Der Anfang des europäischen Marktführers im Internet-reifenhandel kam abrupt: "Wir wurden vom neuen Chef wegen Inkompetenz gefeuert", erzählt Vorstand Andreas Prüfer. Was im Juni 1999 wie ein Karrierestopp für den damaligen Leiter der europäischen Handelsgesellschaften und des Franchising nach zwölfeinhalb Jahren Arbeit bei Continental aussah, war im Rückblick ein Glücksfall.
Einen Monat später gründeten Prüfer und der mit ihm geschasste Conti-Kollege Rainer Binder die Delticom AG. Programmierer Timon Samusch, den sie von Conti kannten, entwickelte eine komplett in Perl geschriebene Internetplattform. "Am 15. Januar 2000 gingen wir live", erinnert sich Prüfer. "Und am 20. Januar kam die erste Bestellung: Es war unser Versicherungsvertreter." Für Werbung war zunächst wenig Geld da; es gab lediglich Partnerschaftsprogramme mit Verlinkung und ein paar Banner.
Das Geschäft rollte an, als Delticom eine Dreiviertelseite in der ADAC Motorwelt schaltete - "schwarz-weiß", wie Prüfer betont. In derselben Ausgabe stand der große Winterreifentest des Automobilclubs. "Wir wurden dann von Bestellungen quasi überschwemmt, haben schnell Leute eingestellt und rund um die Uhr gearbeitet. Zeitweise war unsere Site wegen des großen Ansturms auch schon mal einen halben Tag down", sagt Prüfer.
Von 3 Mitarbeitern und einem Umsatz von zirka 6,9 Millionen Euro im Jahr 2000 steigerte man sich 2002 auf 33 Kollegen und 34 Millionen Euro Umsatz. Im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2003 sei der Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum noch mal um 56 Prozent gewachsen; der Umsatz über das Internet habe sich dabei von 2,5 auf 5,1 Millionen Euro mehr als verdoppelt, so Prüfer.
Profitabel nach einem Jahr
Seit dem ersten Quartal 2000 schreibt das Unternehmen nach eigener Auskunft permanent schwarze Zahlen; Angaben über den Gewinn macht Delticom nicht. "Wir wachsen aus eigener Kraft", betont Prüfer, der für Finanzen und E-Commerce verantwortliche Vorstand. Die drei Millionen Euro Risikokapital, die die Deutsche-Bank-Tochter Deutsche Venture Capital im August 2000 gegen eine zehnprozentige Beteiligung getauscht hat, liegen immer noch unangetastet auf der Bank.
Für die Reifenmontage kooperieren die Hannoveraner mittlerweile mit gut 2500 Werkstätten in zehn Ländern. Derzeit gibt es die Onlineshops der Reifenverkäufer für Endverbraucher unter 20 verschiedenen Domain-Namen in zehn europäischen Ländern. Sechs der B2C- und fünf der B2B-Shops kamen erst im vergangenen Jahr dazu; weitere Länder sollen folgen. Prüfer: "Wir wollen in ganz Europa präsent sein." Laut Delticom wuchs der Auslandsumsatz in den ersten drei Monaten des laufenden Geschäftsjahres im Vergleich zum Vorjahresquartal um 10 Prozentpunkte auf 30 Prozent. Das Geschäft wird außer in Holland und Großbritannien, wo es Tochtergesellschaften gibt, von Hannover aus geführt.
Den Reifengroßhandel betreibt das Unternehmen in 55 Ländern, wobei der Umsatz mit Werkstätten, Autohäusern und Zubehörhändlern 24 Prozent des gesamten Internetgeschäfts ausmacht. Delticom kauft weltweit in großen Mengen Reifen ein und verkauft sie "offline" zu Händlerkonditionen containerweise an andere Händler.
Bestellung, Auftragsbearbeitung, virtuelle Lagerhaltung und Auslieferung sind automatisiert. "Wir schätzen, dass wir damit unsere Geschäftskosten im Vergleich zum stationären Handel nahezu halbieren", sagt Prüfer. Eigene Läger besitzt Delticom nicht; georderte Reifen werden von den Partnern per Kurierdienst innerhalb von 48 Stunden an die gewünschte Adresse, Tankstelle, Partnerwerkstatt oder den Fachhändler geliefert.
Billig durch Outsourcing
Dass das Unternehmen so gut über die Runden kommt, liegt an der Sparsamkeit seiner Gründer. "Wir sind da fürchterlich konservativ", gesteht Prüfer. Das Callcenter, die E-Mail-Auftragsbearbeitung und die Internetwerbung sind an Angehörige der deutschsprachigen Minderheit im rumänischen Temesoara outgesourct; das Callcenter ist günstig über Voice over IP angebunden.
2002 kam Delticom in der Kategorie "Aufsteiger" des Deutschen Gründerpreises unter die ersten drei. Jetzt wurde die Firma als eine von dreien in der Kategorie "Integration des Internets in mittelständische Geschäftsabläufe" für den "Deutschen Internetpreis 2003" des Bundeswirtschaftsministeriums nominiert.
Was Prüfer freut: "Conti wollte 2001 auch einen Internetreifenhandel aufziehen. Die haben 15 Millionen in den Sand gesetzt und das Ganze 2002 eingestellt."