Mit den Erwartungen moderner Konsumenten tun sich viele Unternehmen noch sehr schwer. Kunden gehen heute wie selbstverständlich davon aus, auf allen digitalen Kommunikationskanälen mit ihren Lieferanten in Kontakt treten zu können. Doch gerade deutsche Traditionsunternehmen haben mit der Umstellung auf die "Digital Consumer Economy" so ihre Probleme.
In den vergangenen Jahrzehnten waren zunächst Kohle, Stahl und Erdöl, später dann Industrien wie der Maschinenbau oder die Automobilbranche die Stützen der Wirtschaft. Mit dem Aufkommen breitbandiger Internet-Verbindungen und vielfältiger IT-Innovationen müssen sich diese und andere Industrien neu aufstellen und vor allem den Umgang mit ihren Kunden überdenken. Nach Einschätzung von Tata Consultancy Services (TCS) nutzen derzeit die 2000 größten Unternehmen der Welt vor allem folgende fünf Technologien, um ihre Geschäftsmodelle zu überarbeiten und neue Produkte auf den Markt zu bringen: Big Data/Analytics, Cloud Computing, Mobile und Pervasive Computing, Social Media sowie Robotik in Verbindung mit künstlicher Intelligenz.
Inwieweit Unternehmen die Neuorientierung zu einer Digital Consumer Economy bereits vollzogen haben, zeigt der aktuelle Global Trend Report von TCS. Im Rahmen der Studie "The Road to Reimagination: The State and High Stakes of Digital Initiatives" wurden vor Kurzem rund 820 international tätige Unternehmen aus Nord- und Südamerika, Europa und dem asiatisch-pazifischen Raum befragt. Die Firmen sind in unterschiedlichen Branchen aktiv wie etwa dem Finanzsektor, der Medien- und Telekommunikationsbranche, der Logistik, der Konsumgüterindustrie oder der Automobilproduktion.
Digitale Wege zum Kunden
Wichtigste Erkenntnis der Studie ist: Die überwältigende Mehrheit der Unternehmen (95 Prozent) betrachtet digitale Technologien als zentrales Mittel, um mit Kunden und Interessenten in Kontakt treten und deren Vorlieben erfassen zu können. Speziell für die sogenannten Digital Leader, also Unternehmen, die eine Vorreiterrolle beim Einsatz neuer IT-Lösungen und der entsprechenden Ausrichtung von Geschäftsprozessen und Produkten übernommen haben, genießt das bessere Kundenverständnis höchste Priorität. In Europa nutzen die Unternehmen dazu vorzugsweise mobile Apps (50,2 Prozent). Außerdem analysieren sie Beiträge von Usern auf SocialMedia-Plattformen wie Facebook, Google+ oder Twitter (49,3 Prozent).
Künftig werden weitere Tools und Techniken Social-Media-Analysen und Apps auf Smartphones und Tablets ergänzen oder ablösen. Denn es geht darum, die Anforderungen und Wünsche von Konsumenten möglichst "in Echtzeit" zu ermitteln. TCS zufolge wollen im Jahr 2020 bereits 62 Prozent der befragten Unternehmen Wearables dafür nutzen. Dazu zählen Smart Watches und Kleidung mit integrierten elektronischen Geräten (E-Clothes), Datenbrillen, FitnessTracker und portable Miniaturkameras wie etwa Action-Cams.
Ein Alarmzeichen ist, dass laut der TCS-Trendstudie Deutschland das einzige Land in Europa ist, in dem die Mehrzahl der Unternehmen (60 Prozent) 2014 keine digitalen Produkte oder Services auf den Markt gebracht haben. Zum Vergleich: Im asiatisch-pazifischen Raum waren es 73 Prozent, in Lateinamerika 74 Prozent der Unternehmen. In Europa liegt Deutschland diesbezüglich klar zurück, beispielsweise hinter den französischen Nachbarn: Dort stellten im vergangenen Jahr fast zwei Drittel der Unternehmen (65 Prozent) digitale Produkte und Services vor.
Doch auch in Deutschland schlafen die wichtigen Branchen nicht: In der Automobilbranche etwa sind zusehends mobile Lösungen im Einsatz, die beispielsweise die Machine-toMachine-(M2M-)Kommunikation vorantreiben oder relativ jungen Technologien wie Augmented Reality in Bereichen wie der Produktentwicklung zu erster Blüte verhelfen.
