Die Audi AG hat sich viel vorgenommen: Bis zum Jahr 2015 soll das Unternehmen zu den Top-Premium-Automarken der Welt gehören, die Kapitalrendite auf 18 Prozent steigen, und die Ingolstädter wollen dann pro Jahr 1,5 Millionen Autos auf die Straße bringen - fast doppelt so viele wie heute. Gelingen soll das unter anderem durch das Erschließen neuer Kundenkreise. Der Sportwagen R8 soll zum Beispiel vor allem Porsche Konkurrenz machen, der Geländewagen Q7 Audis Zugang zu dem stark wachsenden Segment Sports Utility Vehicles (SUVs) sicherstellen.
"Unsere Modelloffensive ist derzeit unsere größte Herausforderung“, sagt Klaus Straub, CIO der Audi AG. 2003 brachte Audi zwei unterschiedliche Fahrzeuge auf den Markt. Inzwischen sind es zehn bis zwölf pro Jahr - ohne dass die Belegschaft gewachsen ist. Das bedeutet, dass beinahe die gleiche Zahl von Mitarbeitern mehr als fünf Mal so viele Modelle wie früher entwickelt, produziert, vermarktet, verkauft und noch Jahre später in Sachen Service betreuen muss. Und trotzdem hat Audi bei seiner Zukunftsoffensive auch das Ziel ausgegeben, zu den Top-Arbeitgebern auf der Welt zu gehören.
Mit der gleichen Personalstärke mehr erreichen
Ob dieser Spagat gelingt, hängt auch von Straubs Arbeit ab. Erfolg kann Audi nur haben, wenn die IT die weltweit 52.000 Mitarbeiter noch stärker als bisher unterstützt und in den Organisationen noch effizienter wird. Dafür will Straub die IT umbauen. Ziel ist eine technologische Struktur, die sich flexibel an die Geschäftsbedürfnisse von Audi anpasst.
Einen Vorteil hatte Straub zu Beginn seiner Arbeit an diesem Vorhaben im Vergleich zu Kollegen in anderen Unternehmen: "Da wird diskutiert, ob man nun einen oder zwei Kernprozesse in einem bestimmten Bereich hat. Wir sind da weiter“, sagt der Audi-CIO. Denn wie welcher Prozess - etwa das Kundenauftrags-Management - aussieht, ist durch den Mutterkonzern Volkswagen eindeutig festgelegt. Das Prozessmodell für alle Geschäftsabläufe verabschiedete der inzwischen vom ehemaligen Audi-Chef Martin Winterkorn abgelöste damalige VW-Vorstand Wolfgang Pischetsrieder 2004 bei einem Top-Management-Meeting in Warschau. Die IT-Systeme der beiden Autobauer sind seit 2004 ebenfalls eng verflochten.
Geplant ist, nach Möglichkeit alle Eigenentwicklungen schrittweise durch Standard-Software zu ersetzen. Wo das nicht möglich ist, sollen sie mit Hilfe Service-orientierter Architekturen (SOA) modularisiert und damit für den flexiblen Einsatz vorbereitet werden.
Neu bei Audi: Standard plus SOA
Doch bevor SOA ins Spiel kommen kann, musste Straub erst einmal die Grundlagen für eine stärkere Geschäftsprozessorientierung schaffen. Dazu gehört Klarheit darüber, wie gut welcher Teil der Audi-IT heute schon welchen Teil des Audi-Geschäfts unterstützt und wie nah die IT tatsächlich an den Geschäftsprozessen dran ist.
Die ersten Projekte, die Straub anschob, hatten vor allem das Aufräumen, Konsolidieren und Zentralisieren zum Ziel. Wie viele andere CIOs, so setzt auch Straub dabei auf die IT Infrastructure Library (ITIL) als Regelwerk, um die für den Betrieb seiner IT-Infrastruktur notwendigen Prozesse zu beschreiben. Auf Grundlage der ITIL-Analysen leitet er dann die Maßnahmen ab, die nötig sind, um Geschäftsprozesse bestmöglich zu unterstützen.
