In den vorangegangen Artikeln dieser Serie haben Sie gelesen, was E-Government ist, worin die Vorteile liegen, wo Deutschland im europäischen E-Government-Vergleich liegt.
Ein Fazit vorab: E-Government lohnt sich. Auch wenn die Umsetzung seit des ersten EU-Benchmarks in Europa in den vergangenen eher schleppend und inkrementell verläuft - ganz im Gegensatz zum technologischen Wandel - so ist doch schon einiges passiert: Die Leading Practices in Europa kommen aus Estland, Malta, Österreich, Großbritannien und Dänemark. Aus dem Benchmarking kann also auch ein Bench-Learning-Prozess angestoßen werden.
Behördengang per Smartphone: Mobile first
Es gibt große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Problematisch bei einem Großteil der Services in Deutschland ist, dass man sich lediglich über sie informieren, sie aber nicht online durchführen kann. Beispiele sind die Anmeldung eines Kraftfahrzeugs oder des Hauptwohnsitzes. Online-Terminvereinbarungen werden bereits als Fortschritt verkauft. Dies hat zwar für die Bürger bereits einen Nutzen, unter E-Government versteht und hierzu erwartet man jedoch mehr.
Für die Informationsbeschaffung entscheidend ist auch der Zugangskanal: Mobiltelefone haben sich in den letzten Jahren in unserem Alltag ausgebreitet. Auf dem europäischen Kontinent gibt es, ohne Ausnahme, in jedem Land mehr Handyverträge als Einwohner. Junge Menschen nutzen immer weniger "normale" Internetseiten. Sie benutzen Apps.
Nur jede dritte öffentliche Website ist mobilfähig
Ein entscheidender Faktor der Benutzerzentriertheit ist somit das Vorhandensein mobiler Angebote. In Europa ist nach dem aktuellen Benchmark jedoch nur jede dritte öffentliche Website überhaupt mobilfähig. Umfragen des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering (IESE) belegen, dass Online-Käufe in 30 Prozent der Fälle abgebrochen werden, wenn die Transaktion nicht für das jeweilige mobile Endgerät optimiert ist. Das Bewusstsein der Behörden für mobile Nutzung ist jedoch mangelhaft und wird zum Hindernis, junge Menschen zu erreichen.
Die Vorteile zur Entwicklung und Pflege solcher Anwendungen rechtfertigen selten die damit verbundenen Kosten. Wichtiger erscheint hingegen der Fokus auf die Verbesserung der Online-Kerndienstleistungen des öffentlichen Sektors. Als responsives Design passt sich die Webseite automatisch an das Mobilgerät an und bietet eine angemessene Auflösung, Bildgröße und Scripting. Der Nutzer kann einfacher darauf zugreifen und sich durchklicken, ohne vorher etwas runterzuladen zu müssen.
Öffentliche Verwaltung in UK ist nah am Bürger
Großbritannien als "mobiles Vorbild" in Europa bezieht klare Stellung zu diesem Ansatz. Über Zweidrittel aller öffentlichen Webseiten sind bereits mobilfähig.
Die öffentliche Verwaltung in Großbritannien zeigt konsistente und positive Ergebnisse bei der Umsetzung in allen Bereichen des öffentlichen Sektors. Der Online-Kanal soll der neue Standardweg werden. Die Initiative "Digital by Default" wird durch einen 18-Punkte-Plan unterstützt. Zu diesem gehört, sich regelmäßig Feedback der Nutzer einzuholen, in interdisziplinären Teams und mit agilen Methoden zu arbeiten. Die Nutzung mobiler Services des Government Digital Service (GDS) werden verstärkt gefördert. Und dies zur Zufriedenheit des Kunden. Hier macht sich das britische Dienstleistungsverständnis auch im öffentlichen Sektor breit. Und nebenbei verspricht sich die Regierung Einsparungen von 1,7 bis 1,8 Milliarden Pfund pro Jahr.
Der GDS steuert die digitale Transformation von Behördendienstleistern im Allgemeinen: Das Land arbeitet explizit an der Transparenz des Angebots digitaler Verwaltungsdienstleistungen. Auf einem öffentlich zugänglichen Web-Portal werden Rankings für digitale Verwaltungsdienstleistungen erstellt. Diese erfassen neben den Transaktionskosten auch Nutzungshäufigkeiten und Quoten für den Anteil online abgeschlossener Vorgänge.
