Spätestens seit der Corona-Pandemie haben sich viele Unternehmen darauf fokussiert, ihren Betrieb resilienter und anpassungsfähiger zu machen. Damit hat sich Agilität in der Wahrnehmung von Führungskräften vom Trendbegriff zur Grundlage langfristiger Erfolgsfähigkeit entwickelt, wie der "Future Organization Report 2020" zeigt.
Die Studie führte die Unternehmensberatung Campana & Schott mit dem Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen durch. Darin gaben Befragte aus agilen Unternehmen an, besser mit den Umwälzungen der Pandemie zurechtzukommen als andere. Gleichzeitig führten mehr Organisationen agile Methoden ein, um mittel- und langfristigen wirtschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Solche Maßnahmen sind allerdings nur ein erster Schritt in einem umfassenden Transformationsprozess, in dem agile Arbeitsweisen zwar eine wichtige Rolle spielen, aber nicht alleine Erfolg bringen können.
Agile Prozesse machen noch kein agiles Unternehmen
Methoden wie Scrum, Kanban oder Design Thinking helfen Teams dabei, zielorientiert, kundenzentriert und iterativ zu arbeiten. Statt starrer Projektplanung wird schrittweise in kurzen Zyklen optimiert. So können die Mitarbeiter Hindernisse leichter voraussehen und Kundenfeedback berücksichtigen.
Diese Methoden verbessern aber nur bestehende Prozesse. Sie reichen nicht aus, um die Disruptionen dynamischer Märkte abzufangen. Meist arbeiten Teams weiterhin in Silos. Entscheidungswege, Informationsflüsse und Abhängigkeiten zwischen Abteilungen bleiben bestehen.
Das Beispiel Nokia zeigt, dass das nicht ausreicht. Die Wachablösung des einstigen Marktführers durch Samsung und Apple lag nicht daran, dass Nokia an der steten Verbesserung seiner Produkte scheiterte oder in der Produktion von Handys nicht mehr hinterherkam. Vielmehr war das Unternehmen nicht in der Lage, frühzeitig zu erkennen, dass Verbraucher lieber auf Touchscreens statt auf Tasten setzen.
Um auf solche Veränderungen reagieren zu können, ist Agilität auf Business-Ebene notwendig. Damit lassen sich externe Einflüsse als Organisation vorhersehen und schnell darauf reagieren. Prozesse und Strukturen innerhalb eines Unternehmens können bei Bedarf angepasst werden. Will ein Medienkonzern beispielsweise sein Portfolio um einen Abo-basierten Streaming Service erweitern, muss er neue Prozesse für Produktion, Veröffentlichung, Bezahlung und Abrechnung der Inhalte entwickeln und integrieren.
Die Eckpfeiler der Business-Agilität
Viele Unternehmen setzen auf Frameworks wie Objectives und Key Results (OKR) oder das Scaled Agile Framework (SAFe). Damit wollen sie agile Teams übergreifend koordinieren und neue Wertschöpfungsströme erschließen. Die Methodik, um Business-Agilität in skalierter Form einzuführen, ist allerdings weniger entscheidend als die Prinzipien, die dadurch etabliert werden.
Modernes Zielmanagement
Jahrespläne mit langfristig geplanten Aktivitäten, Schwerpunkten und Budgets sind in den dynamischen Märkten von heute nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen gilt es, in Zyklen von wenigen Monaten zu planen und sich auf siloübergreifende Teamziele zu konzentrieren. Das erlaubt es, die Situation regelmäßig neu zu bewerten sowie Ressourcen und Schwerpunkte sinnvoll zu verteilen. So lassen sich schrittweise neue Initiativen, Technologien und Geschäftsmodelle implementieren, testen und bewerten. Das Risiko von Fehlinvestitionen ist geringer.
Auch externe Faktoren wie Kundenfeedback oder eine Pandemie können leichter berücksichtigt werden. In vielen Unternehmen war die Jahresplanung für das Jahr 2020 bereits im März hinfällig. Es ist kein Zufall, dass die Digitalbranche durch die Corona-Pandemie weniger hart getroffen wurde als die Gesamtwirtschaft. Hier sind kürzere Planungszyklen und Anpassungen bereits vorher stärker verbreitet gewesen als in anderen Branchen.
Transparente Zielsetzung
Wenn Ziele nach dem Wasserfall-Prinzip durch Abteilungen und Teams vorgegeben werden, bleibt den Mitarbeitern die übergeordnete Strategie oft unklar. Daher wissen sie nur wenig darüber, wie sie dazu beitragen. Werden Unternehmensziele jedoch transparent über alle Ebenen kommuniziert, sind Teams besser in der Lage ihren Beitrag zu sehen und durch eigene Ideen voranzutreiben. Außerdem können sie so ihre Aufgaben leichter priorisieren.
Dezentrale Entscheidungen
Werden Ziele über alle Ebenen transparent gesetzt, können Mitarbeiter selbstständiger arbeiten. Führungskräfte geben dann keine Teamziele vor, sondern Teams leiten ihre eigenen Ziele daraus ab. So fällt es ihnen leichter, sich untereinander zu koordinieren. Sie können gemeinsame Ziele entwickeln, die auf Unternehmensprioritäten einzahlen und die Wertschöpfung für den Kunden vereinfachen. Der interdisziplinäre Austausch baut wiederum Silos ab und erhöht die Innovationsfähigkeit sowie Geschwindigkeit.
Kundenzentrierung durch Outcome-Fokus
Um schneller auf Marktentwicklungen und Kundenfeedback reagieren zu können, muss auch die Kundenperspektive im Arbeitsalltag stärker berücksichtigt werden. Traditionelle Business-KPIs sind weiterhin wichtig. Als alleiniger Gradmesser führen sie aber dazu, dass Entwicklungen erst erkannt werden, wenn Initiativen am Markt anschlagen und Kunden beispielsweise bereits zur Konkurrenz wechseln. Durch einen stärkeren Fokus auf eine kontinuierliche Wertschöpfung für Kunden lassen sich Leistungen und Services gezielt anpassen oder erweitern. Dies macht es einfacher, neue Kunden anzuwerben und bestehende stärker an das eigene Unternehmen zu binden.
Mindset über Framework
Diese Prinzipien erfolgreich zu verankern, hängt vor allem davon ab, wie schnell sich ein Unternehmen und sein Führungsteam von traditionellen Denkmustern befreien kann. Effizienz und Kostenkontrolle durch langfristige Planung dürfen nicht mehr alleine im Fokus des wirtschaftlichen Denkens stehen. Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit werden wichtiger, um Strukturen und Prozesse auch kurzfristig anzupassen. Nur so lässt sich ein wirksamer Grad an Business-Agilität erreichen, der notwendig ist, um nicht nur auf Marktentwicklungen reagieren, sondern auch gestalten zu können. (jd)