Zwei Kunden warten an der Kasse, ein dritter ungeduldig vor dem endlos erscheinenden Regal mit Hundefutter. Der einzige Verkäufer ist nirgends zu sehen - kein Wunder: Er klärt gerade am PC in dem kleinen Büro in der hintersten Ecke des Verkaufraumes, was das Hundefutter eigentlich kostet.
Keine ungewöhnliche Situation in vielen Einzelhandelsgeschäften. Auch nicht in den Filialen des Franchise-Unternehmens Fressnapf - zumindest bis Ende 2003. Seitdem erhalten nach und nach alle 450 deutschen Filialen des Krefelder Unternehmens eine neue ITLösung; Ende März soll der Roll-out abgeschlossen sein. "Am Monatsersten wird der Schalter umgelegt", sagt Fressnapf-IT-Leiter Bernd Hilgenberg, der das Konzept mit dem Namen "Topfit" ("Totale Optimierung aller Prozesse und der Filial-Informations-Technologie") entwickelt hat.
Der Plan des 560-Millionen-Euro-Unternehmens ist ehrgeizig: Innerhalb von zwölf Wochen werden die Franchise-Märkte mit neuen Kassen ausgestattet, in den Filialbüros werden PCs mit modernisierter Warenwirtschaft aufgebaut, und die Lagerhaltung wird durch funkgestützte "Mobile Datenerfassungs-Geräte" (MDE) erleichtert. Den Backoffice-Bereich in der Zentrale hat man bereits vergangenes Jahr auf Vordermann gebracht: "Wir haben die Filialanbindung und die Stammdatenverwaltung modernisiert", sagt Hilgenberg. "Das neue System besteht aus Bausteinen, die wie Zahnräder in einem Getriebe ineinander greifen", so der 39-Jährige, der für Topfit mit drei Millionen Euro kalkuliert.
Mit diesem Volumen steht Hilgenberg gut da, denn viele Einzelhändler halten sich derzeit mit IT-Investitionen zurück. Nach einer internationalen Studie von IBM Business Consulting Services liegt das an den weltweit schwierigen Rahmenbedingungen. Die Befragung von 78 CIOs, die in europäischen, nordamerikanischen und asiatisch-pazifischen Einzelhandelsunternehmen mit mindestens 100 Millionen Dollar Umsatz tätig sind, ergab, dass im Schnitt rund 2,1 Prozent des Umsatzes für IT-Investitionen aufgewendet werden. Der größte Teil der Budgets fließt in die Lösung von Kernproblemen, während Innovationen oder Wettbewerbsdifferenzierungen eher im Hintergrund stehen. Als wichtigstes Problem bezeichneten 72 Prozent der Befragten mangelnde Datentransparenz, 60 Prozent monierten fehlende Systemintegration. Überholte Point-of-Sale-Systeme waren für 58 Prozent ein großes Problem.
An diese kritischen Punkte geht auch Hilgenberg heran. Als Erstes stand im vergangenen Sommer die Modernisierung der Stammdatenverwaltung an, bei der alle 12000 Fressnapf-Artikel per Hand eingepflegt wurden. "Dabei haben wir uns fast ein Bein ausgerissen", erinnert sich der IT-Leiter. Vier fehleranfällige Stammdatensysteme mit jeweils unterschiedlichen Artikelnummern wurden zusammengefasst: "Bis dahin hatten wir das zentrale Warenwirtschaftssystem, ein altes Stammdatensystem, eines für den Online-Shop und eines für die Lagerverwaltung", erinnert er sich.
Warenwirtschaftssystem läuft auf E-Server
Seit sechs Monaten läuft das neue Release 1.5 des Warenwirtschaftssystems SoftM auf einem IBM E-Server, das mit grafischer Benutzeroberfläche ausgestattet ist. Damit wurden der Stammdatenbereich zentralisiert und die Anzahl der Schnittstellen auf ein Minimum reduziert. "Dieses System hatte mit Abstand das beste TCO-Verhältnis", so der eingeschworene AS/400-Fan Hilgenberg.
