Im Westen gilt Baidu als das Google Chinas. Da überrascht es nicht, dass der Internet-Konzern aus dem Fernen Osten auch einem Prestigeprojekt des Suchmaschinen-Riesen aus dem Westen der USA nacheifert: Baidu arbeitet jetzt auch an autonom fahrenden Autos. Diese sollen allerdings - anders als bei Google - weiterhin mit einem Lenkrad ausgestattet sein.
"Ein Auto sollte den Fahrer in der Zukunft nicht komplett ersetzen, sondern ihm Freiheit geben", sagte der Baidu-Manager Kai Yu dem US-Blog The Next Web. Es soll im Baidu-Fahrzeug jederzeit möglich sein, wieder die Kontrolle zu übernehmen. "Das ist so, als ob man auf einem Pferd reitet, anstatt in ein Auto zu steigen und auf einen Knopf zu drücken", erklärt der Manager, der in der Konzernsparte fürs Maschinenlernen eine führende Rolle einnimmt.
Der chinesische Konzern steht noch am Anfang der Entwicklung, erst im kommenden Jahr sollen überhaupt erste Prototypen gefertigt werden. Dennoch steht das Projekt für einen Trend: Immer mehr Unternehmen wollen das Automobil autonom machen, sie wollen dafür sorgen, dass es dem Fahrer auf der ganzen Strecke oder zumindest manchmal das Steuer abnimmt. Wer was macht und mit welchen Absichten - ein Überblick.
Autonom oder mit Assistent?
Dass Internet-Konzerne wie Google und Baidu in derartige Projekte investieren, hat mit der technischen Entwicklung der vergangenen Jahre zu tun: Das Auto wird zum Computer auf vier Rädern, ausgestattet mit Prozessoren, Sensoren und Funktechnik. Mit der richtigen Software wird es zum Roboter, der seine Umgebung beobachtet, die richtige Route zum Ziel berechnet und auf dem Weg anderen Autos oder Fußgängern ausweicht.
Dort können die Technologiekonzerne ihre Stärke ausspielen. Denn um in jeder Sekunde und bei hoher Geschwindigkeit die richtige Entscheidung treffen zu können, müssen die Roboterautos riesige Datenmengen auswerten und dann blitzschnell Entscheidungen treffen: Wo genau ist das Fahrzeug jetzt, wo wird es in zwei Sekunden sein? Welche Autos sind in der Umgebung, und sind sie auf Kollisionskurs? Kommt ein Stopp-Schild oder ein Kreisverkehr? Und kommt da gerade ein Fahrradfahrer auf die Straße geschossen?
Das Versprechen lautet: Mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Der Computer sei ein feinfühligerer Fahrer, sagte etwa Chris Urmson, der bei Google das Projekt fürs autonome Fahren leitet. So beschleunigten und bremsten sie weniger scharf als menschliche Fahrer. Zudem hielten sie zuverlässiger den Sicherheitsabstand zum Vordermann ein. Eine Flotte von Google-Testfahrzeugen hat schon mehrere hunderttausend Kilometer auf den Straßen des US-Staats Nevada zurückgelegt.
Auch Baidu will die Sicherheit erhöhen - gerade in China, wo es in Großstädten wie Beijing und Shanghai täglich zum Superstau kommt, könnte ein Assistent wertvolle Dienste leisten. Bislang sammelte das Unternehmen allerdings nur auf dem eigenen Campus Erfahrungen.
Auch wenn beide Unternehmen auf die Robotersteuerung setzen, besteht ein großer Unterschied: Baidu will einen Assistenten entwickeln, der gelegentlich eingreift; Google will den Fahrer überflüssig machen und träumt von einer Zukunft mit Robotertaxis.
Daimlers Assistenten werden intelligenter
Auch wenn Google gerne den Eindruck erweckt: Vorreiter beim autonomen Fahren sind nicht die Technologiekonzerne, sondern die Autohersteller. Daimler etwa arbeitet seit Jahren an Assistenzsystemen, die dem Fahrer in bestimmten Situationen die Arbeit abnehmen sollen.
