Denglisch

Doof sind immer die anderen

07.09.2015 von Nicolas Zeitler
Bugfixing, Business Intelligence, SaaS: Englische Begriffe beherrschen die IT. Ohne sie gelänge die Kommunikation besser, sagt Sprachexperte Reiner Pogarell. Er leitet das Paderborner Institut für Betriebslinguistik und berät Unternehmen, wie sie die Kommunikation verbessern können.
Reiner Pogarell, Leiter des Instituts für Betriebslinguistik: "Wenn technische Neuerungen aufkommen, müssen wir dafür einen Begriff in unserer Sprache finden."
Foto: Reiner Pogarell, Institut für Betriebslinguistik

Am Ende war Reiner Pogarell dem Kind fast dankbar, dass es seinen Satellitenempfänger heruntergeworfen hat. Der Sprachwissenschaftler musste sich im Elektromarkt einen neuen Empfänger kaufen und stellte sich schon "auf einen schlimmen Abend" ein. Dann die Überraschung: Beschriftungen und Betriebsanleitung waren durchweg in verständlichem Deutsch verfasst. "In 15 Minuten hatte ich alles installiert", erzählt Pogarell. Dank des kleinen Rabauken hatte der Leiter des Paderborner Instituts für Betriebslinguistik wieder einmal die Bestätigung erhalten für seine wichtigste Botschaft: Anglizismen sind fast immer überflüssig. In vielen IT-Abteilungen allerdings habe sich diese Erkenntnis noch nicht durchgesetzt, sagt Pogarell.

Zusammen mit seinen Mitarbeitern am Institut für Betriebslinguistik (IFB) berät der studierte Linguist und Pädagoge seit Ende der 1980er-Jahre Unternehmen darin, die Verständigung unter den Mitarbeitern, aber auch die Kommunikation nach außen zu verbessern. Der Leitsatz des anfangs an der Universität Paderborn angesiedelten und seit 1990 selbstständigen Instituts lautet "Zielwirksam schreiben und sprechen". In vielen IT-Abteilungen und auch bei den IT-Töchtern großer Konzerne hat Pogarell diesen Satz schon gepredigt.

IT-Experten haben sich mit Fachenglisch "eingeigelt"

Nötig sei das nach wie vor, sagt er. Zwar sei seit gut 13 Jahren die große Begeisterung in Deutschland für Anglizismen etwas abgeklungen, vorbei die Zeit, als sich jedes neu gegründete Unternehmen einen jung klingen wollenden Namen gab und englische Sprüche die Fernsehwerbung dominierten. Doch in der Informationstechnik sei unnötiges Englisch nach wie vor üblich. "Die EDV-Leute haben sich damit ganz schön eingeigelt", meint Pogarell.

Die Klagen über schlechte Verständigung zwischen IT-Abteilung und dem Rest des Unternehmens sind keineswegs neu. Regelmäßig ergeben Umfragen und Studien, dass es vielerorts an der Abstimmung von IT- und Firmenstrategie hakt - die treffenderweise mit dem Begriff Business-IT-Alignment umschrieben wird. Häufiger Grund: Man spricht nicht dieselbe Sprache. Das Problem ist bekannt und doch noch lange nicht gebannt.

Das erfuhr Pogarell erst wieder, als er die Mitarbeiter des IT-Supports in einem kleineren Unternehmen schulte. Das Seminar begann damit, dass die PC-Betreuer in wahre Schimpforgien über ihre Kunden ausbrachen. Einer erzählte, eine Mitarbeiterin habe auf seine Aufforderung hin doch tatsächlich das Fenster geöffnet - das zum Hof, nicht eines auf dem Bildschirm. "Die fielen über die Anwender her, als ob alle doof wären", erinnert sich Pogarell. "Dabei wurde überall deutlich, dass sich die Computerleute einfach nicht klar ausdrücken."

IT schimpft über "dümmste anzunehmende User"

Seine Methode in solchen Fällen: den IT-Experten Situationen vor Augen führen, in denen sie sich selbst so fühlen wie die, die sie sonst gern als "DAU" beschimpfen - als dümmsten anzunehmenden User. Dazu könne es bei manchem schon ausreichen, wenn er sich in einer fremden Stadt einen Fahrschein für den öffentlichen Nahverkehr am Automaten lösen müsse.

Geholt wird Reiner Pogarell in den meisten Fällen von der Unternehmensleitung, nicht von der IT-Abteilung, die er letztlich schult. Denn die Technikleute machen ja aus ihrer Sicht alles richtig, doof sind die anderen. "Ich kenne keinen anderen Bereich, der sich das Leben so schwer macht", sagt der Sprachexperte. IT-Fachleute in Unternehmen seien ohnehin wenig beliebt. Wenn Anwender sie anrufen, haben sie meist schon einige Zeit selbst versucht, ihr Computerproblem zu beheben, und dabei Frust aufgestaut. Bombardiere der Betreuer den von ihm sogenannten "User" dann noch mit "Denglisch", sei der Konflikt abzusehen.

