E-Government-Services

Ein verbindlicher Servicestandard für Deutschland muss her

26.07.2017 von Marc Reinhardt
Ein Gutachten des Nationalen Normenkontrollrates (NKR) wirbt für einen "Digitalen Servicestandard" für Deutschland. Damit der Standard umgesetzt wird, bedarf es verbindlicher Vorgaben zur Wiederverwendbarkeit von Daten und Interoperabilität. Teil 4 der Reihe zum E-Government-Benchmark.
  • Der neue Servicestandard erfordert eine Vereinbarung auf höchster Ebene zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Wegen Freiwilligkeit und fehlender Koordination bleiben die bisherigen Initiativen erfolglos.
  • Ein föderales Architekturmanagement soll den Rahmen der E-Government-Systemarchitektur definieren.
  • Bund und Länder sollten sich auf ein "Digitalisierungsbudget" einigen, das in einem IT-Staatsvertrag verankert wird.
  • Eine innovative Einheit sollte Entwicklergemeinschaften organisieren, ein Netzwerk für Digitalisierung fördern, Ideen treiben, Projektbeispiele sammeln und die Umsetzung des "Digitalen Servicestandards" koordinieren.

Die vorangegangenen drei Artikel dieser Serie betrachteten Vorteile, die E-Government den Behörden, Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen bietet. Zudem zeigten sie auch Deutschlands Position im europäischen Vergleich und kleine und große Ideen, die wir von den digitalen Vorreitern lernen können, um zum Spitzenfeld aufzuschließen.

Eine digitale Verwaltung ist zum Funktionieren einer digitalen Gesellschaft notwendig. Die Botschaft aus dem Gutachten des Nationalen Normenkontrollrates (NKR) "E-Government in Deutschland: Wie der Aufstieg gelingen kann", welches Capgemini und CSC erstellt haben, ist deutlich: Ohne Fortschritte in der Digitalisierung der Verwaltung geht nicht nur der Anschluss zu anderen Staaten verloren, sondern auch innerhalb Deutschlands zur Wirtschaft und Gesellschaft.

Ein zentraler Grund für die langsamen Fortschritte ist die föderale Fragmentierung unseres Landes. Beschleunigt werden kann dieser Prozess, so das NKR-Gutachten, durch eine neue Qualität der Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Diese muss finanziell und organisatorisch neu ausgestaltet werden. Ein zeitgemäßer IT-Staatsvertrag kann hier zur Verbesserung führen. Das NKR-Gutachten wirbt zudem für einen "Digitalen Servicestandard" für Deutschland, der dafür sorgen soll, dass Online-Angebote in Deutschland ausgebaut und vereinheitlicht werden.

Organisatorische Schnittstellen schaffen

Der neue Servicestandard erfordert ein politisches Bekenntnis und eine Vereinbarung auf höchster Ebene zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die Freiwilligkeit und fehlende Koordination der bisherigen Initiativen und Vorhaben bleibt in der Fläche erfolglos.

Bürgerinnen und Bürger klagen über Öffnungszeiten, Warteschlangen oder Mehrfachangaben ihrer Daten, aber sie fordern nur selten die konsequente flächendeckende Digitalisierung. Damit der vom Gutachten beschriebene Standard auch umgesetzt wird, bedarf es zusätzlicher Verbindlichkeit in Form von Vorgaben zur Wiederverwendbarkeit von Daten und Interoperabilität.

Ein föderales Architekturmanagement definiert die E-Government-Systemarchitektur

Alle wesentlichen Lebenslagen der Bürgerinnen und Bürger sowie Kontakte der Unternehmen mit Behörden sollen medienbruchfrei, nutzerorientiert - deutschlandweit - digitalisiert werden; von der Reisepassbeantragung bis zur Baugenehmigung. Auf einem einheitlichen Portal beziehungsweise dem aktuell geplanten Portalverbund sollen die Lebens- und Unternehmenslagen leicht auffindbar sein.

Komponenten des im NKR-Gutachten beschriebenen "Digitalen Bürger- und Unternehmensservices" sollen gemeinsam genutzt werden können und Verwaltungen aller Ebenen offen stehen. Alle entwickelten Komponenten sollen für eine breite, gemeinschaftliche Nachnutzung zur Verfügung stehen, nur so wird Wirtschaftlichkeit erzielt.

Ein föderales Architekturmanagement definiert den Rahmen der E-Government-Systemarchitektur. Ein umfassendes Architekturmanagement entwickelt und pflegt die föderale Referenzarchitektur und deren technische Standards stetig weiter.

Finanzierungsmöglichkeiten ebnen

Um die gemeinsamen E-Government-Vorhaben zu beschleunigen, ist aber insbesondere auch eine Anpassung und Erweiterung der bestehenden Finanzierungsinstrumente notwendig: Bund und Länder sollten die Gelegenheit der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs nutzen und sich auf ein Ebenen-übergreifendes "Digitalisierungsbudget" einigen, welches im IT-Staatsvertrag verankert wird. Es muss eine höhere Flexibilität aufweisen als die fragmentierten Haushalte des Bundes, der Länder und der Kommunen. Um eine föderal harmonisierte Digitalisierung möglichst ressourcensparend zu verwirklichen, bedarf es co-finanzierter Entwicklungspartnerschaften zwischen den Partnern der verschiedenen föderalen Ebenen.

Finanzielle Mittel für eine solche Umsetzung sind angesichts der aktuellen Haushaltslage und Steuerschätzungen vorhanden, es kommt nun auf deren Einsatz an. Um den Einstieg in die Finanzierung zu erleichtern, wird der Bund in Vorleistung gehen müssen.