Geschwindigkeit, Abstand und Fahrspur halten, das ist für entsprechend ausgestattete (Versuchs-) Fahrzeuge kein Problem mehr. Autos könnten aber noch mehr, wenn man sie ließe, wie ein Prototyp von Mercedes zeigt. Die entsprechend ausgerüstete E-Klasse ist in der Lage, selbsttätig fahrerische Entscheidungen zu treffen und kann die Fahrspur wechseln.
Dass dem Kunden derlei Hightech aber noch in diesem Jahrzehnt angeboten wird, hält Jens Desens für unwahrscheinlich. Der Leiter der Vorentwicklung für Assistenzsysteme bei Mercedes weist nicht zuletzt auf die ungeklärte juristische Situation hin. Schließlich sieht die Straßenverkehrsordnung einen verantwortlichen Fahrer vor, der eben kein Computer sein kann. Zudem ist die Ausfallwahrscheinlichkeit der Anlage zum jetzigen Zeitpunkt noch hoch, was beim Assistentenstatus kein Problem darstellt. Den Anspruch eines problemlosen autonomen Fahrens erfüllt sie jedoch noch nicht.
Das Novum an dem neuen System sind nicht die Hardware-Komponenten. Die schon in der modifizierten E- und kommenden S-Klasse eingesetzte Stereo-Kamera zur Spurerkennung, weitere Linsen zur Verkehrsbeobachtung, sechs Radarquellen und die aktive Lenkung genügen der Elektronik, um ihre Befehle auszuführen.
Allerdings lässt sich die Fahrautomatik - ob nun der weitreichende Prototyp oder die drastisch abgespeckte Serienversion - nur auf Straßen höherer Ordnung mit relativ einfacher Aufgabenstellung realisieren. Das heißt: Auf der Autobahn durch den Stau navigieren geht, Abbiegevorgänge in der Stadt wären für dieses Sensor-Netzwerk aber viel zu komplex.
Mit einem Knopfdruck kann man den Rechner des Versuchsfahrzeugs selbst entscheiden lassen, ob und wann er zum Überholen ansetzt. Er tut es, wenn die zuvor eingestellte Geschwindigkeit auf der rechten Spur nicht mehr eingehalten werden kann, weil zum Beispiel ein langsamer Verkehrsteilnehmer aufgetaucht ist.
Als vor der Forschungs-E-Klasse ein LKW auftaucht, erscheint prompt der Pfeil im Display. Verkehr vorbeilassen, Blinker setzen und sanft am Hindernis vorbeiziehen, danach wieder nach rechts.
Bis diese Funktionen in einem Serienfahrzeug angeboten werden, dürfte es aber noch eine Weile dauern. Die Zwischenzeit überbrücken die Techniker damit, schrittweise noch weitere Funktionen zu den derzeitigen Assistenten hinzuzufügen. So bleibt auch Zeit, um das Problem mit der Straßenverkehrsordnung zu regeln.
Volvo bittet um Geduld
Zeit gewinnen, um zu lesen, zu arbeiten oder einfach zu entspannen, während das Auto durch den dichten städtischen Berufsverkehr fährt: So sieht Volvo die Zukunft des autonomen Fahrens. Beim Forschungsprojekt "Drive Me" stehen daher Pendler mit ihren Problemen im Stadtverkehr im Fokus, schnelle Fahrten sind in dem skandinavischen Land mit Spitzentempo 110 auf Autobahnen dagegen weniger ein Thema.
In Zusammenarbeit mit der Stadt Göteborg sowie dem schwedischen Verkehrsministerium sollen vielmehr die Vorteile und Risiken des autonomen Fahrens unter alltäglichen Fahr- und Lebensbedingungen untersucht werden. Das Projekt ist erst im Anfangsstadium, noch werden die 100 Probanden gesucht, die beim Feldversuch mitmachen sollen. Bis 2017 sollen alle Vorbereitungen abgeschlossen sein - auf rund 50 Kilometer Autobahnen und Stadtstraßen um und in Göteborg sitzen zwar dann noch die Teilnehmer selbst hinterm Steuer, doch die Fahrzeuge agieren weitgehend selbständig.
