1.300 Servicemitarbeiter der Freenet Customer Care GmbH bewältigen wöchentlich rund 150.000 eingehende Vorgänge wie Briefe, Faxe, Anrufe, E-Mails von Kunden aus den Bereichen Festnetz und Internet. Wie sie dies erledigen ist geschäftsentscheidend. "Service ist in unserer Branche das Unterscheidungsmerkmal Nummer Eins", sagt André Schnack, Mitglied der Geschäftsleitung des Dienstleisters, einem hundertprozentigen Tochterunternehmen der Freenet AG,
Um Kunden- und Serviceanfragen so schnell und effizient wie möglich zu bearbeiten, haben die Norddeutschen ein Routing von Kundenanfragen implementiert. Der Clou der Lösung: Anders als bei Service-Centern üblich, behandelt Freenet Anfragen unabhängig vom Eingangskanal. Konkret bedeutet das, ganz gleich ob ein Kunde anruft, eine E-Mail schreibt, einen Brief oder ein Fax schickt: "Die Eingangskanäle haben eine identische Priorität. Wichtig ist für uns das Anliegen der Kunden", sagt Schnack.
Ein weiterer Effekt des neuen Systems ist eine deutlich bessere Planbarkeit der Call-Center-Agenten sowie mehr Transparenz über die momentane und gesamte Auslastung. "Wir erkennen heute sofort, wo Engpässe sind und wann wir eine Überdeckung an Ressourcen haben." Darüber hinaus ist ein übergreifendes Echtzeit-Reporting möglich.
Wie bei vielen Unternehmen im Telekommunikationsmarkt ist auch die Historie von Freenet gekennzeichnet durch Übernahmen und Firmenverschmelzungen. Die bekanntesten sind die Fusion mit dem Mobilfunkanbieter Mobilcom und die Übernahme der Debitel Group. Zur Unternehmensgruppe gehört überdies das Hosting-Unternehmen Strato.
Die Systeme für kundennahe Prozesse sind entsprechend heterogen. Zum Teil wird ein Dutzend verschiedener Insellösungen verwendet, um einerseits die Aufgaben in den Contact-Centern operativ zu unterstützen und andererseits Informationen für ein Reporting aufzubereiten. Die Folge: Daten, etwa über die Auslastung der Agenten, müssen in mühsamer Handarbeit zusammengetragen werden und sind dann meist veraltet.
Bloß kein großes Consulting-Projekt
"Was nützt uns die Aussage, dass wir in der vergangenen Woche Anrufe nicht entgegennehmen konnten, weil unsere Agenten ausgelastet waren?", fragt Schnack. "Wir brauchen die Informationen in Echtzeit." Abhilfe schaffen sollte eine einheitliche Plattform für den Service. Das Projekt begann.
In der frühen Phase der Anforderungsdefinition führten Schnack und sein Team erste Gespräche mit potenziellen Anbietern. "Wir besitzen sehr viel eigenes Know-how und hatten sehr klare Vorstellungen von dem, was das künftige Contact Center können soll." Auf keinen Fall wollte man dem Vorhaben ein umfangreiches Consultingprojekt voranstellen. Gesucht wurde ein Sparringspartner, mit dem man über die eigenen Pläne diskutieren konnte und der gleichzeitig Ideen mit einbringt. Überzeugen konnte schließlich das Gespann Genesys als Experte für Kundenservice-Software und dessen Implementierungspartner NextiraOne.
"Der Appetit kommt beim Essen", nennt Service-Profi Schnack die Phase, in der sie gemeinsam am künftigen Konzept für die Automatic Workload Distribution feilten. Einige der erwählten Highlights waren die Virtualisierung von Call-Centern, das Zusammenführen und Umschalten zwischen unterschiedlichen Kanälen, Produkten und Skills - im Fachjargon Blending genannt -, Multimedia-Routing, ein ausgefeiltes Reporting sowie ein hohes Maß an Automatisierung.
Überzeugen konnte zudem die langfristige Perspektive der Lösung, etwa durch die Standardisierung auf das Internet Protocol (IP). Die Konsolidierung des unternehmensinternen IT- und TK-Netzes auf diesen Standard birgt große Einsparungspotenziale und erlaubt es darüber hinaus, neue Angebotspakte bestehend aus Telefonie und Mehrwertdiensten zu schnüren. Und die Unterstützung des Session Initiation Protocol (SIP) vereinfacht die Integration von Outsourcing-Partnern - etwa externen Call-Center-Dienstleistern.
In drei Phasen setzt die Freenet-Tochter das Projekt nun um: Im ersten Schritt werden alle eingehenden Vorgänge und Anrufe (Inbound) über die neue Anlage geroutet. In Schritt Zwei kommt das Management ausgehender Gespräche (Outbound) hinzu, und im dritten Schritt erfolgt die durchgängige Umstellung auf SIP.
Alles dreht sich um den Routing Server
Dreh- und Angelpunkt der Lösung, die aus mehreren Komponenten besteht, ist der Universal Routing Server (URS). Er funktioniert wie eine Vermittlung, die alle eingehenden asynchronen (E-Mail, Brief, Fax) Anfragen sowie Telefonate nach Priorisierung der Aufgaben verteilt und an einen Agenten weiterleitet. Um die Abarbeitung zu beschleunigen und tatsächlich ein Echtzeit-Routing umzusetzen, ist der Prozess in zwei Prozessschritte unterteilt: eine dynamische Vergabe von Prioritäten und die Verteilung auf die Mitarbeiter im Service-Center.
