Das Plastikgehäuse ist schon etwas vergilbt und der Batteriedeckel fehlt. Die LCD-Zeile des programmierbaren Taschenrechners Hewlett Packard 25 auf dem funktional-schlichten Edelholz-Schreibtisch aus den frühen 60er Jahren ist für immer erloschen. Doch ansonsten könnte Bill Hewlett sofort wieder auf dem schlichten Kunstledersessel in seinem Büro in 1504, Page Mill Road, Palo Alto, Platz nehmen. Nichts hat sich verändert, seit er zusammen mit Dave Packard ab 1960 von hier aus die Geschicke von HP, des ersten Start-ups im Silicon Valley, geleitet hat. Notizblock, Brieföffner, schlichter Besprechungstisch mit vier Stühlen.
Ein Besuch im alten Hauptquartier von HP ist eine Reise zurück in eine Zeit, die sich nicht wenige Mitarbeiter sehnlichst wieder herbeiwünschen. Doch sie kommt nicht wieder. 1939 in einer Garage gegründet, wurde HP zum weltgrößten IT-Konzern, strauchelte, fiel tief und wurde vor knapp einem Jahr zerschlagen. Dion Weisler ist jetzt der Chef von HP Inc, wo das Geschäft mit PCs, Laptops, Druckern und Kopierern gebündelt ist.
Das ist das klassische HP, das von Hewlett und Packard, sagen die einen, bodenständig und innovativ. Das sind die sterbenden Industrien der Vergangenheit, sagen die anderen. Die frühere Chefin Meg Whitman habe die zukunftsversprechenden Internet- und Datendienste in HP Enterprise ausgelagert und sich damit auf und davon gemacht. Es kommt halt auf die Sichtweise an, und Dion Weisler glaubt an die Vision der Gründer.
Weisler, ein weltgewandter Manager, der in zehn Ländern in Europa, Asien oder Amerika gelebt hat, setzt dabei alles auf dieHP Labs, die in der früheren Firmenzentrale beheimatet sind. Hier wurde der programmierbare wissenschaftliche Taschenrechner erfunden, der Generationen von Studenten begleitet hat. Die LEDs für die Leuchtanzeigen oder die Inkjet-Tintendrucker. Über 19000 Patente meldeten die Forscher in 50 Jahren an. Aber "das war einmal" zählt nicht mehr. Jetzt müssen sie HP in einen Technologiekonzern des 21. Jahrhunderts verwandeln.
Shane Wall, Weislers Chief Technologiy Officer und Chef der Labs, setzt dabei alles auf Drucker, oder besser gesagt auf Flüssigkeiten. Was sich irgendwie in eine Flüssigkeit verwandeln lässt, will er in Zukunft durch die Düsen von HP-Geräten jagen und damit nicht nur Papier bedrucken, sondern Bioflüssigkeiten in Laboren verarbeiten, Krebsforschung vorantreiben, in der Molekularbiologie tätig sein oder im 3D-Druck Maschinenteile oder fertige Produkte erstellen. Und was noch nicht flüssig ist, das wird halt flüssig gemacht.
Die Geschichte von Hewlett-Packard
Die Story von Hewlett-Packard
Hewlett-Packard (HP) durchlebt seit drei, vier Jahren sehr stürmische Zeiten. Das liegt nicht nur an Verschiebungen auf dem Markt und starkem Wettbewerb, sondern auch an der Sprunghaftigkeit sowie Fehlentscheidungen im Topmanagement und in der Unternehmensstrategie. Allerdings hat der Konzern seit seiner Gründung bereits erfolgreich eine respektable Metamorphose durchgemacht.
1939: In der Garage fing alles an
In der mittlerweile wohl berühmtesten Garage der Welt findet Hewlett-Packard 1939 seinen Anfang. Damals gründen Bill Hewlett und David Packard ihr Unternehmen und schrauben neben ihren eigentlichen Jobs in der Garage gleich auf dem Grundstück in Palo Alto, auf dem sie wohnen, einen Tongenerator zusammen. Sie legen damit unbewusst den Grundstein für das Silicon Valley, die vielbeachtete Hightech-Region in Kalifornien.
Die Walt Disney Studios zählen zu den ersten Kunden ...
... und kaufen gleich acht Oszillatoren HP200B, um ein innovatives Tonsystem für den Film "Fantasia" zu entwickeln.
