Professor Helmut Krcmar von der TU München stellte den CIOs 2015 die gleiche Frage wie schon 2014: "Was hält dich nachts wach?" Der Move-Gründer meint damit: Welche beruflichen Herausforderungen sind so spannend - oder so bedrohlich, dass sie einen auch dann noch beschäftigen, wenn der rechtschaffende CIO eigentlich schlafen sollte. Die Antworten sind so vielschichtig, dass sie wieder ein ganzes Buch gefüllt haben. Grob zusammengefasst lässt sich aber sagen: Alle grübeln über der Frage, wie sie ihre Geschäftsmodelle digitalisieren. Manche mehr, manche weniger.
Zum Video: Digitalisierung muss branchenorientiert sein
Edgar Aschenbrenner, CIO E.ON
"Die Digitalisierung unseres Unternehmens beginnt im C-Level"
Die Antworten sind branchenabhängig. Eine zweite Frage des Professors lautete auch 2015: "Wie reif ist dein Unternehmen in punkto Digitalisierung?" Eins steht für wenig digitalisiert, fünf steht für viel digitalisiert. Wer nah an der Fünf liegt, schläft in aller Regel besser, weil sein Unternehmen besser aufgestellt ist. Der Durchschnitt unter den 40 CIOs liegt bei 3,7.
"Jungs, ihr steht erst ganz am Anfang der Digitalisierung"
Nur ein CIO gab sich 2015 eine Eins: Peter Sany war zum Befragungszeitraum noch bei der Swiss Life. Er ist Experte für die Frage, welche Branche sich eigentlich am meisten um die eigene Zukunft sorgen sollte. Sany war CIO bei Novartis, Deutsche Telekom und Swiss Life, CTO bei der UBS und General Manager bei IBM. Seit dem 1. März ist er Präsident und CEO des "TeleManagement Forums", einem weltweiten Branchenverband von 900 IT- und Telekommunikationsanbietern mit Sitz in New Jersey. Sany kann also gut vergleichen. Er ruft seinen Ex-Versicherungskollegen zu: "Jungs, ihr steht erst ganz am Anfang der Digitalisierung."
Zum Video: Digitalisierung muss branchenorientiert sein
Dirk Müller, CIO Haniel
"Ich bin der Sparring-Partner für den CEO"
Von der Swiss Life wechselt Sany wieder in ein Metier, in dem in punkto Digitalisierung deutlich mehr passiert als in der Versicherungsbranche. Obwohl eigentlich prädestiniert dafür, ein Vorzeigekandidat der Digitalisierung zu werden, schaffen die Versicherer es nicht, ihre ohnehin digitalen Services auch als solche zu verkaufen. Lieber pflegen die CIOs dieser Branche ihre Cobol-Systeme, als ernsthaft neue Online-Angebote anzugehen. Das liegt zum Teil auch an den Dienstleistern. Schon Thomas Noth, beim Move 2014 noch CIO des drittgrößten deutschen Versicherungskonzerns Talanx, raunte damals: "Jede Branche hat die Anbieter, die sie verdient."
Zum Video: Digitalisierung muss branchenorientiert sein
Michael Nilles, CIO Schindler Group & CEO Schindler Digital Business AG
"Die Digitalisierung hilft uns dabei, Ausfallzeiten bei den Fahrstühlen zu minimieren."
Edgar Aschenbrenner, CIO bei Eon, sagt stolz, dass sein Unternehmen ein Pionier der Digitalisierung bei den Energieversorgern sei: "…obwohl es weiterhin ein herausfordernder Weg in die Zukunft ist." Seine Firma mit ihren 120 Milliarden Euro Umsatz digitalisiert an fünf Fronten:
Seit 2014 gibt es eine "Digital Solution Unit".
Ein neues "Analystics Data Lab" gräbt tief in den Daten.
Eon schimedet Allianzen im Silicon Valley. An zehn Firmen ist der Energieversorger auch finanziell beteiligt.
Im "Smart Grid Solution Center" grübeln Forscher, wie sie ihr Netz schlauer machen. Eon hat in Schweden gerade 120000 Smartmeter installiert und den Kunden dabei auch PDAs überreicht, mit denen sie ihren Energieverbrauch überwachen.
