Bildung und IT

Digitale Bildung ist mehr als Facebook und Google

14.11.2014 von Ingrid Weidner
Während sich Eltern die digitale Welt mühsam erarbeiten mussten, wachsen ihre Kinder ganz selbstverständlich damit auf. Doch digitale Bildung in Deutschland existiert oft nur auf dem Papier.

Das Schlagwort "Digitale Bildung" schaffte es in den Koalitionsvertrag; das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) rückt 2014 das Thema "Digitale Gesellschaft" ins Rampenlicht. In einem Video des Ministeriums geht es hauptsächlich um wirtschaftliche Auswirkungen und digitale Dienstleistungen, von Bildung ist dort wenig zu hören. Schnell geschnittene Videosequenzen mit Musik unterlegt, Berlin als Hintergrundkulisse für den Werbeclip und viele Menschen mit Smartphones.

Sven Volmering, Bundestagabgeordneter, sieht großen Nachholbedarf beim Thema "Digitale Bildung".
Foto: Deutscher Bundestag/ H.J. Müller

Deutschland hat Nachholbedarf

Aber wie sieht digitale Bildung in Schulen und Universitäten aus? Müssen Pädagogen Kindern erklären, wie Facebook funktioniert und brauchen Professoren einen eigenen Youtube-Kanal?
"Wir haben einen großen Nachholbedarf", gibt der ehemalige Gymnasiallehrer Sven Volmering zu. Seit vergangenem Jahr sitzt der 38-Jährige im Deutschen Bundestag, zuvor unterrichtete er Geschichte, Politik und Sozialkunde in Bocholt. Er sieht hierzulande einen Rückstand von bis zu zehn Jahren. Manchmal liege es schlicht an der schlechten Ausstattung, wenn in einer 45-minütigen Unterrichtsstunde alle Schüler in einem separaten Medienraum trotten, Rechner hochfahren und sich anmelden müssen. Längst nicht alle Pädagogen setzen elektronische Lernmittel ein, auch an der Aus- und Weiterbildung von Lehrern hapere es. Medienkompetenz erwerben viele späteren Studienräte in Eigeninitiative, denn nicht jeder Lehramtsstudent findet Kursangebote dazu im Vorlesungsverzeichnis. "Vieles hängt von einzelnen Personen ab", weiß Volmering und plädiert für mehr Überzeugungsarbeit. Doch Bildungspolitik in Deutschland ist in erster Linie Ländersache. Ein Staatsvertrag, der Mindeststandards in (digitalen) Bildungsfragen festlegt, käme allen zu Gute. Doch das ist Zukunftsmusik.

Lehrer wünschen sich mehr Medienkompetenz

Der Branchenverband Bitkom fragte mehr als 500 Lehrer, wie sie elektronische Medien und neue Lernformen in den Unterricht integrieren. Ziemlich zufrieden äußerten sich die Pädagogen über die Ausstattung. Länder und Kommunen investierten in den vergangenen Jahren in PCs und Notebooks, denn die Geräte stehen fast flächendeckend zur Verfügung. Auch White-Boards hängen in vielen Unterrichtsräumen. Dagegen erfuhren die Rechercheure, dass nur 18 Prozent Tablet Computer und nur vier Prozent E-Book-Reader im Unterricht nutzen. Auch über einen Internet-Anschluss verfügen nahezu alle Schulen, allerdings müssen zwei Drittel der Lehrer hierfür mit ihren Schüler in extra Räume gehen, für knapp die Hälfte gibt es ein frei verfügbares Netz.

"Digitale Bildung geht die ganze Gesellschaft an.", sagt Stephan Pfisterer, Bereichsleiter Bildung und Personal im Bitkom. "Kinder und Jugendliche tauschen sich überwiegend über soziale Netzwerke aus. Doch die Schule nutzt die digitalen Möglichkeiten noch zu selten." Elektronische Lernangebote eröffnen den Lehrkräften pädagogische Freiräume, etwa wenn einige Schüler mit einer Lernsoftware ihre Mathematiklücken schließen oder andere ihr Lesetempo steigern. Pfisterer plädiert für Content-Sharing, damit zumindest innerhalb eines Bundeslandes E-Learning-Kurse und Tutorials schulübergreifend genutzt werden könnten. Doch es gibt Vorbehalte: "Lehrer möchten gerade in der Content-Erstellung viel selbst machen", so Pfisterers Beobachtung.

Tablet Computer und E-Book-Reader fehlen bislang noch in vielen Schulen.
Foto: Tyler Olson - fotolia.com

Viele Schulbuchverlage fürchten die digitale Konkurrenz. Neue Akteure kommen beim E-Learning hinzu und mit Updates lässt sich längst nicht so gut verdienen wie mit Schulbüchern, die alle zwei Jahre neu aufgelegt werden. "Die Schulbuchverlage interessieren sich für digitale Themen, doch sie sehen ihr Geschäftsmodell gefährdet", beobachtet der Bitkom-Mann.