1957: Der Gang an die Börse mit Messtechnik
1951 erfindet HP mit dem 524A ein Hochgeschwindigkeits-Frequenzmessgerät. Damit ist technisch die Grundlage für das Analysegeschäft gelegt. Fünf Jahre später baut das Unternehmen sein erstes Oszilloskop. 1957 geht HP an die Börse. Eine Aktie kostet 16 Dollar. (In Frankfurt wurde die HP-Aktie am 30. April 2013 für knapp 15,50 Euro gehandelt.)
1959: Produktion in Deutschland
Die erste Produktion außerhalb der USA baut HP 1959 in Deutschland auf. Hier hat das amerikanische Unternehmen die meisten Kunden im europäischen Geschäft. Die Standortentscheidung für Baden-Württemberg ist angeblich eine Entscheidung gegen Bayern: In München soll ein Ministeriumsvertreter bei Gesprächen mit Bill Hewlett die bayerische Lebensart mit deftiger Brotzeit und Bier allzu sehr gelobt haben. Der Amerikaner war aber mehr an Produktivität als an Lebensgenuss interessiert und entschied sich deshalb für das als tüchtig und arbeitsam geltende Schwaben.
1962: Böblingen verantwortet das Softwaregeschäft
Der nächste Umzug steht im Jahr 1962 an: Über 150 Mitarbeiter ziehen in das HP-eigene Werk in der Herrenberger Straße, an der noch heute der Sitz der deutschen Tochter liegt. Im Jahr 1963 wächst die technologische Bedeutung der deutschen GmbH: Böblingen baut eine Entwicklungsabteilung auf.
1966: Marktpremiere des ersten HP-Computers
1967 zeigt HP Deutschland, dass das Unternehmen nicht nur technologisch an der Spitze stehen will und führt als internationaler Vorreiter flexible Arbeitszeiten ein. Stechuhren haben ausgedient, auch in der Produktion. In den USA führt HP ein solches Arbeitszeitmodell erst sechs Jahre später ein.
1972: Der Taschenrechner hält Einzug
Mit dem HP-35 bringt Hewlett-Packard 1972 den ersten wissenschaftlichen Taschenrechner der Welt auf den Markt, zwei Jahre später kommt der erste programmierbare Taschenrechner dazu, der HP 65.
1977: Miniaturisierung mit dem HP-01
n der Elektronik treibt HP die Miniaturisierung voran und bringt 1977 eine Art Personal Digital Assistant fürs Handgelenk heraus: Die HP-01 trägt sich wie eine Armbanduhr, zeigt aber nicht nur die Uhrzeit an, sondern dient auch als Taschenrechner und Kalender.
1980: Der erste Personal Computer HP 85
Im Jahr 1980 bringt HP seinen ersten Personal Computer auf den Markt, den HP 85. Mit kleinem Bildschirm und schmalem Druckwerk erinnert er noch stark an eine Schreibmaschine. Für die deutsche Tochtergesellschaft gewinnt das Softwaregeschäft an Bedeutung: Die GmbH übernimmt die Verantwortung für Entwicklung und Vermarktung von Anwendungssoftware im CAD/CAM-Bereich und behält sie auch bis zur Abspaltung des Geschäftsbereichs im Jahr 2000.
1988: Die fetten Druckerjahre kommen
Ab 1988 beliefert Hewlett Packard mit seinem Tintenstrahldrucker HP DeskJet den Massenmarkt, ab 1991 auch mit einem Farbdrucker, dem DeskJet HP 500C.
1993: Jörg Menno Harms prägt HP Deutschland
Im Jahr 1993 übernimmt Jörg Menno Harms den Vorsitz in der Geschäftsführung der HP GmbH. Bis heute ist er dem Unternehmen verbunden und hat den Vorsitz des Aufsichtsrats inne. Die ersten x86-Server von HP kommen unter dem Namen ProLiant auf den Markt.
1998: Jordana - der erste PDA
Mit dem HP Jornada PDA baut Hewlett-Packard 1998 seinen ersten echten Personal Digital Assistant.
2001: Fusion mit PC-Hersteller Compaq
Eine weitere Änderung äußert sich 2001 in der Gründung von HP Services. Der Computerhersteller will stärker auch mit Dienstleistungen Geld verdienen und bietet jetzt Consulting, Outsourcing, Support und Solution Deployment Services an. Das Internet und elektronische Dienstleistungen bilden den Kern der neuen HP-Strategie. Nach dem Abschluss der Übernahme von Compaq geht auch in Deutschland das neue Unternehmen HP am 3. Mai an den Start.