Nachdem die interne IT umgestaltet ist, folgt nun die Einbindung der Filial-IT. Kein leichtes Unterfangen: Während in anderen Unternehmen der IT-Leiter schlicht die Marschrichtung vorgibt, wurden bei Fressnapf die rund 200 Franchise-Nehmer mit ins Boot geholt. "Sonst wäre die Akzeptanz vor Ort einfach zu niedrig", sagt Hilgenberg. Ohnehin hatte die IT-Abteilung mit Problemen zu kämpfen, weil die Funktionen im Laufe der Jahreimmer unübersichtlicher wurden. Mehrfach seien Verbesserungen angekündigt, aber nicht gemacht worden, heißt es in den Filialen. Deshalb gründete Fressnapf einen IT- und Organisationsausschuss, in dem neben IT-Mitarbeitern auch Franchise-Partner saßen. Ob es um die Auswahl der besten Software oder um die Erstellung der Prozesshandbücher ging: "Die Franchise-Partner haben die Lösungen mit erarbeitet", sagt Hilgenberg. Rechtzeitig vor dem Rollout starteten die Krefelder eine Informationskampagne. Jede Filiale erhielt mehrere Broschüren mit über 20 Seiten, in denen Wirkungsweise und Vorteile der neuen IT dargestellt wurden. "Bei uns spielen Technologie und Funktionsweise der einzelnen Systeme nicht die Hauptrolle. Wichtiger ist, Nutzen und Bedeutung im Zusammenhang mit den Arbeitsabläufen aufzuzeigen", erklärt Hilgenberg. Entsprechend werden auch die Schulungsmaßnahmen aufgebaut, an denen jeweils zwei Filialmitarbeiter teilnehmen.
Touchscreen zeigt nur, was sinnvoll ist
Wenn die sechs Techniker zwölf Wochen lang täglich zehn Filialen angeschlossen haben, stehen in vielen Märkten Posiflex-Kassen mit Touchscreen. Die Bildschirm-Oberfläche passten die Krefelder selbst an ihre eigenen Anforderungen an. "In jeder Kassiersituation sind auf dem Touchscreen nur die Tasten zu sehen und zu bedienen, deren Betätigung gerade sinnvoll ist", so Hilgenberg. Diese Lösung sei weniger fehleranfällig. Abends werden die Daten in den PC im Backoffice überspielt, dessen Bedienung auf die notwendigen Funktionen reduziert wurde. So sind beispielsweise die Nutzungsmöglichkeiten von Windows eingeschränkt, um Fehlbedienungen zu vermindern und gleichzeitig die Supportkosten zu senken. Eine neue Sicherheitstechnik schützt das System vor Viren, Würmern und Trojanern und verhindert Zugriffe auf sensible Daten. "Versehentliche Löschungen sind dadurch quasi ausgeschlossen", sagt Hilgenberg.
Dafür können die Krefelder von der Zentrale aus jederzeit auf das System zugreifen: "Da alle Informationen über automatisierte Prozesse gleichzeitig an die Märkte übertragen werden, lassen sich beispielsweise Funktionsänderungen an der Software problemlos einspielen", so der IT-Leiter. Teure Softwareveränderungen, für die bislang Außendienstmitarbeiter die Filialen aufsuchen mussten, gehören dann der Vergangenheit an.
Der Clou für die Franchise-Nehmer scheint das funkgestützte "Mobile Datenerfassungs-Gerät" (MDE) zu sein. "Das wird sehnlichst erwartet", sagt Hilgenberg. Zum Einsatz kommen Geräte der finnischen Nordic ID auf der Funkfrequenz 433 Mhz. "Damit wollen wir die Mitarbeiter aus dem Backoffice in den Verkaufsraum bringen", sagt Hilgenberg. So können Bestandsprüfungen und Nachbestellungen vom Verkaufsraum aus durchgeführt werden; auch die Inventur wird wesentlich erleichtert. Notfalls ersetzen die Geräte auch die Kasse.
Vom vollständig IT-optimierten Einzelhandel, wie ihn die Metro-Group in ihrem "Extra Future Store" in Rheinberg nahe Düsseldorf aufzeigt, ist Hilgenberg allerdings noch weit entfernt. Immerhin wird Fressnapf in diesem Sommer die automatische Disposition einführen, die fehlende Artikel in den einzelnen Filialen erkennt und Bestellungen durchführt. "Rheinberg ist der Ausblick auf die Zukunft", sagt Hilgenberg skeptisch, "wir bewegen uns aber in der Gegenwart und müssen dort unser Geld verdienen."