Zunächst muss der Kunde ein weit verbreitetes Missverständnis ablegen: dass sich der Dienstleister schon "selbst managen" wird. Dazu ist dieser in den seltensten Fällen in der Lage - schon weil ihm vielfach das Wissen und die Erfahrung fehlen: In der Regel kennt er weder die Erfordernisse des Geschäfts und das Wettbewerbsumfeld noch die Unternehmenskultur und die internen Abläufe des Kunden hinreichend. Der Auftraggeber muss deshalb akzeptieren, dass er erheblich Mitverantwortung für die Beziehung trägt.
Zugleich muss der Kunde dem Dienstleister genügend Freiheitsgrade einräumen. Zu Beginn der Beziehung einigen sich beide Seiten auf bestimmte Ziele bezüglich Kosteneinsparung, Leistungsverbesserung und Nutzensteigerung. Diese Vereinbarungen kann der Dienstleister aber nur erfüllen, wenn er die Prozesse, von denen sie abhängen, auch verändern darf. Oft regiert der Kunde aber in Einzelprozesse hinein, schreibt zum Beispiel genau die Größe der verwendeten Server vor. Am Ende wirft er dann dem Dienstleister vor, dass die erwarteten Ergebnisse ausbleiben. Oder die Kundenmitarbeiter werden angehalten, bei Problemen möglichst viel selbst zu erledigen, anstatt den nach der Anrufzahl vergüteten Support des Dienstleisters in Anspruch zu nehmen. So werden vermeintlich Kosten gespart, faktisch aber versteckte Kosten erzeugt.
Insbesondere die im Unternehmen verbliebenen Mitarbeiter (Retained Functions) prägen den Charakter der Geschäftsbeziehung. Erledigen sie nach wie vor selbst die Aufgaben, anstatt den Outsourcer zu managen, entstehen Redundanzen und das Verhältnis wird belastet.
Der Kunde muss also einerseits seine Aufsichtspflicht erfüllen und seine Verantwortung wahrnehmen - andererseits loslassen und dem Dienstleister genügend Autonomie einräumen. Inwieweit er diesen Spagat bewältigt, wird wesentlich von der Governance-Struktur bestimmt.
Anwender muss seine Ziele des Outsourcings klar definieren
Vorab muss sich der Kunde die Rolle des Dienstleisters definieren. Wie tief soll dieser in das Geschäft integriert sein, wie viel Verantwortung und strategischen Einfluss erhalten? Im einfachsten Fall ist er lediglich "Commodity"-Anbieter von Standardprodukten und Services und kann jederzeit ersetzt werden. Im Mittelpunkt steht die Optimierung von Stückkosten; das einzige Kriterium ist der Preis. Als "Utility"-Anbieter erhält der Dienstleister schon mehr Verantwortung: Er ist nicht nur für einzelne Elemente zuständig, sondern für ein Gesamtpaket, zum Beispiel den gesamten IT-Betrieb inklusive Desktop Services. Er muss also die Abhängigkeiten zwischen den Services managen.
In beiden Fällen liegt der Fokus allerdings auf den Kosten, und der Kunde gibt vor, was zu tun ist. Der Dienstleister kann aber auch so positioniert werden, dass er geschäftlichen Mehrwert stiftet. Als "Partner" werden von ihm auch technische Innovationen erwartet; er erhält also mehr Freiheitsgrade und Vertrauen. Die intensivste Integration in das Business hat er in der Rolle des "Enablers", der durch technische Lösungen neue Geschäftsmodelle und Services ermöglicht. Ein Beispiel: Der Kunde kann dank einer neuen Kommunikations-Plattform erstmals einen Prepaid Download anbieten.
Aufbau einer tragfähigen Governance-Struktur
Die Positionierung der Sourcing-Beziehung bestimmt nun den Charakter der Governance-Struktur und der Retained Functions. Ist die Beziehung auf den unteren Ebenen angesiedelt, sind die verbliebenen Mitarbeiter auf den Einkauf fokussiert. Sie müssen ein stringentes Einkaufsmanagement garantieren, verhandeln und Kosten prüfen. Übernimmt der Dienstleister hingegen eine strategische Rolle, gestalten sie primär die Kommunikationsschnittstelle. Sie müssen dafür sorgen, dass der Kunde seine Bedürfnisse formuliert und der Dienstleister entsprechende Innovationen entwickeln kann. Auch hier gehört zwar das Einkaufsmanagement zu ihren Aufgaben, aber der Schwerpunkt verschiebt sich in Richtung Partnerschaft.