2004: Geschäftsfeld IT-Services wird ausgebaut
Das Unternehmen erweitert sein Angebot für Privatanwender um digitale Unterhaltungstechnik vom Fotodrucker bis zum Personal Media Drive. Im selben Jahr macht HP einen großen Schritt in Richtung Dienstleister und schließt zum 1. April 2004 die Akquisition von Triaton ab, dem von ThyssenKrupp ausgegründeten IT-Dienstleister des Stahlkonzerns.
2005: HP feuert Fiorina und holt Mark Hurd
Der Verwaltungsrat entlässt 2005 die Konzernchefin Carleton Fiorina. Ihr Compaq-Deal bleibt umstritten. Ihr Versuch, Konkurrenten wie Dell im unteren und IBM im oberen Leistungsbereich des IT-Geschäfts anzugreifen, gilt als wenig erfolgreich. Ihr Nachfolger wird Mark Hurd, Chef der NCR Corporation.
2008: EDS-Übernahme macht HP zum Servicegiganten
Mit dem Zukauf von einer ganzen Reihe an Unternehmen will HP sein Geschäft in den Bereichen Software und Services stärken. 2008 übernimmt HP schließlich für 13,9 Milliarden Dollar den IT-Dienstleister EDS, nach der Compaq-Übernahme der zweitgrößte Deal der Unternehmensgeschichte. EDS beschäftigte damals knapp 120.000 Mitarbeiter, die einen Umsatz von 21,3 Milliarden Dollar erwirtschafteten. HP wird damit im Dienstleistungsgeschäft zu einem absoluten Schwergewicht mit 210.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 38 Milliarden Dollar.
2009: HP kauft den Networking-Spezialisten 3Com
Seine Netzwerkkompetenz baut HP schließlich 2009 durch die Akquisition der 3Com Corporation aus. In Deutschland übernimmt zum 50-jährigen Bestehen der HP GmbH Volker Smid den Vorsitz in der Geschäftsführung. Er leitet bis heute die Deutschland-Tochter.
2011: eBay-Chefin Meg Whitman übernimmt das Ruder
Der Verwaltungsrat ist gegen Apotheker und holt eBay-Chefin Meg Whitman. Seit dem 22. September 2011 ist sie CEO von HP. Sie geht einen anderen Weg, sieht das Hardwaregeschäft als wichtiges Standbein. Mittlerweile hat sie HP einen harten Sparkurs verordnet. Die Geschäftszahlen für 2012 waren noch katastrophal: Bei einem Umsatz 120,4 Milliarden Dollar machte HP einen Verlust von 12,7 Milliarden Dollar.
2013: Das PC-Geschäft bricht ein
Unter Whitman will HP wieder in die technologische Offensive gehen. Neue Produkte rund um Cloud Computing, Big Data und Analytics sollen helfen, das Runder herumzureißen. Sie sollen das wegbrechende PC-Geschäft kompensieren helfen. HP ist zwar noch Marktführer, doch die PC-Verkäufe sind im ersten Quartal 2013 um fast 24 Prozent abgesackt.
2014: Die Aufspaltung kommt
Anfang Oktober 2014 nimmt der einstige Branchenprimus Anlauf für den finalen Befreiungsschlag: Bis November 2015 soll der Konzern durch einen Aktiensplitt aufgeteilt werden in HP Inc. als Anbieter von Personal Computern und Drucker sowie in Hewlett-Packard Enterprise (HPE) mit Unternehmenslösungen für Infrastruktur, Software und Services.
2015: Neues Enterprise-Logo
Im April stellt Hewlett-Packard Enterprise sein neues Logo vor.
HP der Zukunft: Materialforschung bekommt hohen Stellenwert
"In den kommenden 30 Jahren werden wir die komplette Revolution einer Zwölf-Billionen-Dollar-Industrie sehen", skizziert Wall den Erwartungshorizont und die Stoßrichtung. Der Wandel von der analogen zur digitalen Produktion werde weitreichende Folgen haben, für die Wirtschaft und die Gesellschaft.
