Die Ergebnisse der Umfrage überraschen: Nur jeder dritte CIO hat Systeme speziell für sein Lieferketten-Management installiert, jeder zweite setzt softwareseitig auf SAP. Laut Marktforscher Raad Marketing Consult stechen im SCM-Bereich nur wenige Anbieter hervor (siehe Grafik unten), weit vorne im Ranking sind SAP, Oracle und Infor.
Beim hohen Anteil von SAP-Kunden unter den an SCM interessierten Unternehmen sieht Nils Niehörster, Geschäftsführer von Raad, einen direkten Zusammenhang zur Größe: "Vor allem große Firmen befassen sich mit dem Thema SCM, und die setzen häufig SAP-Systeme ein.“ Gleichzeitig steht der Markt nach Ansicht vom Berliner Beratungshaus Capgemini vor der Konsolidierung: "Anbieter mittlerer Größe werden verschwinden“, sagt Martin Raab von Capgemini. Der Vice President erwartet vor allem mit SAP und Oracle die Dominanz der zwei Software-Riesen auch im SCM-Bereich. Software-Hersteller wie die vom US-amerikanischen Softwarehaus JDA übernommenen Firmmen Manugistics oder I2 spielen im deutschen Markt dagegen kaum mehr eine Rolle.
Die Kleinen ergänzen die Großen
Den wenigen großen Anbietern steht jedoch eine Vielzahl von kleineren Spezialisten gegenüber: "Bei SCM gibt es noch einen hohen Innovationsgrad, da zahlen sich die Investitionen aus“, meint Raab. Zudem erlaube der Übergang zu Service-orientierten Architekturen (SOA) auch die bessere Integration von Nischenlösungen, so der SCM-Berater von Capgemini.
Einen anderen Grund für die große Zahl von Nischenanbietern nennt Horst Wildemann, Professor am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, Unternehmensführung, Logistik und Produktion der TU München: "Auf Grund der Individualität der Unternehmen und ihrer Prozesse ist die SAP-Lösung suboptimal. Viele nutzen daher nur die Basiselemente und ergänzen diese um individuelle Lösungen." So verfügen etwa die Systeme der gängigsten Anbieter über Schnittstellen zu den zentralen ERP-Systemen der marktdominierenden SAP und kommen als SCM -Speziallösungen häufig direkt an entfernten Produktionsstandorten als separate Logistiklösung zum Einsatz. Vielerorts benötigen die Kunden nur Fragmente einer bestimmten Lieferkette und selten eine alle Lieferstufen umfassende Komplettlösung.
Nach Angaben von Raad ist SCM am stärksten in der Automobilindustrie und bei den Hightech-Unternehmen vertreten. Dicht dahinter liegt die Chemie-Industrie. Die Automobilbranche kennt das Konzept der Supply Chain bereits seit der Auseinandersetzung mit Toyotas Just-in-time-Fertigung und hat damit einen deutlichen Vorsprung beim Thema SCM. Trotzdem interpretieren die Berater die Einbindung der Zulieferer in der Branche vor allem als ein Machtdiktat: "Ein Mittelständler kann die Regeln der Großen nicht brechen.“
Doch auch der Mittelstand wird in Hinblick auf das Lieferketten-Management beweglich. Lange Zeit strebten vor allem große Konzerne nach einer effizienten und transparenten Lieferkette. Während SCM im herkömmlichen Verständnis verschiedene Unternehmen verbindet, organisieren mittelständische Unternehmen mit der Technik aber vor allem die innerbetriebliche Abwicklung.
Erforderlich macht diese Entwicklung die Internationalisierung. Der Kostendruck drängt die Unternehmen, Niederlassungen etwa in den neuen EU-Staaten Osteuropas zu gründen, die sie dann organisatorisch und technisch einbinden müssen. Um diese Veränderungen abzubilden, setzten die Mittelständler oft unternehmensweit einheitliche Lösungen ein, in der die Unternehmensteile als Mandanten geführt werden, so die Beobachtung von Karsten Sontow, Vorstand des Aachener Beratungsunternehmens Trovarit AG.