Was Leader unterscheidet
Die TCS-Studie beschäftigt sich auch mit der Frage, was die Vorreiter von den Nachzüglern im Bereich der digitalen Initiativen unterscheidet. Zahlen sich Investitionen an dieser Stelle messbar aus? Demnach verzeichneten Firmen, die sich intensiv auf den Wandel in Richtung Digital eingestellt haben, zu 50 Prozent einen Umsatzanstieg. Bei den Nachzüglern konnten nur etwa 20 Prozent mit einem Einnahmenplus aufwarten.
Ein weiterer Unterschied betrifft das Investitionsverhalten. So gaben die Vorreiter rund 17 Prozent des Budgets, das für digitale Technologien vorgesehen war, für Cloud Computing aus, bei den Followern waren es nur zwölf Prozent. Interessanterweise lagen aber die Ausgaben für Big Data bei den Nachzüglern mit 29 Prozent im Vergleich zu den Leadern (24 Prozent) höher.
Nach Einschätzung von TCS deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass Unternehmen, die eine ausgefeilte digitale Strategie verfolgen, einen Großteil der dafür notwendigen Infrastruktur mieten, etwa in Form von Cloud-Services. Dies sind beispielsweise Rechenleistung und Speicherkapazitäten, aber auch Big-DataAnalyse-Kapazitäten, deren Preise im Falle des Frembezugs deutlich sinken.
Insgesamt geben die Vorreiter im Schnitt rund 290 Millionen Dollar für digitale Initiativen aus, die Follower hingegen nur 93 Millionen Dollar. Irritierend ist der Studie zufolge, dass deutsche Unternehmen durchschnittlich nur 76 Millionen Dollar in solche Aktivitäten investierten. Mit anderen Worten: Die Deutschen investieren im Mittel nur rund ein Viertel dessen, was international führende Unternehmen für digitale Technologien vorsehen.
Wie es zu dieser Zurückhaltung kommt, darüber kann auch die Studie nur spekulieren. Eine These lautet beispielsweise, dass Unternehmen hierzulande einen zu großen Teil ihres Budgets an den Betrieb vorhandener, teils proprietärer IT-Infrastrukturen gebunden haben. Nach Einschätzung von TCS wäre es in vielen Fällen sinnvoll, diese Infrastrukturen zu vereinfachen oder zu verschlanken, um dadurch Ressourcen für digitale Initiativen freizusetzen.
Wichtig: Zentrale Strategie
Es sind jedoch nicht nur die vorhandenen Budgets sowie effiziente IT-Infrastrukturen und Geschäftsprozesse, die für den Erfolg eines Unternehmens in der Digital Consumer Economy entscheidend sind. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist auch eine umfassende zentrale Strategie. Rund 57 Prozent der Unternehmen, die einen Wandel in Richtung Digital mit Erfolg initiiert und umgesetzt haben, verfügen über einen solchen einheitlichen Ansatz. In Deutschland sind es dagegen nur 42 Prozent. Auch in diesem Punkt besteht bei den hiesigen Unternehmen Nachholbedarf.
Abteilungen entscheiden
Ein Phänomen in deutschen Unternehmen ist, dass einzelne Abteilungen oder Business-Funktionen separate digitale Strategien entwickeln. Die Marketing-Abteilung verfolgt beispielsweise einen anderen Ansatz als Vertrieb, Produktentwicklung und Kundenservice. Dies hat Reibungsverluste zur Folge, und diese kann sich heute kaum ein Unternehmen leisten - schon gar nicht, wenn es in hart umkämpften Marktsegmenten aktiv ist.
Unternehmen sollten im Vorfeld genau prüfen, welcher Nutzen sich durch den Einsatz digitaler Technologien für sie ergibt und wie dieser nachhaltig erzielt werden kann. Wichtig ist daher die Entwicklung einer digitalen Agenda, die geeignete digitale Initiativen definiert und den durch den Technologieeinsatz bewirkten Transformationsprozess ergebnisorientiert steuert.
Fazit: Deutschland mit Nachholbedarf
In Deutschland konzentrieren sich Unternehmen darauf, die Digitalisierung im Rahmen von Initiativen wie "Industrie 4.0" voranzutreiben und so beispielsweise ihre Produktionssysteme mit Kunden und Zulieferern stärker zu verzahnen. Das ist auf die besondere Rolle des Produktionssektors hierzulande zurückzuführen.
Allerdings sollten deutsche Firmen die wachsende Bedeutung von digitalen Initiativen in anderen Bereichen erkennen, etwa bei der Kundenansprache oder der Entwicklung digitaler Produkte und Dienstleistungen. Auf diesen Gebieten besteht in Deutschland ein Nachholbedarf.