Mitten auf der Stuttgarter Haupteinkaufsstraße ein Blick zur Seite, und für einen kleinen Moment fühlt man sich ins Industriegebiet versetzt. Denn ein Geschäft will so gar nicht in das dichte Innenstadtgedrängel passen. Umringt von Shopping-Centern, Modegeschäften, Restaurants, Cafés und Straßenmusikern hat der Schraubenhersteller Würth hier eine Außenstelle errichtet. In der kann man neben ein paar Handwerkerutensilien Überraschendes erwerben: Alltagskleidung, Sporttaschen, Socken, Regenschirme, Geschirr, Bücher, Kinder-Malsets oder USB-Ladegeräte.
Der Handelskonzern bezeichnet seinen Laden auf der Stuttgarter Königsstraße schlicht als "Family Store". Der Shop dient als eine Art Innenstadt-Versuchslabor und soll helfen, neue Zielgruppen abseits von Handwerkern und der Industrie zu erschließen. "Wir möchten die Marke Würth in das Bewusstsein der Endverbraucher rücken", heißt es vom Unternehmen, das weltweit gut 77 000 Menschen beschäftigt und seine Kernprodukte sonst ausschließlich an Handwerk-Profis verkauft. Wer keinen Gewerbeschein hat, sondern nur zu Hause ein bisschen heimwerken will, kann regulär weder online noch in einer der bundesweit gut 500 Firmen-Verkaufsniederlassungen einkaufen.
Der "Familie Store" steht allen offen
Das ist im "Family Store" anders, hier kann jeder beherzt zugreifen. Das Angebot an klassischen Handwerkerprodukten ist in der Innenstadt allerdings äußerst übersichtlich - und gibt den Kunden allenfalls eine vage Idee davon, mit welchen Artikeln Würth seinen Jahresumsatz von mehr als 13 Milliarden Euro erwirtschaftet. Zahlen zu seinen Geschäften in der Innenstadt nennt Würth nicht, aber um Margensteigerungen geht es hier sowieso nicht. Es handele sich bei dem Laden primär um eine Marketingaktion, sagt Marketingforscher Sascha Alavi von der Ruhr-Universität Bochum. Die Markenbekanntheit solle erhöht werden.
Mit dieser Idee ist Würth längst nicht allein unterwegs. Vor allem sogenannte Pop-up-Stores kommen branchenübergreifend immer mehr in Mode. Unternehmen aller Art eröffnen in angesagten Innenstadtgegenden meist für begrenzte Zeiträume boutiqueähnliche Läden, in der sich nur eine Mini-Auswahl des Warenangebots findet. Dafür wird aber - wie bei Würth - großer Wert auf ein aufgelockertes, hippes Ambiente gelegt. "Unternehmen haben damit die Möglichkeit, ein modernes, innovatives Image zu transportieren", sagt Alavi. Auch Kundennähe und Modernität könnten so gut vermittelt werden. "Das Geschäftsmodell ist allerdings begrenzt auf große, finanzstarke Unternehmen, die von einer hohen Markenbekanntheit stark profitieren würden."
Kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-als-auch
Im Heimwerkersektor haben sich etwa schon die Baumarkt-Ketten Toom und Hagebau an Pop-up-Stores auf Zeit versucht. Hagebau eröffnete zwischen Mai und August in Mühlheim an der Ruhr einen Innenstadt-Shop auf nur 50 Quadratmetern, bot den Kunden kleinere Mitnahmeartikel, Auslaufware sowie Werbeware an und warb mit Produktvorführungen in eigener Sache. Man müsse neue Zielgruppen erschließen, ohne die alten aus dem Auge zu verlieren, sagt ein Hagebau-Sprecher. "Wir glauben, das ist hier kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-als-auch."
In Städten wie Berlin, Hamburg oder München gebe es inzwischen viele Kunden, "die kein Auto mehr haben und entsprechend auch nicht zu einem Baumarkt am Stadtrand fahren". Um diese "jungen, urbanen" Menschen anzusprechen, sei es unerlässlich, selbst in die Innenstädte zu kommen. "Und zwar nicht mit einem Sortiment wie im klassischen Baumarkt, sondern auch mit ungewöhnlichen Angeboten. Etwa der Möglichkeit, in einem solchen Store mit Unterstützung von Profis in einer eingerichteten Werkstatt eigene Ideen zu verwirklichen."
Toom eröffnete ähnliche Innenstadtgeschäfte bereits in Köln und Frankfurt/Main und fokussierte sich angesichts des geringen Platzes ebenfalls auf den Verkauf ausgewählter Produkte. In der heutigen Zeit konkurriere man nicht nur mit Baumärkten, sondern auch mit Internetriesen wie Amazon, Ebay und Co., sagt eine Sprecherin des zur Rewe-Gruppe gehörenden Unternehmens. Es sei daher wichtig, neue Konzepte zu testen, die Marke müsse "profiliert und gestärkt" werden.
Alavi glaubt, der Trend zu solchen Stores werde branchenübergreifend anhalten, zumal konventionelle Marketingmaßnahmen im Digitalzeitalter oft nicht mehr effektiv seien. "Die Wirkung der Stores basiert auch auf dem "Reiz des Neuen" und dem zeitlich begrenzen Verfügbarkeit, die Knappheit suggeriert", sagt der Wissenschaftler. Der Eventcharakter und nicht das eigentliche Produkt stehe im Vordergrund. Eine Würth-Sprecherin sagt, im zeitlich unbegrenzt eröffneten Stuttgarter "Family Store" gebe es ab und zu sogar Schmuck zu kaufen. Schmuck - und das bei einem Schraubenhersteller! (dpa/rs/ad)