Reiner Pogarell unterstellt den Mitarbeitern am Helpdesks und im Support nicht einmal bösen Willen. "Die sind ja auch nicht verliebt in ihre Fachsprache, aber sie ist eben einfach normal für sie", sagt er. Oft sei es reine Bequemlichkeit, sich auf einen englischen Fachbegriff zurückzuziehen, der nach eigenem Dafürhalten ja eingeführt und für jeden verständlich sei. Bequemlichkeit, mit der sich die IT-Abteilung letztlich keinen Gefallen tut.

Einmal erzählte man ihm in einer IT-Abteilung einhellig, den Begriff "Subject" für die Betreffzeilen in E-Mails könne man nicht austauschen, der sei im Unternehmen so üblich und festgelegt. Reiner Pogarell fragte bei der Firmenleitung nach: Natürlich sei es erlaubt, stattdessen vom Betreff zu sprechen, erfuhr er.

Laut einer Umfrage des Freiberufler-Portals Gulp sind IT-Experten gar nicht so versessen auf englische Begriffe, wie man denken könnte. Fast die Hälfte findet Anglizismen überflüssig und sogar peinlich.
Foto: Gulp

Bei der IT-Tochter eines Konzerns taten sich die Mitarbeiter schon schwer damit, dem Sprachtrainer zu erklären, was sie überhaupt taten. "Support von PCs", lautete die immergleiche Antwort. Erst nach einigem Nachfragen gelang es Pogarell, eine neue Formulierung für die Arbeit der IT-Mannschaft zu finden: "Wir sorgen dafür, dass 26.000 PCs laufen", hieß es fortan. Eine unspektakuläre Änderung, die aber die IT vor unkundigen Anwendern in ein völlig anderes Licht rücke. Mitarbeiter in IT-Abteilungen öffneten sich nach anfänglicher Gegenwehr denn auch meist sehr schnell für seine Vorschläge, sich statt auf Fachenglisch lieber auf Deutsch auszudrücken.

Für diese Offenheit spricht auch eine Umfrage, die das IT-Freiberufler-Portal Gulp.de veröffentlicht hat. Nur etwas mehr als die Hälfte der Teilnehmer hält Anglizismen im Arbeitsleben für hilfreich und verwendet sie gern - auch, weil sie die Kommunikation vereinfachten. Der mit 48 Prozent nur unwesentlich geringere Teil der Befragten stimmte dagegen der Aussage zu, englische Ausdrücke seien unnötig und peinlich. Es gebe ja auch deutsche Wörter dafür.

Datenstift statt USB-Stick

Die muss allerdings selbst ein Sprachexperte wie Reiner Pogarell manchmal erst finden. Ein deutscher Ausdruck für Tablet-PCs? Da muss er spontan passen. In solchen Fällen dürfe man aber das Bemühen um einen deutschen Begriff nicht aufgeben. Die deutsche Sprache sei ein Kulturgut, das man erhalten müsse - auch in der Welt der Bits und Bytes. "Wichtig ist, wenn wir technische Neuerungen haben, dass die auch in unserer Sprache entstehen", sagt Reiner Pogarell.

Als Beispiel nennt er den Auto-Airbag. Von Mercedes Benz erfunden, habe die Schutzvorrichtung zunächst den einleuchtenden Namen "Prallkissen" getragen. Erst kurz vor der Markteinführung habe man den Luftsack umbenannt in Airbag. "Mit der Folge, dass heute viele gar nicht wissen, dass das eine deutsche Erfindung ist", sagt Pogarell. Fasziniert zeigt er sich da, wenn sich neue deutsche Begriffe etablieren. Die Rohlingspindel, auf der CDs zum Selbstbrennen verkauft werden, sei vor einigen Jahren so ein Beispiel gewesen.

Pogarells Kritik an unbedachtem und überflüssigem Einsatz von Englisch fängt schon bei auf den ersten Blick ganz harmlosen Begriffen an. Warum USB-Stick sagen? "Ich nenne das Datenstift", sagt er. "Das ist doch eine ganz einfache Sache: Stick heißt Stift, kombiniert mit dem Begriff Daten weiß jeder, was gemeint ist." Auch das Wort Chat für Unterhaltungen übers weltweite Datennetz lehnt der Sprachpfleger ab. "Im Deutschen denkt man, das klingt so modern, dabei ist das ein ganz altbackenes englisches Wort für Plaudern", sagt Pogarell.

Kein Feierabend beim Kampf gegen Denglisch

Den Kampf gegen seiner Ansicht nach unnötige englische Begriffe wird er weiter führen - beruflich am Institut für Betriebslinguistik wie auch privat. Sein Sohn ist Programmierer. "Ich frage mich immer wieder, warum er sich nicht so ausdrücken kann, dass auch ich es verstehe", sagt Reiner Pogarell.