Seit er 2004 seinen Job bei Audi begann, ist Straub dabei ein gutes Stück vorangekommen. Bei den europäischen Mitgliedern der Audi-Markengruppe waren beispielsweise im Laufe der Jahre standortspezifische, pflegeintensive SAP-Landschaften entstanden. Bei Autogerma in Italien, Seat und Vaesa in Spanien, Audi Hungaria Motor Kft. in Ungarn oder bei der quattro GmbH in Ingolstadt liefen neben Oracle verschiedene Datenbankinstanzen wie MS-SQL und DB2. Auch die eingesetzten SAP-Versionen unterschieden sich erheblich. Gleiches galt für Hardware und Betriebssysteme. Neben HP-UX liefen auf den Servern auch AIX, Solaris und verschiedene Microsoft-Windows-Versionen. Ende 2004 schrieb die Audi AG deshalb ein Konsolidierungsprojekt aus.
In einem elf Monate dauernden Projekt bewerkstelligte ein Team von Audi und HP den Umzug von 72 SAP-Systemen aus 29 Standorten nach Ingolstadt. Heute stehen für die SAP-Instanzen in Ingolstadt zehn HP-Server bereit, die über zwei Rechenzentren verteilt sind. Im April 2006 nahm Audi die Migrationslösung in Betrieb.
Dass die Betriebskosten für diese Hard- und Software dadurch um 25 Prozent gesunken sind, ist ein Ergebnis. Wichtiger ist jedoch, dass durch das Projekt in einem Prozessbereich eine saubere Basis für künftige Systemerweiterungen entstanden ist.
An diese Konsolidierung schloss sich als Erstes ein Projekt zur Optimierung von Finanz- und Beschaffungsprozessen an. 2004 waren beispielsweise an der Beschaffung von Teilen wie Nocken- und Kurbelwellen, die nicht serienmäßig, sondern in Einzelfertigung hergestellt werden, neun verschiedene Prozessschritte und acht Unternehmenssysteme - etwa Ariba, SAP und Maximo - beteiligt. Zunächst arbeitete Audi mit all diesen Systemen weiter, schuf aber über Schnittstellen eine integrierte Datenbasis für sämtliche Beschaffungsprozesse im Bereich Nicht-Serie. Erst nach einer Analyse dieser Daten und dem Abgleich von externen und internen "Best Practices" mit den einzelnen Audi-Prozessen wurde aufgeräumt. Einkaufslösungen wie Ariba, Anfo oder Bemis werden nun nach und nach abgeschaltet und durch SAP-SRM als wichtigste Anwendung für das Lieferanten-Management ersetzt. Im Jahre 2008 sollen alle Audi-Einkäufer die Lösung nutzen, die auch eng an das Einkaufssystem des Volkswagen-Konzerns angebunden ist.
Die IT wurde in diesem Projekt nicht nur optimal auf die Prozesse von Audi angepasst, sie trug auch aktiv zur Gestaltung der Geschäftsprozesse bei. "Wir gehen in Gremien wie den Steuerkreisen auf unsere Kunden, also die Audi-Abteilungen, zu und machen Vorschläge in Sachen Prozessorganisation“, beschreibt Straub seine Arbeit. Ein Ergebnis des Projekts war nicht nur die Reduzierung der Zahl der Medienbrüche bei den Beschaffungsprozessen - an verschiedenen Stellen sank auch die Zahl der notwendigen Genehmigungsschritte.
Akribie statt Masterplan
Das Projekt ist beispielhaft für die Arbeit der IT bei Audi: Statt einen von der Zentrale definierten technologischen Ansatz ohne Rücksicht auf Verluste durchzusetzen, erhielten alle Systeme die gleiche Chance. Erst nach einer Analyse, wie häufig und wofür sie benutzt worden waren und in welchem Prozess sie welche Rolle spielten, folgte eine Entscheidung. Akribie statt kühner Masterpläne - diese Strategie verfolgt Straub konsequent. "Wenn morgen in der Produktion ein Router ausfällt, dann will ich wissen, welcher Prozess darüber gelaufen ist“, sagt der CIO.
