Unter den Vorzeichen von Industrie 4.0 und Smart Services werden immer mehr Anwenderunternehmen zu Softwareschmieden. Das hat nicht nur Constantin Kontargyris, CIO des TÜV Rheinland, festgestellt. Ulrich Dietz, Vizepräsident des Industrieverbands BITKOM und Vorstandsvorsitzender der GFT Technologies AG, pflichtete ihm bei: "Auch die IT-Geschäftsmodelle werden sich ändern. Die typischen Softwarefirmen wird es nicht mehr geben. Und Anwender werden zu IT-Firmen."
Fertigungsbetriebe wie Bosch, Kuka und Trumpf sind die Vorreiter dieser Entwicklung. Aber viele Unternehmen sind längst noch nicht so weit. Und die Rede ist hier nicht nur vom viel gescholtenen Mittelstand, der sich verschiedenen Studien zufolge mit dem Thema Digitalisierung noch viel zu wenig beschäftigt.
Auch die CIOs von größeren Unternehmen müssen Reihe von Herausforderungen meistern, wenn sie Veränderungen in dieser Hinsicht anstoßen wollen. "Es ist schwierig, Mitspieler zu finden, die da mitmachen wollen", weiß Kontargyris.
Michael Nilles, CIO des Aufzugspezialisten Schindler, kann da nur zustimmen: "Sie müssen jemanden im Unternehmen finden, der das gutheißt und vorantreibt." Eine "andere Denke" aus den etablierten Konzernstrukturen heraus zu entwickeln sei schwierig genug.
Sicherheit im Sinne von Safety
Und noch etwas anderes ist aus Nilles' Sicht höchst difizil: Bei Industrie 4.0 spiele das Thema Sicherheit eine außerordentlich wichtige Rolle - und zwar nicht nur im Sinne von Security, sondern auch im Sinne von Safety. "Diese Art von Sicherheit gehört zu den Grundwerten unseres Unternehmens." Aber die Technologie der smarten, miteinander verbundenen Produkte sei hier noch nicht auf Stand.
Eine Schwierigkeit konventioneller Projekte ist bei Digitalisierungsvorhaben allerdings nur von nachgelagerter Bedeutung: Die Aufrechnung von Kosten und Nutzen in Form eines harten Business Case ergibt dort häufig keinen Sinn - oder ist sogar unmöglich. Wie BITKOM-Vize Dietz es formulierte: "Nicht ewig rumdiskutieren." Lieber machen! "Nur iterativ und experimentell kommt man voran."
Nicht pauschal in die Tonne treten
Thomas Endres, Vorsitzender des VOICE-Präsidiums, riet den Unternehmen, zunächst einmal zu unterscheiden, welche Prozesse und Geschäftsmodelle überhaupt wie verändert werden sollten: "Es ist nicht gut, die eigene Firma pauschal in die Tonne zu treten." Sprich: Es gibt Themen, wo mit Digitalisierung kaum etwas zu erreichen ist, weil sie entweder veränderungsresistent oder Kandidaten für reine Optimierungen sind. Die erste Kunst ist also die, zu unterscheiden, wo Digitalisierung Not tut oder überhaupt sinnvoll ist.
Hat sich das Unternehmen dann für eine Digitalisierung entschieden, sollte es aber schnell gehen, rät Endres. Als Beschleuniger könnten sich Standards erweisen. Aber hier habe die Politik einen Riegel vorgeschoben: "Man darf ja quasi nicht mehr miteinander reden, weil das nicht compliant ist." Will sagen: Absprachen mit Konkurrenten geraten leicht in den Verdacht der Kartellbildung.
An dieser Stelle schaltete sich Andreas Goerdeler vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) ein: In solchen Fällen müsse die Gruppenfreistellungverordnung greifen, schlug er vor. Diese Regelung im EU-Recht begünstigt unter Umständen den Austausch wettbewerbsbeschränkender Unternehmen.
Angriff an der Kundenschnittstelle
Gerade größere Unternehmen tendieren dazu, ihre Geschäftsmodelle von unten bis oben selbst entwickeln zu wollen. "Und dann müssen sie schmerzlich erfahren, wenn diejenigen an ihnen vorbeziehen, die sich nur auf die kundennahen Schichten konzentrieren", gab Helmut Krcmar, Informatikprofessor an der TU München, zu bedenken. Nur Standards mit offenen Schnittstellen ermöglichten es, auf unterschiedlichen Ebenen der Wertschöpfungskette einzusteigen.
Aber wer kann solche Standards entwickeln? Von den 91.000 IT-Unternehmen in Deutschland haben so etwa 90.800 weniger als zehn Mitarbeiter, so Dietz. Um Standards durchsetzen, brächte es jedoch mehr "Flugzeugträger", also große Konzerne. Und das BMWi sollte hier ebenfalls "Führungsstärke" zeigen. Endres schlug sogar vor, die öffentliche Hand sollte ihre enorme Einkaufskraft nutzen, um die IT-Industrie zur Schaffung von Standards zu bewegen.