Gleichzeitig werden die Daten des Kunden durch Informationen aus dem Backend-System angereichert. Denn mit einer hoffentlich lückenlos erkennbaren Kundenhistorie verbessern sich Beratung und Verkauf von höherwertigen oder ergänzenden Produkten (Cross-/Upselling).
"Eine Herausforderung in dem Projekt war es, die unterschiedlichen Softwarekomponenten, zum Teil von verschiedenen Herstellern, miteinander zu verzahnen", erklärt Schnack. Als hilfreich hat sich das Framework des Implementierungspartners erwiesen, das die Integration mittels vorgefertigter Komponenten vereinfachen konnte.
Insgesamt greifen bei Freenet über 2.000 Regeln, nach denen Gespräche, Faxe, Mails und Briefe weitergeleitet werden. Rund 50 Vorgänge, die im Kontext zu bestimmten Geschäftsprozessen wie "Kündigung"," Rechnung" und "Mahnung", stehen, ein Dutzend Produkte sowie vier Medienkanäle sind die Parameter, die einer Regel zugrunde liegen. "Für unser schnelllebiges Geschäft brauchen wir ein Maximum an Flexibilität, um neue Regeln definieren zu können", führt Schnack aus.
Für jeden Vorfall und Eingangskanal wurden ferner die Antwortzeiten festgelegt, innerhalb derer ein Agent zu reagieren hat. Diese Service Level sind eine wichtige Größe, um die Leistungsfähigkeit des Contact-Centers auf allen Ebenen, von der Gesamtorganisation bis zum einzelnen Agenten, messen zu können.
Vorbei: Meier macht nur E-Mail
Hinterlegt sind im Routing-Server auch Kompetenzen und Fähigkeiten (Skills) der Bearbeiter. So wird definiert, was der einzelne Bearbeiter erledigen darf oder bis zu welcher Kenntnistiefe erledigen kann. Entsprechend seiner Skills übermittelt der Server ihm die Vorgänge zur Bearbeitung. Schnack dazu: "Anlegen und Ändern neuer Fähigkeiten muss denkbar einfach und flexibel sein, denn wir arbeiten häufig mit Aushilfskräften, die angelernt werden und nach und nach weitere Fertigkeiten erwerben."
"Das Projekt war nicht ganz ohne", resümiert der Geschäftsleiter. Hohe technische und fachliche Anforderungen, ein enger Zeitplan, ein begrenztes Budget und eine Reihe von Veränderungen für die Mitarbeiter galt es zu bewältigen. Früher wurden die Agenten den Eingangskanälen zugeordnet: "Meier macht E-Mail, Müller nahm Telefonate entgegen und Schulze bearbeitete die eingescannten Briefe und Faxe", beschreibt Schnack. Das änderte sich nur selten - und wenn, dann wurden Kanäle manuell umgeschaltet. Die Umstellung "war spannend und ein Umdenkprozess zugleich."
Für Akzeptanz und gespanntes Warten auf das Neue, sorgten Schnack und sein Team mit einem umfangreichen Projektmarketing. So wurde "Automatic Workload Distribution" frühzeitig im Konzern publik gemacht. Die Kieler schulten erste Mitarbeiter als Multiplikatoren und veranstalteten Workshops, auf denen die Neuerungen diskutiert und erläutert wurden. "Wenn die Leute verstehen, was man machen will, dann tragen sie es mit", resümiert der Manager.
Nach rund sechs Monaten Echtbetrieb der Projektphase Eins hat sich das Konzept des wertbasierten Routings mehr als bewährt: Die durchschnittliche Bearbeitungszeit von Vorgängen sank um circa 30 Prozent, die gesamte Produktivität stieg um 20 Prozent. Der Nachbetreuungsaufwand verringerte sich um rund 25 Prozent, was bedeutet, dass die Agenten heute häufiger fallabschließend arbeiten können.
Sehr zur Freude der Kunden, deren Zufriedenheit um 15 Prozent gestiegen ist. "Die Verbesserungen sind keine Schätzwerte, sondern fußen auf handfesten Daten", erklärt Schnack. Nach jedem Call wird dazu die Kundenzufriedenheit abgefragt und auch Feedbacks der Bearbeitung per Mail fließen in die Statistiken mit ein.
Arbeitslast ist leichter zu steuern
Ein wichtiger Pluspunkt für den Betrieb des Call-Centers ist die Möglichkeit, die Arbeitslast der Agenten bedarfsgerecht zu steuern. Unter- und Überdeckung von Ressourcen lassen sich dadurch vermeiden. Lastspitzen sind sofort erkennbar und Aufgaben verteilbar - etwa an zusätzliche Mitarbeiter im Back-Office oder an Outsourcer.
Die Freenet AG ist der drittgrößte Mobilfunkanbieter in Deutschland. Das seit 1999 börsennotierte TecDax-Unternehmen verfügt über rund 19 Millionen Mobilfunkkunden, rund acht Millionen registrierte Mitglieder, 1,8 Millionen Vertragskunden rund um digitale Dienste, mehr als eine Million DSL-Kunden sowie über 1,7 Millionen Schmalbandkunden (Internet und Telefonie).
Kerngeschäftsfelder sind die Bereiche klassischer Mobilfunk sowie das mobile Internet als Schwerpunkt der künftigen Unternehmensentwicklung. Für das erste Halbjahr 2009 wies der Konzern einen Umsatz in Höhe von 1,82 Milliarden Euro Umsatz sowie ein ein EBITDA von 157,6 Millionen Euro aus.