Einheitliche Basis für Stammdaten
Die interne Organisation der Lieferkette bewege auch die international agierenden Konzerne, sagt Capgemini-Mann Raab. Hier führe die Globalisierung zu einer weltweiten Lieferkette. Da die Unternehmen durch Aufkäufe gewachsen sind, haben sie jedoch noch mit dem Wildwuchs ihrer IT-Systeme zu kämpfen. Die SCM-Projekte gehen deshalb häufig mit den Anstrengungen einher, die heterogene Softwarelandschaft zu vereinheitlichen und die Prozesse zu vereinfachen. "Das Ziel ist eine einheitliche Informationsbasis, die Kunden- und Produktstammdaten an jedem Standort verfügbar macht", sagt Raab.
Wer seine Lieferkette auch Kooperationspartnern und Zulieferern offen legen will, bekommt ein neues Problem: "Die Lieferkette ist vor allem eine Frage der Kooperation, und die wird von psychologischen Faktoren geprägt", sagt Bernd Seeburger, Gründer des SCM-Spezialisten Seeburger AG. "Die Beziehung von Lieferant und Kunde ähnelt einem Pokerspiel, weil der Lieferant den höchstmöglichen Preis für seine Ware erzielen will." Der Kunde erhalte auf eine plötzlich aufkommende Bedarfsspitze womöglich die Auskunft, die Bestellung sei nur mit Überstunden abzuwickeln, obwohl die Lager noch gefüllt sind.
"Der Mehrwert von SCM entsteht aus der sinnvollen organisatorischen Aufstellung", schließt SCM-Kenner Raab. Unternehmen wie Dell oder Ryan Air seien vor allem durch ihre smarte Lieferkette erfolgreich. Ähnlich formuliert es Daniel Palm, Leiter der Fraunhofer-Projektgruppe Produktionsmanagement und Logistik in Wien: "Der IT fällt bei SCM die Rolle als Enabler zu." Denn das Lieferketten-Management lasse sich nicht auf die technischen Aspekte eingrenzen. Es gehe vor allem darum, kundengerecht zu roduzieren. Ein Beispiel sieht Palm in der Autoindustrie. Dort versorgen die Zulieferer ihre Kunden mit den benötigten Fertigungsteilen nicht mehr nur tust-in-time, sondern zunehmend auch in der richtigen Reihenfolge, also just-in-sequence. Nun zielt der nächste Schritt darauf ab, die Informationslage zu verbessern, damit die Sequenzen der Fahrzeugproduktion im Voraus den Lieferanten übermittelt werden können.
Auch wenn sich viele derzeit noch dagegen wehren, müssen für eine funktionierende Lieferkette die Unternehmen letztlich enger zusammenrücken. Damit verstärken sie die Abhängigkeit voneinander, und das verlangt auch eine Änderung der Management-Strukturen, sagt Trovarit-Vorstand Sontow.
Enrico Camerinelli, Berater der Experton Group und Chefanalyst der Branchenvereinigung Supply Chain Council, sieht einen Hemmschuh für den breiteren Einsatz von SCM dagegen weniger in der Organisation der Unternehmen als im häufig fehlenden Sachverstand. "Das größte Problem im Bereich SCM sind die Mitarbeiter", sagt Camerinelli.
Technische Lösungen seien in großer Vielfalt vorhanden, doch es fehle an Fachkräften, die neben der technischen Kompetenz auch die Fähigkeit mitbrächten, eine Bilanz oder eine Gewinn-und-Verlust-Rechnung zu lesen. Dadurch stießen SCM-Projekte bereits in den Unternehmen auf Schwierigkeiten, weil die Projektleiter nicht die Sprache des Finanzvorstands sprächen. Hier müssten der operative Aufwand und der Ertrag von SCM-Projekten klarer formuliert werden, so der Analyst.