Indem die Verwaltung die Rankings auswertet und Problemstellen beseitigt, kann sie auf die Bedürfnisse der Bürger reagieren. Weiterhin eröffnet diese Transparenz den Bürgern ein gutes Informationsangebot und eine Übersicht über die für ihre individuelle Situation benötigten und zur Verfügung stehenden Verwaltungsservices.
Estland ist bereits digitaler Staat
Vorreiter auf ganzer Linie in Europa ist Estland. Dort ruft die Idee der Digitalisierung keine Grundsatzdebatte mehr hervor, sondern die Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung vertreten top-down die Ansicht, dass Digitalisierung das Land voranbringt. So liegt Estland in allen fünf Top-Level-Benchmarks vorne. Auch in den Sub-Indikatoren ist das Land nahezu unschlagbar.
In puncto Verfügbarkeit von Online-Services und Nutzerfreundlichkeit erzielt der "baltische Tiger" Spitzenwerte (E-Residency, E-Voting, E-Tax). Fast alle Online-Angebote, die das Land bereithält, werden auch genutzt. Einzelne technologische Schlüsselelemente, wie die SSO-Funktionalität und ein eSafe, sind in Estland für alle öffentlichen Online-Services verfügbar. Nahezu alle Esten besitzen eine computerlesbare ID-Karte, die als Personalausweis dient und im Internet die Feststellung der Identität ermöglicht.
96 Prozent der Einwohner gaben Steuererklärung elektronisch ab
Funktionell fast vollständig implementiert sind Authentifizierungsmöglichkeiten und E-Dokumente. Seit 2005 können die Esten online wählen. Im vergangenen Jahr haben bei der Parlamentswahl über 30 Prozent der Wähler ihr Kreuz digital gemacht. Über 96 Prozent der Einwohner gaben ihre Steuererklärung elektronisch ab.
Insgesamt ist Estland auch Vorbild in den binnenmarktspezifischen Indikatoren, die Auskunft über grenzüberscheitende Verwaltungsdienstleistungen geben: Unternehmen und Bürger können Verwaltungsverfahren zeit- und kosteneffizient sowie ortunabhängig abzuwickeln. So ermöglicht das System Digital Documents (DigiDoc) das Speichern, Übertragen und Weiterleiten sowie Signieren von Dokumenten, um grenzübergreifend Verwaltungsverfahren zu tätigen. Auch Nicht-Esten können über die E-Residency auf das Online-Angebot des baltischen Landes zurückzugreifen.
Föderales Deutschland: Hürden in der Umsetzung
Im Vergleich zu Deutschland ist Estland ein kleines Land mit einfachen staatlichen Strukturen: In Estland leben circa 1,3 Millionen Menschen, die Bevölkerung ist vergleichsweise jung und das Bildungsniveau hoch. Auch ist der Zentralisierungsgrad öffentlicher Services hoch. In Deutschland hingegen leben über 80 Millionen Menschen und der Altersdurchschnitt liegt bei circa 46 Jahren. Auch ist der Grad der Zentralisierung durch das föderale System niedrig. So ist es in der Bundesrepublik weitaus schwieriger, digitale Initiativen auf allen Entscheidungsebenen zu initiieren und zu koordinieren.
So hängt die erfolgreiche Digitalisierung auch mit ausreichendem Wissen und Fertigkeiten zusammen, mit digitalen Methoden umzugehen. Sowohl auf Verwaltungs- als auch auf Bürgerseite bedarf es also der Vermittlung digitaler Kompetenzen - neben einfachen und verlässlichen Angeboten - um zum digitalen Vorreiter in Europa aufzusteigen.
Kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem
Dabei hat die Verwaltung in Deutschland in Sachen E-Government kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Viele Dinge sind nicht unmöglich, nur weil sie kompliziert sind. Das kürzlich mitverfasste Gutachten des Nationalen Normenkontrollrats "E-Government in Deutschland: Wie der Aufstieg gelingen kann" zeigt, wie dies mit einem einheitlichen digitalen Servicestandard funktionieren kann. Im nächsten Artikel lesen Sie mehr dazu.
Den vollständigen E-Government Benchmark 2016 finden Sie hier.