Jedes Jahr CeBIT, jedes Jahr die erneute Diskussion: Brauchen wir eine Messe dieser Größe und dieses Zuschnitts eigentlich noch? Radio Eriwan würde antworten: Im Prinzip nein - aber die CeBIT ist unentbehrlich. Denn die weltweit größte IT-Messe, eigentlich ein Relikt aus Zeiten vor Internet und globaler Vernetzung, ist nach wie vor als "singuläres Event" aus der internationalen IT-Szene nicht wegzudenken, wie es ein Branchenkenner formuliert. Und es ist eben genau ihre Riesenhaftigkeit - oft als Beliebigkeit und mangelnde Fokussierung kritisiert -, die sie zu einem Kraftzentrum für die IT-Branche macht.
Dabei sieht sich die CeBIT einer stetig wachsenden Konkurrenz gegenüber. Auf der einen Seite sind es die Online-Angebote und -Communities der Anbieter, die Kunden und Interessenten ganzjährig mit allen gewünschten Informationen versorgen. Auf der anderen Seite ist es das zunehmende Event-Angebot: Mit Branchen-und Hausmessen, mit auf spezielle Themen und Zielgruppen ausgerichteten Seminaren und Kongressen, Roadshows und Diskussionsrunden ringen Anbieter und Veranstalter um die Aufmerksamkeit der besonders umworbenen Klientel der IT-Entscheider.
Dennoch: "Auch in Zeiten weltweiter Vernetzung ist es wichtig, eine international renommierte und anerkannte Plattform zu haben, auf der sich die Branche zur persönlichen Begegnung und zum Dialog trifft. Genau diese Funktion erfüllt die CeBIT", sagt Thomas Endres, Konzern-CIO der Lufthansa und Sprecher des CIO-Colloquiums, einer der deutschen Peer-Groups, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, IT-Manager aus Anwenderunternehmen miteinander zu vernetzen.
Hausmessen ohne Gesamtsicht
Die eigenen Veranstaltungen der Anbieter sind nach seiner Einschätzung keineswegs überflüssig: "Wenn ich als Anwender einen Eindruck von einem bestimmten Produkt bekommen möchte, sind Hausmessen oder Roadshows sicherlich interessant. Einen transparenten Überblick über den Gesamtmarkt und eine Plattform für den übergreifenden Dialog können sie aber nicht bieten", sagt Endres. So ähnlich sieht es auch Thomas Karg, Marketing-Chef Deutschland bei Fujitsu Siemens Computers. Zu seinem Veranstaltungsportfolio gehören mit den jährlich stattfindenden Veranstaltungen "Visit" und "Data Center Symposium" gleich zwei Hausmessen, dazu kommen Roadshows mit wechselnden Technologiepartnern.
Die Teilnahme an der CeBIT steht für den Marketing-Leiter nicht zur Diskussion. "Es geht doch immer um die Frage: Auf welche Weise möchte ich mit unseren Kunden und Interessenten kommunizieren?", fragt Karg. Während er auf seinen Hausmessen die Gelegenheit sieht, sich den Bestandskunden zu präsentieren, das komplette Produktportfolio vorzustellen und auf unterschiedlichen Ebenen mit den Besuchern ins Detail zu gehen, schätzt er die CeBIT als wichtigsten Branchentreffpunkt: "Hier kommen wir mit hochkarätigen IT-Entscheidern ins Gespräch, weil alle wichtigen Leute aus der IT-Branche vertreten sind", so Karg.
Das kann man auch anders sehen. So fehlen dieses Jahr wieder einige Schwergewichte der Branche. Zwar sind etwa Oracle, HP, Google oder VMware mit Teilen ihres Angebots auf verschiedenen Partnerständen vertreten, eigene Präsentation der Global Player wird man auf der CeBIT aber vergeblich suchen. "HP hat sich bereits 2004 entschieden, nicht mehr mit einem eigenen Stand auf der CeBIT vertreten zu sein. Stattdessen nutzen wir Fachausstellungen, Hausmessen und Roadshows für die direkte Zielkundenansprache, insbesondere um "Streuverluste" zu minimieren", gibt HP-Unternehmenssprecher
Norbert Gelse zu Protokoll.