Seit 2006 hilft ihm ein neues IT-Architektur-Management-System dabei. Eine Weiterentwicklung von IDS Scheers Aris unterstützt die Audi-IT dabei, die Wechselwirkungen zwischen Geschäftsprozessen und den unterstützenden IT-Systemen zu verbessern. Aris ist seit einigen Jahren Standard für das Geschäftsprozess-Management bei Volkswagen und Audi. Doch bei der Aufgabe, das Zusammenspiel von IT-Strategie, Systemen und Geschäftsprozessen konzernweit - also in einer Landschaft von über 3.000 IT-Systemen - transparent zu machen, stieß die Lösung an ihre Grenzen. Die angedachte Neugestaltung der Audi-Prozesse und die der Volkswagen-Gruppe, für die Audi als Blaupause gilt, ließ sich zunächst nicht so in Aris abbilden, wie Straub es für notwendig hielt.
"Die Darstellung eignete sich zunächst nicht dazu, den Mitarbeitern zu erklären, was hinter einem Prozessmodell steckt“, sagt er. Das aber war für ihn eine wichtige Voraussetzung, um das Thema Geschäftsprozessorientierung auch in der Praxis bei den Systembenutzern zu verankern. Eine Lösung, die lediglich komplexe Diagramme auf den Bildschirm zaubert, widerspricht seinem Anspruch, immer auch bei Projekten handfeste Resultate zu erzielen, von denen die Anwender konkret etwas haben. "Das Grundproblem, warum viele Prozess-Management-Projekte in den zurückliegenden zehn Jahren gescheitert sind, ist, dass viele Theoretiker hier meterweise Papier produziert haben, das man nicht benutzen kann.“ Deshalb entwickelten Audi und IDS Scheer gemeinsam die Software weiter. Das Ergebnis dieser Entwicklungspartnerschaft heißt heute Aris IT Architect und wird nun von IDS auch an andere Unternehmen vermarktet.
Zusätzlich setzt Straub auf die 2006 eingeführte IT-Infrastruktur-Management-Lösung Peregrine von HP, um die Service-Management-Prozesse für die Audi-IT im Blick zu behalten. Und alle technischen, finanziellen und vertraglich relevanten Daten der IT-Infrastruktur zu verwalten. "Das ist für mich das ERP-System für den CIO“, sagt er schmunzelnd. Auch in seiner eigenen Organisation will Straub weiter auf Optimierung setzen.
Änderungen besser einbinden
Eine der nächsten Stellschrauben, um Audi zu helfen, produktiver zu werden und mit der gleichen Zahl von Mitarbeitern mehr zu erreichen, hat er bereits identifiziert: das Änderungs-Management. Bis eine Fahrzeugreihe auf den Markt kommt, mussten Audis Ingenieure in ihren CAD-Systemen im Schnitt 35.000 Konstruktionsänderungen berücksichtigen. Und je mehr Modelle vom Band rollen, desto rascher steigt diese Zahl. "Wir müssen diese Änderungen IT-seitig besser abarbeiten können“, sagt Straub. Unter anderem durch eine genauere Dokumentation, welche Teile in den Prototypen bei Audi verbaut worden sind, sollen die Ingenieure bei diesen zeitraubenden Korrekturen besser als bisher unterstützt werden. "Hier werden wir bis Ende des Jahres erste Ergebnisse haben“, verspricht er den Kollegen.
Doch auch bei diesem Projekt wird sich Audi damit beschränken, bestehende Lösungen, etwa zum Daten-Management oder zu Versionskontrolle, zu verbessern. Straub spricht lieber über Kundennummern oder Werkskennziffer, die weltweit von Systemen unzweideutig zugeordnet werden müssen, als über kühne SOA-Pläne. Mit ihm wird Audi nicht den Fehler machen, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. "Die SOA-Welt wird nicht erfolgreich sein, wenn das Daten-Management nicht ordentlich organisiert ist“, sagt Straub. "Die Komplexität wird durch Flexibilität sehr viel größer. Und es ist ja nicht im Sinne der Erfinder, in fünf Jahren ein SOA-Konsolidierungsprogramm starten zu müssen.“