Abhängig von dieser grundsätzlichen Einordnung können dann die Governance-Strukturen und -Prozesse definiert werden. Dabei muss zunächst festgelegt werden, wo die "Schnitte" zwischen Kunde und Dienstleister genau vorgenommen werden. Auf der organisatorischen Ebene wird dies meist ausführlich beschrieben. Was bedeutet das Auslagern bestimmter Aufgaben für die Organisation? Wer geht, wer bleibt? Doch betrachten viele Unternehmen anschließend nicht mehr die Prozesse. Dabei ist es genau so wichtig, auch hier die Schnitte exakt abzuwägen. Denn ein an der falschen Stelle zertrennter Prozess kann hohe Overhead-Kosten verursachen, die vielfach sogar den Vorteil des Outsourcings neutralisieren. Empfehlenswert ist es, zuerst das Zielszenario zu beschreiben, dann die Prozesse zu definieren und die Organisation zu erarbeiten.
Organisationsstruktur - delegieren statt selbst machen
Damit die Sourcing-Ziele erreicht werden, muss die Inhouse-Organisation sowohl eine adäquate Größe als auch das richtige Selbstverständnis und die notwendigen Qualifikationen besitzen. Ihr Umfang hängt stark von der Art der Services ab - beispielsweise benötigt ein Desktop-Service weniger Steuerung als das Management des Applikationsportfolios. Eine Faustregel besagt, dass fünf bis zehn Prozent des Outsourcing-Umfangs in die eigene Organisation investiert werden sollten.
Der Aufbau der Retained Functions muss konsequent an ihrer Kernaufgabe ausgerichtet werden: der effektiven Steuerung aller internen und externen Dienstleister. Sie sollten auf Beziehungs- und Business-Management fokussiert sein, nicht auf technisches oder Teilprozess-Management. Insbesondere muss diese Organisationseinheit den Übergang vom Selbermachen zum Delegieren bewältigen. Dazu müssen die mit dieser Rolle betrauten Mitarbeiter im Unternehmen neu positioniert werden und zusätzliche Qualifikationen wie Management-, Führungs- und Kommunikations-Kompetenz erhalten. Nur dann können sie die Partnerschaft steuern, zwischen den Parteien vermitteln und letztendlich den Wandel managen. Auch sollten die Aufgaben- und Verantwortungsbereiche beider Seiten bis auf Abteilungs- und Mitarbeiterebene klar definiert sein.
Die Retained Functions müssen Steuerungsaufgaben in zwei Richtungen wahrnehmen. In der Regel vereinbaren Kunde und Dienstleister SLAs in unterschiedlichen Qualitätsstufen (beispielsweise Bronze, Silber, Gold). Unter optimaler Einkaufseffizienz versteht die Inhouse-Organisation oft, den Gold-Service so günstig wie möglich einzukaufen. Doch übersieht sie dabei, dass ein solcher umfassender Service gewisse Grundkosten hat, die der Dienstleister nicht unterschreiten kann, wenn er wirtschaftlich gesund bleiben will. Effektiver ist es deshalb, wenn die Einkaufsorganisation auch die Anforderungen des Kunden steuert. Zum Beispiel kann sie prüfen, ob eine garantierte höchste Verfügbarkeit oder kurzfristige Reaktionszeiten rund um die Uhr wirklich in allen Fällen geschäftlich notwendig sind. Eine solche Dimensionierung der Anforderungen senkt die Kosten oft nachhaltiger als die härtesten Preisverhandlungen.