Digitale Unterrichtselemente geben mehr Freiraum

An der digitalen Ausstattung liege es nicht, dass der Alltag von Kindern und Jugendlichen in der Schule und in ihrer Freizeit so weit auseinander klafft, meint Ulrike Wagner, Direktorin des Instituts für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (JFF) in München. "In der Schule gibt es strikte Vorgaben, wie Medien genutzt werden dürfen, und Schülern werden nur wenige Freiräume zugestanden", beobachtet sie und ergänzt: "Zwar sind Schüler oft unbefangener und schneller als ihre Lehrer, allerdings hapert es auch häufig bei der Reflexion darüber, was sie im Netz tun." Besonders im deutschsprachigen Raum verhindere ein starres Schulsystem, digitale Unterrichtselemente zu integrieren. "Die skandinavischen Länder setzen Medien viel selbstverständlicher ein. Dort sind beide Welten nicht so stark getrennt wie hierzulande."

Offenere Lernformen, Themen und Projekte, die sich fächerübergreifend über eine ganze Woche erstrecken, geben Lehrern und Schülern mehr Freiraum, laden zum Experimentieren ein und fördern die Neugierde der Lernenden. "Es gibt Schulen, die hier mutiger sind und experimentieren, doch die meisten Lehrkräfte stehen unter großem Druck, den Lehrplan zu erfüllen", kritisiert Wagner und ergänzt: "Meistens hängt es vom Engagement der Schulleiter und Lehrkräften ab, ob offenere Lernformen mit Medien möglich sind."

Welche Welt wollen wir?

"Die Hochschulen sind weiter als die Schulen, allerdings sind sie untereinander noch zu wenig vernetzt, viele schotten sich ab, statt mit anderen zu kooperieren", weiß Pfisterer. In viele Universitäten und Hochschulen schwappte in den vergangenen Jahren die Mooc (Massive open online Course)-Welle. Mit den frei zugänglichen Online-Kursen kamen freiere Lernformen hinzu. Ein guter Ansatz, findet Gunter Dueck, ehemaliger Chief Technology Officer bei IBM und bekannt als Querdenker. Doch er wünscht sich eine umfassende, professionell erstellte digitale Vorlesungsbibliothek für alle Fächer. In einem Vortrag zur Jahrestagung des Stifterverbands warf er viele Fragen zur digitalen Bildung auf: "Welche Welt wollen wir? Wie sieht der Mensch aus, der nach der Digitalisierung gebraucht wird?" Denn einfache Berufe wie Autoverkäufer oder Bankberater verschwänden, hier übernehme der Computer die meiste Arbeit. "Menschen werden nie mehr gut bezahlt für etwas, was Computer selbst können", so sein Schluß.

Internationale und weltweit vernetzte Projektarbeit skizziert er als Berufsbild mit Zukunftsperspektive. Dazu brauchen Hochschulabsolventen neben Fachwissen vor allem Sprachkenntnisse, interkulturelles Feingefühl, Verhandlungsgeschick - also soziale Kompetenzen, die sie seiner Meinung nach weder in der Schule noch an der Universität oder im Netz erwerben: "Lernen, wie man Google und Facebook nutzt - das reicht nicht."

Kinder als Experten der Online-Welt

In der strahlenden digitalen Zukunft gibt es auch dunkle Seiten. Mobbing und Ausgrenzung unter Kindern und Jugendlichen gewinnen im Web eine neue Dynamik. Was Eltern und Lehrer tun können, erklärt die Kommunikationswissenschaftlerin Ulrike Wagner.

Ulrike Wagner: "Eltern sollten wissen, was ihre Kinder im Netz tun."
Foto: Dr. Ulrike Wagner/JFF

Verändert sich mit Facebook und sozialen Foren im Netz auch die Art und Weise, wie Kinder und Jugendliche Konflikte untereinander austragen?

Ulrike Wagner: In der digitalen Welt sind die Hemmschwellen niedriger. Kinder und Jugendliche können schneller in Situationen geraten, die sie nicht alleine verschuldet haben, aus denen sie aber ohne Unterstützung nicht so leicht wieder herauskommen. Wir haben vor zwei Jahren in einer Studie Jugendliche dazu befragt und wollten wissen, wo sie sich Unterstützung erhoffen. Überraschend war, dass sie Erwachsene als Ansprechpartner meist nicht ernst nehmen.

Weshalb?

Ulrike Wagner: Viele sagten uns: "Die Erwachsenen wissen nicht, was wir tun, deshalb sollen sie sich raushalten." Oft sprechen sie mit älteren Geschwistern, ihrer Peer-Group oder lösen Probleme unter sich. Das sind ganz normale Verhaltensweisen und noch nicht alarmierend, Geheimnisse haben gehört zum Erwachsenwerden. Jedoch sollten Eltern sehr wohl wissen, was ihre Kinder im Netz tun.

Wie können sie das bewerkstelligen, ohne sich lächerlich zu machen?

Ulrike Wagner: Es bringt nichts, den Kindern hinterher zu hecheln. Der erzieherische Aspekt ist entscheidend. Es ist wichtig zu wissen, was das Kind antreibt, womit es sich beschäftigt. Eltern sollten sich von ihren Kindern deren Online-Welt zeigen und erklären lassen, welche Spiele sie spielen und welche Apps sie nutzen. Das bestätigt die Kinder in ihrem Expertenstatus und sie gewinnen Vertrauen.

Wie sieht die ideale Medienerziehung aus?

Ulrike Wagner: Eltern sollten früh damit beginnen, das Kind in seinem Medienumgang zu begleiten. Kinder sind grundsätzlich neugierig. Genauso wie klassische Spiele, Bilderbücher oder Hörspiele sind neue Medien und das Internet weitere Elemente, um sich die Welt erschließen.