Volvo-Entwicklungschef Peter Mertens hält sich bei Zeitangaben aber zurück. Er rechnet nicht damit, dass sich vor 2030 autonomes Fahren außerhalb von speziell präparierten Strecken als selbstverständliche Fortbewegungsart durchsetzt.
Beim Feldversuch kommen die Ende 2014 debütierenden neuen XC90-Modelle zum Einsatz. Das SUV verfügt über die neuste Generation an Assistenzsystemen sowie der dazugehörigen Kamera-, Laser- und Radartechnik. Damit soll dann das autonome Fahren auf den ausgewählten Streckenabschnitten möglich sein.
In das neue SUV wird auch der noch in der Entwicklung befindliche Aufmerksamkeitssensor integriert, hier tasten 60 Mal pro Sekunde kleine Leuchtdioden den Fahrer mit Infrarotlicht ab, um dessen Augenausrichtung zu kontrollieren. Sind die Augen nicht auf den Straßenverkehr fokussiert, soll diese Info direkt an die Assistenzsysteme weitergegeben werden, die dann gegebenenfalls unterstützend eingreifen.
Die in den Fahrzeugen verwendeten Kamera-, Laser- und Radartechniken oder GPS-Daten reichen aber nicht aus: Bei schlechten Sichtbedingungen durch Starkregen oder Schnee ist zum Beispiel die Funktionsweise von Kameras eingeschränkt. Fahrbahnmarkierungen - sofern überhaupt vorhanden - können bei Schnee oder Eis nur schlecht erkannt werden. Zurzeit experimentiert Volvo mit in die Fahrbahn integrierten Magneten, die die Fahrzeuge leiten können. Problem: Solche Infrastrukturmaßnahmen müssen von den Städten und Kommunen (mit-) getragen werden.
Roboter-Pkw als tödliche Waffe?
Die amerikanische Bundespolizei FBI hat in einem internen Papier vor der kriminellen Nutzung von autonom fahrenden Autos gewarnt. Laut der britischen Zeitung "The Guardian" spricht die Behörde von Roboter-Pkw als potentiell "tödlichen Waffen". Zu den wichtigsten Punkten zählt eine Art kriminelles Multitasking, das die autonomen Autos nach Ansicht des FBI ermöglichen würden.
Weil etwa ein vor der Polizei flüchtender Fahrer nicht mehr mit dem Steuern des Fahrzeugs beschäftig ist, hat er Hände und Augen für andere Dinge frei - etwa für das Schießen auf seine Verfolger. Auch die Nutzung des Fahrzeugs als ferngesteuerte, selbstfahrende Bombe scheint der Behörde künftig möglich.
Das FBI sieht aber auch positive Aspekte an der neuen Technologie. Nicht nur bei der Verbesserung des Verkehrsflusses und der Verhinderung von Unfällen, sondern auch bei der Organisation von Überwachungen. Die Technik könnte etwa die ideale Entfernung zum Verdächtigen einhalten, um ihn im Blick zu behalten, ohne dabei entdeckt zu werden.
Auch gefährliche Fahrmanöver bei Verfolgungsjagden oder schnellen Einsatzfahrten wären mit computergesteuerten Autos für die Polizei leichter und risikoärmer zu vollziehen. Letztlich nutzt die Technik so also Autofahrern auf beiden Seiten des Gesetzes.
Dass die Bundespolizei sich mit der Frage eingehend beschäftigt, ist kein Zufall. Das FBI rechnet damit, dass die US-Regierung die Zulassung autonomer Autos für den Straßenverkehr bereits in den kommenden fünf bis sieben Jahren genehmigt.
Unter anderem der Internetkonzern Google hat bereits Pläne, entsprechende Autos anzubieten. Der kürzlich vorgestellte selbstfahrende Prototyp dürfte aber für Kriminelle wenig Reiz bieten: Er fährt maximal 40 Kilometer in der Stunde.
(Quelle: Handelsblatt)