Lösungsszenario mit Handlungsfeldern

Das NKR-Gutachten entwirft ein fünf-wabiges Lösungsszenario. Jede dieser fünf Waben umfasst ein Handlungsfeld, welches wiederum untergeordnete Lösungsbausteine mit Umsetzungsmaßnahmen beinhaltet. Alle Bausteine ergänzen sich und spielen zusammen, isoliert betrachtet wird pro Baustein nur ein Teil des Erfolgs erzielt.

Handlungsfelder, Lösungsbausteine und Umsetzungsmaßnahmen des Arbeitsprogramms.
Foto: NKR: E-Government in Deutschland: Wie der Aufstieg gelingen kann - ein Arbeitsprogramm

Weiteres Handlungsfeld des Gutachtens ist zum einen die Gründung einer innovativen Organisation "Digitale Verwaltung", als eine Art Innovationslabor. Diese soll zwar mit den herkömmlichen Gremien des E-Governments wie dem IT-Planungsrat oder der FITKO (Föderale IT-Kooperation) zusammenarbeiten, aber bewusst außerhalb der konventionellen Entscheidungs- und Steuerungsstrukturen angesiedelt sein. Sie soll Entwicklergemeinschaften organisieren, ein Netzwerk für Digitalisierung fördern und Ideen, Impulse treiben und Projektbeispiele sammeln und damit letztlich die Umsetzung des "Digitalen Servicestandards" koordinieren. Dieser stellt nicht nur sicher, dass die Angebote technisch kompatibel sind, sondern hat auch die Nutzerorientierung der Angebote im Fokus.

Auf die viel diskutierte Frage nach der politischen Verankerung der Digitalisierung in institutioneller Form, schlägt das Gutachten die Einrichtung eines Digitalisierungsbüros im Bundeskanzleramt vor.

Baukastensysteme für IT-Architektur und IT-Infrastruktur

Einen bedeutenden Teil der Wirkung von E-Government macht die Entwicklung von Baukastensystemen aus, um ein deutschlandweites föderales IT-Architekturmanagement und eine Infrastruktur zu etablieren. Einzelne bestehende Komponenten können von den Akteuren in Bund, Ländern und Kommunen direkt verwendet und gemeinsam weiterentwickelt werden. Verbunden durch gemeinsame Schnittstellen ermöglichen sie einen übergreifenden Einsatz von E-Services, wofür sich auch Open-Source-Standards sehr gut eignen.

Umsetzung des Gutachtens: Erste Projekte laufen bereits

In den vergangenen zwölf Monaten, also seit Veröffentlichung des Gutachtens wurde viel diskutiert aber auch viel entschieden und umgesetzt. Viele der im Gutachten geforderten Schritte sind in Angriff genommen oder in Planung - wenn auch teilweise unter anderem Namen und mit anderer Verantwortlichkeit.

Portalverbund

So soll beispielsweise das neue Onlinezugangsverbesserungsgesetz (OZG) bestimmte Maßnahmen beschleunigen, indem es dem Bund dort, wo zu viel Kakophonie die Effektivität der digitalen Verwaltung limitiert, mehr Möglichkeiten zum Durchgriff gibt. Der dort vorgesehene Portalverbund stellt einen wichtigen Schritt Richtung föderale E-Government-Infrastruktur dar. Bis 2022 sollen alle vorhandenen Verwaltungsleistungen von Bund, Ländern und Kommunen über einen einzigen virtuellen Portalverbund mit nur drei Klicks gefunden werden können. Mit einem einheitlichen Nutzerkonto sollen alle Verwaltungsangelegenheiten in den im Portalverbund zusammengefassten Portalen und Online-Services zugänglich sein.

6 digitale Services für Unternehmen und Bürger bis 2018

Um auch reichhaltige Inhalte im Portal zu haben, fördert der neu vitalisierte und (wie empfohlen) mit einer operativen Einheit (FITKO) unterfütterte IT-Planungsrat in seinem Digitalisierungsprogramm den Transfer von vorhandenen Lösungen ins Portal. Damit soll es gut erreichbar für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen sein. Bis 2018 sollen drei konkrete für die Bürger und drei für Unternehmen wichtige Anliegen digitalisiert werden. Entsprechende Musterprozesse und Schnittstellen sollen öffentlichen Stellen als Empfehlung dienen. Die Finanzierung soll ebenfalls wie gefordert über ein föderales Sonderbudget geleistet werden - hierum wird aber noch gerungen.

Digitalisierung des Asylverfahrens ist ein gutes Vorbild

Die Digitalisierung des Asylverfahrens hat gezeigt, welche Wirkungsmacht ein konkretes Vorhaben mit klar umrissenen Anforderungen bei hinreichender Mittelausstattung entfalten kann. Der IT-Planungsrat führt dies als "Blaupause" für die Digitalisierung ausgewählter Anliegen auf. Diese Dynamik will die IT in Bund, Ländern und Kommunen nun auf ihr "business as usual" übertragen. Mit diesen Maßnahmen und dieser Einstellung sollte der Aufstieg gelingen. Erste Politiker bis hin zur Kanzlerin sehen die öffentlichen Institutionen gar bereits auf dem Weg zum Innovationstreiber. Gut wäre es - für Deutschland aber vor allem für den Öffentlichen Sektor selbst.

Teil 1 der Serie: Wie E-Government-Services zur Normalität werden
Teil 2 der Serie: Warum der Online-Kontakt zum Bürger abbricht
Teil 3 der Serie: E-Government hat ein Umsetzungsproblem