Eon investiert massiv in IT-Security, damit die Digitalisierung nicht irgendwann das Kerngeschäft gefährdet.
Aschenbrenner müsste also gar nicht so hart mit sich ins Gericht gehen. Was die 60.000 Eon-Mitarbeiter angeschoben haben, ist weit mehr als andere Traditionskonzerne. Trotzdem gibt sich Aschenbrenner nur eine Zwei, genauso wie Philipp Lübcke, CIO von Mainova, einem regionalen Energieversorger aus Frankfurt: "Wir haben gerade ein Drittel unserer Kunden online angebunden. Das ist für die eine ganz neue Nutzererfahrung."
"Für die Digitalisierung sollst du dein Verhalten ändern, deine Prozesse, deine Gewohnheiten"
Ganz so vorsichtig wie die Deutschen stufen sich die ausländischen Energieversorger nicht ein: Robert Redl, CIO von EVN aus Österreich, dessen Strom hauptsächlich aus Wasserturbinen stammt, gibt sich eine Vier. Wei Youshuang, CIO des chinesischen Energiekonzerns ENN, liegt ebenfalls bei Vier. Seine 30.000 Kollegen verteilen Gas in China. Youshuangs Credo: "Für die Digitalisierung sollst du dein Verhalten ändern, deine Prozesse, deine Gewohnheiten."
Eine salomonische Drei gibt sich Dirk Müller, CIO beim Family-Equity-Unternehmen Haniel. Das Unternehmen gründet auf einem diversifizierten Unternehmensportfolio, dessen Wertentwicklung permanent der Frage einer langfristigen und nachhaltigen Gestaltung folgt. Nach dem Verkauf des Pharmahändlers Celesio an den US-Konzern McKesson in 2014 ist Haniel nun im Investmentmodus. Ein erster erfolgreicher Zukauf ist der Erwerb des belgischen Unternehmens Bekaert Textiles im Juni 2015.
Im Rahmen des Due Diligence-Verfahrens wird unter anderem auch die digitale Reife der jeweiligen Übernahmekandidaten beurteilt. Dies wiegt umsoschwerer, da hier die Abschätzung der langfristigen Entwicklungsperspektive eines Unternehmens auf die Dynamik der sich vollziehenden digitalen Transformation trifft. Derzeit gehören fünf Geschäftsbereiche zum Haniel-Portfolio, die das operative Geschäft eigenständig verantworten und in ihren Bereichen marktführende Positionen halten. "Aus meinem Bereich bieten wir den Kollegen Unterstützung für Services und Management rund um die digitale Transformation an. Wir analysieren gemeinsam, wo wir gegebenenfalls Prozesse, Anwendungen oder auch Organisationen im Sinne der digitalen Transformation gestalten können". Dazu zählt auch, Hypes und nachhaltige Trends trennscharf zu unterscheiden, wenn es um neue IT-Technologien geht, die der Transformation eines Unternehmens wirklich helfen können. "Im Grunde", so Müller, "ist meine Rolle, die wirklichen Trends herauszufiltern, daraus abgeleitet Ideen an das Business zu liefern und in diesem Sinne dem CEO ein Sparringspartner zu sein".
Damit zählt Müller definitiv nicht zu den 28 Prozent deutscher IT-Chefs, die aktuell um ihren Einfluss auf Executive-Ebene fürchten. Weltweit sind es laut Brocade sogar 38 Prozent. Allerdings gehört der Informatiker auch nicht gerade zu den repräsentativen Retail-CIOs. Die meisten seiner Branchen-Kollegen haben ihre Mühe, Kassen- und ERP-Systeme auf dem Stand der Dinge zu halten. Die Zusammenführung von Onsite- und Online-Systemen zählt dabei zu den Mammutaufgaben – jedenfalls für die Retailer, die überhaupt schon online handeln. In weiten Teilen der Welt sind die Händler davon noch weit entfernt. Der Branche insgesamt wäre mit einer Drei übertrieben geschmeichelt.
