In der Informationstechnologie jedes Unternehmens gibt es zwei große Chancen, Kostenvorteile durch Skaleneffekte zu erzeugen:
1.) Vorne steht das Outsourcing von Betriebsaufgaben an spezialisierte Dienstleister, die diese Aufgabe zu ihrem Kerngeschäft gemacht haben. Diese Provider perfektionieren ihre Prozesse und erlangen durch ein größeres Geschäftsvolumen ihrerseits Kostenvorteile, die sie zu einem guten Teil an ihre Kunden weitergeben.
2.) Der Einsatz von Standardsoftware, die in einer Auflage größer eins produziert wird, muss zu Kostenverteilen gegenüber Individualentwicklungen führen, sofern die Marktmechanismen funktionieren.
Nach der neuesten Erhebung des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zur Situation der IT in Versicherungsunternehmen, lassen nur 7 % aller Versicherer Teile Ihrer Informationsverarbeitung außer Haus durchführen. Andersherum führen 93 % aller Versicherer ihren IT-Betrieb in Eigenregie durch und haben somit, was den Betrieb angeht, eine maximale Fertigungstiefe. Die erste Chance auf Skaleneffekte wird kaum genutzt.
Und auch die zweite Chance auf Skaleneffekte wird nur wenig genutzt: Der durchschnittliche Anteil der Kosten für gekaufte oder lizenzierte Software am IT-Budget beträgt bei den Versicherern gerade mal 15,9 %. Stattdessen überwiegen Individualentwicklungen. Systeme mit einer erlebten Nutzungsdauer von 20 bis 30 Jahren sind keine Seltenheit.
Warum verhält sich die Versicherungsbranche so konträr zu nahezu allen anderen Branchen ?
Tatsächlich sind die Systeme bei Versicherungen sehr komplex. Ein Produkt, wie ein bestimmter Lebensversicherungstarif, der ohnehin schon aus einer Unmenge von Attributen besteht, ist anders als im Handel oder der Industrie, auch dann noch im System zu verarbeiten wenn er seit Jahrzehnten gar nicht mehr verkauft wird. Dennoch erfolgen noch immer Prämienaufstockungen, Beitragsfreistellungen und natürlich Leistungsauszahlungen. Die parallele Abbildung dieser Produkte über Jahrzehnte sind enorme Komplexitätstreiber. Zu dieser Produktvielfalt trägt der Gesetzgeber mit seinen zunehmenden Regelungen zur Alters- und Gesundheitsvorsorge gerne bei.
Maßgeblich ist aber, dass die Versicherungsunternehmen bis 2001, bedingt durch die boomenden Aktienmärkte, sehr gut verdient hatten. So gut, dass Defizite bei Prozessen und Produkten weitgehend überlagert worden sind. In der IT kam in dieser Zeit so gut wie kein Kostendruck auf. In der Folge hielt man an den Individualentwicklungen fest und fragte kaum Standardsoftware nach. Wenn doch, dann allenfalls in branchenunabhängigen Anwendungsbereichen wie Rechnungswesen, Human Ressources oder Business Intelligence – aber nicht zur Abbildung von Kernprozessen einer Versicherung. Mit der Wende an den Börsen drehte sich das Blatt. Steigender Kostendruck erhöhte die Nachfrage nach Standardsoftware. Hierfür musste aber erst mal das passende Angebot geschaffen werden. Schließlich war der Druck auch nicht so groß wie bei den Banken, da deren Abhängigkeit zu den Kapitalmärkten ungleich größer ist als die der Versicherer. Da reichte es den meisten Unternehmen durch eine drastische Reduzierung der in großem Umfang eingesetzten externen Bodyleasing-Kapazitäten die IT-Kosten wie gefordert zu senken. Eine Änderung in der IT-Strategie wäre ungleich aufwändiger gewesen.
Mittlerweile ist das Angebot an Standardsoftware auch für die Kernprozesse eines Versicherers herangereift, wenn auch noch nicht ausgereift. Neben Nischenanbietern wie dem Marktführer für Lebensversicherungssysteme FJH, hat auch SAP begonnen den Markt zu besetzen. Viele Versicherungsunternehmen verhalten sich interessiert und abwartend. Einige meinen durch ihre Größe schon maximale Skaleneffekte zu haben. Dennoch wird die Frage nach dem Make-or-buy künftig häufiger gestellt und zugunsten von Standardsoftware beantwortet werden.
Die Öffentliche hat als mittelständischer Versicherer und einer der ersten schon in 2002 begonnen, einen mehrjährigen Bebauungsplan mit Standardsoftware – auch für die Kernprozesse – umzusetzen. Vor wenigen Monaten haben wir das neue Schadenmanagementsystem von SAP erstmalig in Deutschland in Betrieb genommen. Auch die erste führende Adressverwaltung bei einer Sachversicherung mit dem Businesspartner von SAP läuft bei der Öffentlichen. Das Multisourcing genannte Zusammenarbeiten mit verschiedenen spezialisierten Providern verschafft uns neben den erheblichen Kostenvorteilen auch die nötige Geschwindigkeit, um den Bebauungsplan innerhalb kürzester Zeit umsetzen zu können.
Die eigene Fertigungstiefe zu reduzieren, im IT-Betrieb und bei der Anwendungsentwicklung, wird auch den größeren Marktteilnehmern unserer Branche nicht erspart bleiben. Belohnt werden sie durch Freiräume für wertschöpfende Aufgaben, wie im Innern die Produktivität zu steigern und nach außen den Kundenservice zu verbessern. Tun sie es nicht schnell genug, drohen statt der Softwareentwicklung ganze Geschäftsprozesse zu BPO-Dienstleistern abzuwandern. So wie Dresdner Bank und Deutsche Bank unlängst ihr Transaktionsbanking outgesourct haben. Die Axa hat bereits angekündigt, Geschäftsprozesse nach Indien und Lettland zu verlagern. Diese Beispiele zeigen, dass es künftig in einem härter werdenden Markt darum gehen wird, Prozesskosten zu optimieren. Mit einer maximalen Fertigungstiefe in der IT wird die Kostenführerschaft für Geschäftsprozesse nicht zu erringen sein.
Dennis Lidzba ist verantwortlich für die IT bei der Öffentlichen und Geschäftsführer der IT-Tochter Braunschweig IT GmbH.
Auf der CIO-Matinee im Juni 2005 wird er ausführlich darüber berichten, wie er in seinem Unternehmen, die Einsparpotentiale in der IT genutzt hat. Die Öffentliche Versicherung Braunschweig ist ein regionaler Sach- und Lebensversicherer im östlichen Niedersachsen und gehört zur Sparkassen-Finanzgruppe. In 2004 erzielte sie mit rund 1.100 Mitarbeitern ein Beitragsvolumen von 320 Millionen Euro.