Der klassische Prozess ist Rohstoffeinkauf, Verschickung der Rohstoffe an einen billigen Produktionsstandort, Transport der Fertigprodukte in Lager der Absatzmärkte und Verteilung an Handel und die Käufer. Allein fünf Prozent des weltweiten Ölverbrauchs verschluckt der Transport von Rohstoffen und fertigen Gütern. Menschen siedeln sich rund um große Werke an. Unternehmen werden mit Steuersubventionen angelockt, sie sind gute Steuerzahler. Oder auch nicht, wie der Fall Apple zeigt.
In der digitalen Wirtschaft der Zukunft könnte das vorbei sein. Dann stehen industrielle 3D-Drucker in den Absatzmärkten und produzieren nur nach Bedarf. Kostenstrukturen würden auf den Kopf gestellt. Am Computer erstellte Arbeitsanweisungen für 3D-Drucker könnten Spritzgussformen für hunderttausende Euro überflüssig machen. Konstruktionsmängel würden dann einfach mit ein paar Klicks beseitigt, Riesige Lagerhäuser bräuchte niemand mehr. Kapitalbindung wäre ein Problem von gestern.
"Hier bitte keine Fotos": Nur in kleinen Gruppen dürfen die Besucher den Raum irgendwo im Untergeschoss der HP Labs betreten. Schutzbrillen werden ausgegeben. In einem mannshohen Glaskasten läuft ein Schlitten von links nach rechts, ein blendend grelles Licht blitzt auf, und wenige Sekunden später schiebt eine kleine Schaufel irgendetwas in einen Auffangbehälter. Es ist ein mehrgliedriges Kettenglied wie bei einem Uhrenarmband aus Metall, voll beweglich. Gedruckt in nur einem Durchgang.
"Wir haben die Geschwindigkeit im Vergleich zu früheren Modellen mittlerweile verzehnfacht", sagt Wall. Die nächste Herausforderung ist die Erstellung von Materialien, sozusagen von flüssigem Holz oder Metall, mit dem Regale, Stühle oder Zahnräder gedruckt werden können. Hier schließt sich für HP der Kreis: Verkaufe erst die Drucker und dann die Tinte. Damit hat HP schließlich beim traditionellen Druck schon einmal ein Milliardenunternehmen mit Gewinnmargen jenseits der 50 Prozent geschaffen.
Doch da ist ein Vertrauensproblem: Gerade erst machte HP mit einem Software-Update Schlagzeilen, das bei einigen Business-Modellen der Drucker die Verwendung von fremder, oft erheblicher preiswerterer, Tinte verhindert. Es muss HP-Tinte gekauft werden. Druckertinte ist immerhin nach Berechnungen von Verbraucherverbänden die teuerste Flüssigkeit der Welt, pro Liter weit teurer als der teuerste Champagner oder Parfüm. Nach massiven Protesten ermöglicht HP jetzt die Entfernung der Software, behält sich aber vor, weiterhin Maßnahmen zum "Schutz unseres geistigen Eigentums" zu ergreifen.
HP strebt im 3D-Druck-Markt führende Rolle an
Für einen Unternehmer, der im harten Wettbewerb Waren produzieren muss, ist es eine der fundamentalsten Aufgaben, seine Rohstoffe günstig einzukaufen. Will der sich wirklich in eine Abhängigkeit begeben, in der nur noch ein Anbieter die Preise bestimmt? "Wir wollen viele Anbieter von 3D-Druckrohstoffen", versichern die HP-Experten. Sie müssten sich nur "zertifizieren lassen", damit alles funktioniert und die Drucker nicht ruiniert werden. Das ist ein Drahtseilakt und Problem, das Dion Weisler lösen muss, damit sein großer Traum von HP als Revolutionär des größten zu verteilenden Marktes in der bisherigen Geschichte der Menschheit eine Chance auf Realisierung hat.
Bis dahin hält es eher mit den Autoren des Handbuchs des alten HP-25-Taschenrechners auf dem Schreibtisch von Bill Hewlett. Es schließt mit den Sätzen: "Sie werden das Gerät immer besser verstehen, je mehr sie den HP-25 nutzen, um selbst die kompliziertesten mathematischen Probleme zu lösen. Sie haben ein Gerät in der Hand, das Archimedes, Galileo oder Einstein nicht hatten. Die einzigen Grenzen des HP-25 sind die Grenzen ihrer eigenen Vorstellungskraft." Dieser offene Geist der Zuversicht ist es, den HP jetzt dringender braucht als jemals zuvor, um die alten, sterbenden Märkte hinter sich zu lassen. Dion Weisler weiß das. Diesmal ist es alles oder nichts für HP. (dpa/rs)