Ein eher unscheinbares Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster hat das Potenzial, das Verhältnis von Krankenhäusern, Apotheken und Internet-Handel umzuwälzen. Die Münsteraner Richter haben entschieden, dass eine Versorgung von Krankenhäusern mit Medikamenten über eine Distanz von mehr als 200 Kilometern genehmigt werden soll.
Damit wird womöglich eine Regelung aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts gekippt, nach der in Deutschland der Apothekennachschub für die Krankenhäuser aus allergrößter Nähe organisiert werden muss. Das bedeutet, wie Klaus Tönne, Geschäftsführer des ADKA (Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker) im Gespräch mit CIO Healthcare-IT erläutert, dass bisher das Regionalprinzip gültig ist: Alles soll so rasch wie möglich geliefert werden. Laut Tönne wird dieses Prinzip so interpretiert, dass man von bis zu einer Stunde Lieferzeit ausgeht. Damit kommen nur Apotheken aus der direkten Umgebung des jeweiligen Krankenhauses zum Zuge.
Tönne führt näher aus: "Damals war der erklärte Wille des Gesetzgebers, die Belieferung durch Versandapotheken an Krankenhäuser quer durch die Republik zu unterbinden und durch eine ortsnahe, beratungsintensive Versorgung durch Apotheken zu ersetzen." Diese Reform des § 14 Apothekengesetz habe sich über die letzten Jahrzehnte bewährt: "Selbst der Versuch der Europäischen Kommission, dieses Prinzip aufzuheben, wurde vom Europäischen Gerichtshof in eindrucksvoller Weise abgelehnt. Umso mehr reibt man sich die Augen, wenn jetzt ein deutsches Oberverwaltungsgericht ansetzt, hier alten und überholten Rechtsnormen wieder zum Leben zu verhelfen."
Die im ADKA organisierten Apotheker stört es, dass nun der Radius der Lieferanten vergrößert wird und damit bestehende Geschäftsbeziehungen einschließlich gegebener Qualitätsstandards tangiert sind. Die "von der Politik gewollte orts- und zeitnahe Arzneimittelversorgung der Krankenhauspatienten" sei "akut gefährdet".
Die Auseinandersetzung erinnert nicht zufällig an den Konflikt zwischen klassischen Apotheken "um die Ecke" und den seit einigen Jahren auch hierzulande präsenten Internet-Apotheken. Inzwischen werden viele Produkte, nicht nur die aus der Apotheke, über das Web ausgesucht, begutachtet und bestellt. Was man sich früher nur über einen Besuch im Warenhaus, Supermarkt oder Fachgeschäft besorgen konnte, geht heute mit ein paar Klicks im Browser. Auch das klassische Versandgeschäft per Katalog hat darunter gelitten.
Klassische Apotheken im Verteilungskampf
Warum also nicht auch Pflaster, Hustensaft, Kamillentee oder nicht verschreibungspflichtige Medikamente? Als Gefahren für diese Sorte von Einkäufen über das Internet werden gemeinhin Missbrauch oder fehlende persönliche Beratung genannt. Manche sprechen auch von einem überholten Statusdenken der Apotheker.
Internet-Apotheker verweisen umgekehrt auf ihre Beratungsleistungen – und auf ihre in der Regel niedrigeren Preise. Und selbst für rezeptpflichtige Medikamente sind inzwischen Mittel und Wege gefunden worden, um Schummeleien auszuschließen oder zumindest einzugrenzen. Erfolgreiche Web-Apotheken wie Doc Morris, die aus den Niederlanden stammt, haben sich inzwischen sogar einfallen lassen, mit Apotheken vor Ort zusammen zu arbeiten.
Inzwischen sollen es über 100 Partnerapotheken sein. Eine erste eigene Apotheke in Saarbrücken musste Doc Morris wegen des sogenannten Fremdbesitzverbots für Apotheken in Deutschland wieder schließen.?
Internet-Apotheken sind in Deutschland genehmigungspflichtig. Eine Liste aller offiziell zugelassenen Versandhändler findet sich bei DIMDI (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information), einer dem Bundesgesundheitsministerium untergeordneten Behörde: Übersicht der Versandapotheken.
Schlachtfeld der unterschiedlichen Wirtschaftsinteressen
Darüber hinaus haben sich einige von ihnen ebenfalls in einem Interessensverband zusammengeschlossen, dem BVDVA (Bundesverband Deutscher Versandapotheken). Und um das Schlachtfeld der unterschiedlichen Wirtschaftsinteressen noch unübersichtlicher zu machen, mischen noch zwei weitere Gruppen mit: die ABDA (Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände) und der BVKA (Bundesverband klinik- und heimversorgender Apotheker).
Wie weit das Urteil des OVG Münster in der Lage ist, die bestehenden Fronten aufzuweichen, muss sich zeigen. Die zitierte Reaktion des Geschäftsführers des ADKA lässt allerdings aufhorchen. Ein Einfallstor für den Versand- und Internet-Handel könnte geöffnet sein.