Als Grundlage der Digitalisierung aller Branchen sieht Dr. Ferri Abolhassan, T-Systems Geschäftsführer und Leiter der IT-Division, die Cloud. "Denn digitale Transformation heißt vor allem, gigantisches Datenaufkommen zu managen. Nur mit der Cloud können solche Datenmengen zentral gesammelt, gespeichert und in Echtzeit ausgewertet werden. Und so kommen innovative Technologien der Digitalisierung wie IoT, Big Data & Co. erst zum Tragen. Aber", so Abolhassan: "Wann profitieren Unternehmen denn wirklich von der Cloud? - Doch nur, wenn sie ihnen Skalierbarkeit, Sicherheit und Kostenvorteile in einem bringt. Und im Idealfall den strengen Datenschutz des Gesetzgebers". Das jedoch braucht einen Partner, "der Transformation in jeder Größenordnung über den gesamten IT-Stack managen kann - von der Infrastruktur über die Applikationen bis zu den Devices". "Das schütteln Sie nicht mal eben so aus dem Ärmel", meint der Informatiker nach zehn Jahren Transformationserfahrung. "Dazu brauchen Sie die richtige Mannschaft, das Technologie- und Prozess-Know-how. Ausserdem hochperformante Rechenzentren und natürlich ein leistungsfähiges Netz. Denn unterm Strich muss die Cloud immer einfach, sicher und bezahlbar sein".
"Ein wachsendes Feld an Simulation"
Die meistgewählte Selbsteinschätzung ist - wie schon 2014 - wieder die Vier. 14 von 40 internationalen CIOs stufen sich auf diesem Niveau ein. Beispiele für diese Einschätzung stammen aus allen Branchen:
Tunç Noyan, CIO von Erdemir, einem türkischen Produzenten von Stahl, bezeichnet sein eigenes Unternehmen als traditionell. "Wir sind immer noch ein Hersteller. Bei der Digitalisierung wollen wir als erstes die Kommunikation in unserem Unternehmen verbessern."
Sundi Balu, CIO des australischen Telefonanbieters Telstra mit Sitz in Hongkong, könnte sich eigentlich eine Fünf geben, denn alle seine Services sind bereits digital. Er zögert jedoch: "Die Hauptherausforderung ist alle Regionen auf ein konsistentes Prozess- und Datenmodell zu bringen."
Hajo Popp, CIO des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), dem deutschen Äquivalent zur amerikanischen NASA, sagt über die Arbeit seiner 8.000 Kollegen aus der Forschung "Digitalisierung heißt für uns vor allem ein wachsendes Feld an Simulation. Wir brauchen mehr Rechenleistung. Wir brauchen große Datenvolumen."
Michael Nilles, CIO des Aufzugherstellers Schindler aus der Schweiz, spricht für alle Vertreter der Fertigungsindustrie. Der Trend geht dort weg von Produkten, hin zu Service. Schon heute verdient Schindler deutlich mehr mit der Wartung von Aufzügen und Rolltreppen als mit der Neuinstallation. Jetzt ist er auf dem Sprung zu ganz digitalen Services: "Wir haben eine App entwickelt, wenn Sie mit der ein Gebäude betreten, weiß der Aufzug, wer Sie sind und wo Sie hin wollen."
Natürlich gab es auch in diesem Jahr wieder ein paar CIOs, die sich jetzt schon auf der Stufe Fünf sehen. Die Vertreter von Banken-, Transport- und der Automobilbranche zählen sich dazu, aber auch Matthias Moritz, CIO des spanischen Sundi Balu, CIO des australischen Almirall. Er sammelt Beispiele für den Wandel von analog zu digital, um Mitarbeiter und Vorstand von der Notwendigkeit der Digitalisierung zu überzeugen. Sein Lieblingsbeispiel zählt dabei allerdings nicht zu den gesundheitsfördernden: "Eine Zigarette bestand mal aus Tabak und war ein analoges Produkt, jetzt ist es elektronisch und digital. Das sind die Beispiele, die jeder sofort versteht."
Wie lässt sich wieder Vertrauen in das Internet schaffen?
Alan Marcus vom Weltwirtschaftsforum treibt übrigens die Frage um, wie das Vertrauen in das Internet wieder zu heben sei. Die Spitzeleien der NSA haben das Vertrauen weltweit erschüttert, das hat auch Marcus beobachtet. Das World Economic Forum unterstützt deshalb die Initiative Netmundial.org, die sich seit 2014 für Bürgerrechte im Internet einsetzt. Noch ist die Initiative klein, aber es werden stetig mehr Menschen, die das Thema nachts nicht schlafen lässt.