"Virtualisierung zu speziell"
VMware verweist auf die eigene Veranstaltung VMworld, die letzten Herbst rund 14 000 Teilnehmer nach Las Vegas zog. Auch spreche die terminliche Nähe zur VMworld-Europe, die knapp zwei Wochen vor der CeBIT in Cannes stattfindet und 5.000 Besucher anziehen soll, gegen eine CeBIT-Präsenz. "Zudem ist unser Thema Virtualisierung so speziell, dass es nur für einen Bruchteil der CeBIT-Besucher interessant ist“, sagt Pressesprecher Mathias Raeck.
Oracle sieht die eigene Hausmesse „Oracle Open-World" als "zentrale Veranstaltung, zu der wir unsere Community zum Informations- und Erfahrungsaustausch einladen", und bietet seinen Kunden Online-Unternehmensportale für unterschiedliche Zielguppen an: "Wir schaffen hier den Rahmen durch vernetzte Communities wie etwa das Oracle Technology Network, die Oracle Applications Community oder das Oracle Partner Network", sagt eine Unternehmenssprecherin. Auch Google verzichtet auf den Branchentreffpunkt in Hannover. "Wir evaluieren das natürlich jedes Jahr, waren aber bisher noch nie auf der CeBIT", sagt Pressesprecher Stefan Keuchel. Interessanter sei für sein Unternehmen die Online-Marketing-Messe DMEX (ehemals OMD), an der Google regelmäßig teilnehme.
Die Messe wird das bedauern. Denn für das diesjährige Top-Thema Webciety, mit dem er "das Internet in seinen vielen verschiedenen Ausprägungen und mit seinen Business-Modellen darstellen und erlebbar machen will", fehlt ihm mit Google einer der wichtigsten Global Player. "Es ist eine Binsenweisheit, dass die Qualität einer Messe mit der Qualität der Aussteller steht und fällt. Je vielfältiger sich die Liste der Aussteller liest, umso einfacher ist es, sich einen soliden Überblick über das Angebot und die Trends zu verschaffen", sagt Lufthansa-CIO Endres.
Weniger Besucher erwartet als 2008
Auf der CeBIT 2008 waren 5.845 Aussteller aus 77 Ländern vertreten, knapp eine halbe Million Besucher trafen sich auf der Ausstellungsfläche von 241.000 Quadratmetern. Dieses Jahr sind die Erwartungen bescheidener: Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise haben die Veranstalter nicht die Hoffnung, die Zahlen der letztjährigen Rekordmesse zu erreichen, und rechnen mit einer verringerten Ausstellerzahl.
Erstmalig in diesem Jahr etablieren die Veranstalter den "CeBIT Executive Club" für IT-Entscheider. Im Haus der Nationen ist für CIOs ein zutrittsbeschränkter Bereich zum Networking in entspannter Atmosphäre eingerichtet. "Auf der Hannover-Messe bieten wir ein solches Forum schon seit drei Jahren zusammen mit dem BDI an - das hat sich dort sehr bewährt", sagt Ernst Raue, CEO der Deutschen Messe.
"Ich freue mich auf die persönlichen Begegnungen mit Kollegen und den Blick auf technologische Entwicklungen. Gerade in der aktuellen Situation wird es spannend sein, einen Eindruck von der Innovationskraft und Stimmungslage in der IT-Community zu bekommen", ergänzt der CIO Endres.
Die CeBIT verdankt ihre Stellung nicht zuletzt ihrer Anpassungsfähigkeit. Im vorigen Jahr schon hatte die CeBIT-Leitung die Veranstaltung um einen Tag gekürzt, ein deutlich verändertes Messekonzept umgesetzt und die Hallen nach Themenschwerpunkten organisiert. "Früher haben wir eine Halle aufgeschlossen und Ausstellern Fläche verkauft - heute ist das Messe- und Kongressprogramm vertikal ausgerichtet, und wir entwickeln gemeinsam mit den Ausstellern die Inhalte der CeBIT", sagt Raue, "Eine reine Imagemesse wie früher kann sich nicht mehr tragen."