Prozesse - vollständige und intelligente Abläufe schaffen
Bei der Definition der Prozesse ist die Vollständigkeit wichtig. Damit zum Beispiel ein ausgelagerter Desktop-Service für Tausende von Arbeitsplätzen wirklich funktioniert, sind umfassende, intelligente Abläufe notwendig, die nahtlos ineinander greifen. Deshalb muss von der ersten Anfrage des Kunden bis hin zur Leistungserbringung und Rechnungsstellung ein geschlossener Prozess aufgesetzt werden, der am Ende auch kontrolliert wird: Was wurde bestellt - was geliefert? Die Schnittstellen müssen reibungsfrei gestaltet sein. Und erneut ist zu beachten: Die Verantwortung für den Gesamtprozess bleibt beim Kunden.
Kommunikation - viel und offen miteinander reden
Saubere Kommunikationsprozesse sind ein Kernstück der Governance. Von ihnen hängt es ab, ob die komplexe Dreiecksbeziehung zwischen der Fachseite, die die Leistung abnimmt (also dem eigentlichen Kunden), der internen Steuerungseinheit und dem Dienstleister auch funktioniert. Immer wieder treten Konflikte auf, weil der Dienstleister daran interessiert ist, die Retained Functions zu umgehen und direkt an die Fachseite zu verkaufen. Nur wenn alle Beteiligten regelmäßig und offen kommunizieren, können die Spielregeln eingehalten und eventuelle Interessenkollisionen bereinigt werden.
Monitoring und Controlling - Sourcing-Dashboard schaffen
Eine zentrale Governance-Komponente ist das Sourcing-Dashboard. Es kann zum einen helfen, eine spezifische Herausforderung der Sourcing-Beziehung zu entschärfen - nämlich dass auf Management-Ebene eigentlich gar keine "positive" Kommunikation stattfindet. Berührungspunkte gibt es meist nur bei zwei Anlässen: dem SLA-Reporting und der Rechnungsstellung. Ersteres gehört heute zum Standard einer Sourcing-Beziehung. Ist es in Ordnung, läuft es relativ lautlos auf der operativen Ebene; erst bei Problemen wird eskaliert - und damit auf Managementebene kommuniziert. Die Rechnungsstellung wiederum ist zwar bei soliden Verträgen nicht mit Konflikten belastet. Allerdings wird der Partner dabei primär als Verursacher von Kosten wahrgenommen - und diese Rolle ist auf dieser Welt nun mal in den seltensten Fällen positiv besetzt.
Das Sourcing-Dashboard kann nun helfen, weitere Outsourcing-Ziele herauszustellen und zu regelmäßig zu verfolgen. Das können beispielsweise erreichte Umsatzsteigerungen und Kostenreduzierungen sein, ebenso die Entwicklung der Kundenzufriedenheit, ermittelt in zweimal jährlich durchgeführten Anwenderbefragungen. So werden positive Kennzahlen formuliert, kommuniziert und ins Bewusstsein aller Beteiligten gerückt.
Zum anderen hilft das Sourcing-Dashboard, Risiken zu erkennen und zu managen. Diese werden zwar meist zu Beginn des Outsourcings analysiert - etwa die Gefahr des Know-how-Verlusts, des Verkaufs des Dienstleisters etc. Vernachlässigt werden aber oft neue Risiken, die im Laufe der Beziehung auftreten. Auch sie müssen früh erfasst, sauber klassifiziert und beschrieben - also gemanagt - werden.
Gremien - Verantwortung und Zusammenarbeit klar regeln
Eine tragfähige Governance-Struktur sollte Kontrollgremien auf drei Ebenen beinhalten: der strategischen (Executive Comittee), der taktischen (SLA-Board u.a.) und der operativen Ebene (Change Board, Release-Abstimmung etc.). Von Anfang an sollte klar geregelt sein, welche Aufgaben jedes dieser Gremien hat, wie sie untereinander zusammenarbeiten, worüber sie jeweils entscheiden und was an sie berichtet wird.
Wiederum muss der Gefahr einer primär negativen Kommunikation gegengesteuert werden. Oft wird die strategische Ebene im laufenden Betrieb vernachlässigt und erst bei Eskalation eingeschaltet. Wenn aber das Top-Management nur bei Krisen einbezogen wird, ist die Sourcing-Beziehung bei ihm negativ besetzt. Deshalb sollte sichergestellt sein, dass an die obersten Gremien auch positive Ergebnisse berichtet werden.
Jörg Hild ist Geschäftsführer der Compass Deutschland GmbH, Wiesbaden.