitze bis 1999
Ab 1969 bekleidete Bill Hewlett das Amt des CEO, das er neun Jahre lang innehatte, bevor er 1978 von John Young beerbt wurde. Dieser regierte das Unternehmen 14 Jahre bis 1992. Dann trat Lewis Platt in Youngs Fußstapfen. Auch er gab die Richtung des aufstrebenden Unternehmens lange vor. Das Leben bei HP schien ein ruhiger, langsamer Fluss. Bis 1999.
Rückblickend ist das der Zeitpunkt, an dem sich für HP vieles auf entscheidende Weise änderte. Bis dahin galten in dem Unternehmen klare Wertvorstellungen. Die offenbarten sich unter anderem in dem 1995 von Dave Packard unterzeichneten und zum Firmencredo stilisierten "HP Way". Sie bewiesen sich auch an dem engen Kontakt, den die Firmengründer mit ihren Mitarbeitern pflegten. Intern galt das geflügelte Wort vom "Management by walking around".
Das Unternehmen prosperierte quasi im Verborgenen. Es galt als Technikschmiede mit zuverlässigen, soliden Ingenieurprodukten, die vielleicht nicht sonderlich sexy waren - aber von welchen IT-Produkten konnte man das bis zum Auftritt von Apple im 21. Jahrhundert schon behaupten?
Fiorina: Hart und nicht herzlich
1999 trat dann eine überaus ehrgeizige, öffentlichkeitsorientierte Frau auf den Plan und an die Spitze von HP. Sie brachte mit den "Rules of the garage" einen veränderten Zungenschlag in die interne Corporate Identity. Carleton Fiorinas Glaubensbekenntnis war - trotz aller Verbeugung vor dem Ingenieurgeist und dem Bekenntnis zu HP als Ideenwerkstatt - anzumerken, dass hier eine ausgebildete, versierte Marketing-Frau die Leitung übernommen hatte. Damit eckte sie in der Belegschaft durchaus auch an. Aber sie war glamourös, eine Exotin als Topmanagerin an der Spitze eines Weltunternehmens, und sie verstand es, sich durchzusetzen.
Die Tonlage im Unternehmen veränderte sich dann spätestens mit der Übernahme von Compaq im Jahr 2002. Bis auf den heutigen Tag wird die Frage diskutiert, ob diese Akquisition nicht doch eine strategische Fehlleistung war. Innerhalb des HP-Boards gab es angesichts des Strategiewechsels heftige Zerwürfnisse, die teils vor amerikanischen Gerichten ausgetragen wurden.
Schon vorher hatten Fiorina-Aktionen in der Öffentlichkeit für Stirnrunzeln gesorgt. So hatte die CEO im Herbst 2000 versucht, den Dienstleister Pricewaterhouse Coopers zu kaufen. Das Angebot lautete auf 18 Milliarden Dollar, scheiterte aber. IBM erwarb PwC 2002 für ein Fünftel dieser Summe. Für viele irritierend war zudem Fiorinas Entscheidung, die PC- und Druckersparte zusammenzulegen, weil dies angeblich Synergieeffekte erzeugen würde. Dieser Schritt wurde später zurückgenommen.
Harter Sanierer Hurd
2005 war das Vertrauen in Fiorina und ihren Führungsstil endgültig aufgebraucht. Analysten waren sich damals einig, dass sie den "schlafenden Riesen" HP zwar wachgerüttelt, es aber nicht verstanden habe, die Abkehr vom kuscheligen HP Way richtig zu kommunizieren.
Mit ihrem Nachfolger Mark Hurd änderte sich operativ alles. Ihm eilte der Ruf voraus, ein harter Sanierer zu sein. Bei HP bestätigte er diese Einschätzung. Unter ihm wurden Geschäftseinheiten neu ausgerichtet. In seine Zeit fielen Zukäufe wie Peregrine Systems, Opsware, Mercury sowie die bedeutenden Akquisitionen von EDS und 3Com. Mit diesen Verstärkungen positionierte sich HP als IT-Allrounder, als Infrastrukturanbieter mit einem Komplettangebot an Hardware, Software, Services mit Netz-Know-how und Beratungskompetenz.
Aber Hurd holzte auch. In seine Ägide fielen Massenentlassungen. In der öffentlichen Wahrnehmung fiel zudem auf, dass das als Tüftler-, Ingenieur- und Technikunternehmen bestens beleumundete HP seine Investitionen in Forschung und Entwicklung schleifen ließ. Sam Palmisano, CEO von IBM, missachtete die branchenübliche Etikette und lästerte öffentlich über den Konkurrenten: Hurd habe die Innovationskraft von Hewlett-Packard seinen Kostenoptimierungen geopfert.
Raus aus Chaos und Aufruhr
Meg Whitman wird es überlassen bleiben, HP wieder einmal neu zu erfinden. Wohin die Reise gehen könnte, hat der Deutschland-Chef Volker Smid im Computerwoche-Interview angedeutet. HP als Infrastrukturanbieter im Cloud-Zeitalter, dessen Kompetenz in der Begleitung der Anwender bei der Industrialisierung von IT-Prozessen liegt - das könnte das neue Credo des Unternehmens sein. Whitman bleibt es vorbehalten, HP aus "einer Periode von Chaos und Aufruhr" zu führen. Wohin, wird sich zeigen müssen. Bei ihrem Arbeitsantritt als CEO gab Whitman sich jedenfalls ziemlich geerdet, als sie meinte: "Zeit, dass wir uns an die Arbeit machen." (Computerwoche)