Die Erfahrungen und Methoden innerhalb einer Branche haben schon oft zu Innovationen in anderen Industrien geführt. Als prominentes Beispiel dafür gilt Henry Ford, der die Idee zur Fließband-Produktion von Automobilen nach einem Besuch eines Schlachthofs in Chicago entwickelt haben soll.
Durch die negativen Erfahrungen im Jahr 2009, das zeigen Gespräche mit führenden Anbietern von Technologie-Beratung und Engineering Services, ist das Interesse groß, mehr Umsätze außerhalb der Automobilbranche zu erzielen. Zu groß war bei einigen Anbietern die Abhängigkeit von den großen OEMs. Der Rückgang der Nachfrage schlug voll durch. Ein Ausweichen in andere Kundenbranchen war kaum möglich - teilweise wegen geringer Präsenz in anderen Branchen, teilweise, weil die Finanz- und Wirtschaftskrise fast alle Wirtschaftsbereiche getroffen hat.
Zur Unterscheidung: Unter IT-Beratung werden Projekte zur Optimierung und Transformation von Unternehmensprozessen verstanden. Technologie-Beratung und Engineering Services sind Dienstleistungen, die in den Produkten von Auftraggeber-Unternehmen wirken. Die Bandbreite reicht dabei von der Entwicklung von neuen Antriebstechnologien in der Automobilproduktion über Embedded Systems für das Infotainment und Navigation bis hin zur Entwicklung von Flugzeug-Rotoren, Schiffsschrauben oder Projekte im Maschinenbau. Die Grenzen zwischen den Anbietermärkten weichen auf. Am Beispiel des PKWs wird der schon heute vorhandene Technologietransfer von IT-Kommunikationstechnologien in das Fahrzeug deutlich sichtbar.
Wachstumsbranchen und Technologietransfer
Im Jahr 2009 mussten die Top 25 der Anbieter im Markt für Technologie-Beratung und Engineering Services durchschnittlich einen Umsatzrückgang von 5,9 Prozent verkraften. Insgesamt gingen die Umsätze der Top 25 dabei von 3,6 Milliarden Euro im Jahr 2008 auf 3,3 Milliarden Euro zurück (-8,3 Prozent). Einige der Unternehmen profitierten durch Sonderfaktoren. Rechnet man diese Unternehmen heraus, beträgt der durchschnittliche Umsatzrückgang der führenden Anbieter -11,5 Prozent in 2009. Besonders stark war dabei der Rückgang im Automotive-Sektor, in dem die von Lünendonk analysierten Unternehmen im Jahr 2009 mehr als 57 Prozent ihrer Umsätze erzielten.
Der Bedarf, ein Klumpenrisiko durch die Abhängigkeit von wenigen großen OEMs und Zulieferern zu reduzieren, ist deutlich. Welche Themen und Branchen stehen also derzeit im Fokus als Wachstums- und Ausweichbranchen?
Branchen Energie und Umwelt besonders interessant
Die führenden Anbieter von Technologie-Beratung und Engineering Services sehen in den Branchen Energie und Umwelt besonders wichtige Felder für zukünftiges Wachstum. Im Rahmen der Studie wurden die Teilnehmer gebeten, Thesen für die Zukunft des Marktes anhand einer Skala von -2="trifft gar nicht zu" bis +2="trifft voll zu" zu bewerten. Die These "der Sektor Energie und Umwelt gewinnt stark an Bedeutung" erzielte dabei die höchste Bewertung von durchschnittlich 1,4.
Im Energiemarkt ergeben sich beispielsweise neue Wachstumschancen durch Themen wie die automatisierte Ablesung von Verbrauchswerten (Smart Metering) oder in der Entwicklung von neuen Steuerungsmodellen und -Lösungen für Energienetze. Auch die erneuerbaren Energien bieten noch erhebliches Potenzial: Die Entwicklung kleinerer Windkraftanlagen steht bei Windkraft-Anbietern neben der Konzeption neuer Großanlagen im Fokus.
Technologie-Transfer ist hier aus verschiedenen Richtungen möglich: Die Getriebe der Anlagen gestalten sich wahrscheinlich nicht komplexer als moderne Automatik-Getriebe im Auto. Engineering-Unternehmen mit Erfahrungen im Flugzeugbau, aber auch in der Schifffahrt mit Kompetenz im Propellerdesign könnten bei der Optimierung dieses wichtigen Bauteils punkten.
Chancen in der Automotive-Industrie
Welche Chancen bieten sich den Anbietern in der Automotive-Industrie, die auch in naher Zukunft die Kernbranche sein wird? Ein wichtiger Schwerpunkt ist die Entwicklung neuer Leichtbau-Konzepte im Zusammenhang mit der Elektromobilität sowie die Entwicklung neuer Antriebsmodelle insgesamt.
Die Automobilindustrie durchläuft eine Krise, die viele etablierte Vorgehensweisen auf die Probe stellt, so auch die Frage, wie zukünftig die Aufgabenverteilung in der Fahrzeugentwicklung organisiert wird. Hier scheinen die Möglichkeiten virtueller Projektarbeit und das Ausnutzen von Lohnkostenunterschieden an internationalen Entwicklungsstandorten noch nicht ausgereizt. Gleichzeitig ist angesichts der geplanten Produktionsstandorte in China oder Indien klar, dass Teile der Entwicklung in diese Ländern folgen werden.
Einige Anbieter von Technologie-Beratung und Engineering Services bauen bereits Standorte und Ressourcen in diesen Ländern auf. Hier könnte beispielsweise die IT für neue Modelle der Zusammenarbeit Pate stehen. Denn in der IT-Industrie und in den IT-Organisationen sind inzwischen bereits umfangreiche Erfahrungen mit Nearshore-/Offshore-Ressourcen in Entwicklungs- und Service-Management-Modellen vorhanden.
Die Chancen von System-Dienstleistern und Engineering Services
Die Chance, Gemeinsamkeiten zwischen der Verarbeitung von Schweinehälften und möglichen Vorteilen für den Bau von Automobilproduktion zu erkennen, haben vor allem die System-Dienstleister unter den Anbietern von Technologie-Beratung und Engineering Services. System-Dienstleister zeichnen sich dadurch aus, dass sie in hohem Maße auch Werkverträge abschließen und somit unternehmerische Verantwortung für Entwicklungs-(Teil-)Projekte übernehmen und eine Kultur des internen Wissenstransfers leben. Kennzeichnend sind beispielsweise auch Kompetenz-Zentren, welche die Know-how-Entwicklung und -Bündelung systematisieren.
Insbesondere, wenn die Anbieter in verschiedenen Branchen oder Themen tätig sind, können wertvolle Innovationsimpulse geliefert werden. Hier bietet sich ein Mehrwert, den Anbieter, die rein auf die Bereitstellung von Projektmitarbeitern ausgerichtet sind, nur schwer abbilden können. Die Auswahl großer Auftraggeber sollte sich daher nicht nur nach den Stundensätzen der Berater in ausgewählten Kompetenzfeldern richten - sondern auch danach, welche Innovationsimpulse der Anbieter liefern kann.
Hartmut Lüerßen ist Partner bei der Lünendonk GmbH.