Um zu erklären, wie Henkel seine Waschmittelschlager wie Persil oder den General bedarfsgenau für ganz Europa produziert, braucht Wolfgang Haumann nur wenige Worte. "Doppelt, einfach oder nichts", lautet die simple Formel, die der Leiter der Waschmittel Supply Chain und Mitglied des Henkel-Direktoriums gebraucht, wenn er die Vorgaben für die Ermittlung der Produktionsmengen erklärt. Für alle Produkte gibt es eine feste Stückzahl, die pro Woche produziert wird. Wenn der gelagerte Bestand überschritten wird, fällt eine Produktionsrunde aus; wenn ein bestimmter Wert unterschritten ist, wird eine Schicht hinzugenommen. Ist beides nicht der Fall, wird einfach die festgelegte Stückzahl produziert. Ausschlaggebend sind nicht minimale Bestände, sondern minimale Kosten.
Im Grunde genommen könnte Henkel also seine Produktionsplanung mit Papier und Bleistift vornehmen - wäre da nicht die Tatsache, dass die Firma nicht nur den General und Persil, sondern rund 700 Markenprodukte in ganz Europa verkauft. Auszurechnen, wann welche Produktionsanlage welche Vor- und Endprodukte optimalerweise herstellt, ist eine Rechnung mit derart vielen Variablen, dass die Düsseldorfer das Softwareprojekt Instream ins Leben gerufen haben. Auf Basis von SAP Advanced Planning & Optimization (APO) hat Henkel dabei die Bedarfs- und Produktionsplanung in einem medienbruchlosen System abgebildet. "Wir haben früher sehr viele Ressourcen mit der Frage gebunden, ob wir nächste Woche 20 Prozent mehr oder weniger von einem Artikel produzieren wollen", sagt Supply-Chain-Leiter Haumann. "Das zog jedesmal die Umstellung der Produktionsanlagen nach sich, je nachdem, ob mehr Persil oder mehr Perwoll benötigt wurde - vom Lieferanten der Rohstoffe und der Verpackung ganz zu schweigen."
Aufgrund des hohen Wettbewerbsdrucks sehen sich alle Waschmittelhersteller gezwungen, ständig neue Produkte und Varianten etablierter Marken auf den Markt zu bringen. Zeitgleich müssen sie die eigenen Abläufe verschlanken und Kosten senken. "Da Entwicklung und Produktion in immer stärkerem Maße international verteilt werden, kommt es unweigerlich zu einer weiteren Zersplitterung der betrieblichen Prozesse", erklärt Jochen Seidel, Manager bei der Unternehmensberatung Deloitte & Touche. Gerade für Henkel war dieses Problem virulent. Drei Viertel der 48.000 Beschäftigten arbeiten im Ausland.
Blick aufs Ganze statt Silodenken
Besonders für sie hat das Unternehmen das "Global System Program", eine weltweite SAP-Konsolidierungsinitiative, umgesetzt. "Für uns ist die klare Ausrichtung auf das Basissystem R/3 wichtig, weil von ihm Impulse auf alle Geschäftsbereiche und Standorte ausgehen", sagt Henkel-CIO Peter Hinzmann. Die lokale Vielfalt selbstgestrickter Systeme wurde durch eine flexible Einheitsstruktur abgelöst. Ziel war es, das länderspezifische Silodenken durch den Blick für das Ganze zu ersetzen und der zentralen Steuerung des Konzerns mehr Gewicht zu verleihen. Vor diesem Hintergrund ist auch Instream als Mittel gegen Buntwäsche in den Regionalabteilungen zu verstehen. "Warum machen wir so viel Aufhebens um eine haargenaue Bedarfsplanung?", fragte sich Haumann im Jahr 2001 im Zuge konzernweiter Konsolidierungsprojekte. Seine Idee: Gemeinsame Regeln und standardisierte IT-Systeme sollten die bisherige Absatzplanung ablösen, bei der alle Regionalplaner nach eigenen Systematiken in Tabellenkalkulationen ihren Bedarf ausrechneten.
Haumann setzte bei Instream auf ein möglichst einfaches Regelwerk als Alternative zum steigenden Planungsaufwand. "Wir haben im Jahr 2001 die Absatzmenge des Vorjahres analysiert und modellhaft festgelegt, dass wir einfach regelmäßig eine kostengünstige Losgröße produzieren, die in etwa den Absatzmengen entspricht", sagt er. Computersimulationen der Unternehmensberater von McKinsey haben ergeben, dass diese simple Planungsmethode bessere Ergebnisse geliefert hätte, als es die vielköpfigen Bedarfsplanungsabteilungen vermocht hatten.
Dies war der endgültige Startschuss für das Projekt. Im Dezember 2001 testete man zunächst im Werk Genthin die vereinfachte Planungsmethode, während zeitgleich noch die Softwarewerkzeuge an die Betriebsmodelle angepasst wurden. Nach ihrer Fertigstellung legte man für jeden Artikel fest, an welchem Wochentag er in welcher Stückzahl hergestellt wird. "Wir betrachten die Volatilität der Artikel auf Basis ihrer historischen Verkaufszahlen und leiten daraus ihre Planbarkeit ab", erklärt Gerhard Losekamm, Leiter der Auftragssteuerung in Henkels größtem Unternehmensbereich Detergents.
Heute wird auf dieser Grundlage die Belegung der Abfülllinien und Rohstoffkessel in ganz Europa kaum noch verändert. Während früher auch kleine Nachfrageschwankungen Umstellungen zur Folge hatten, werden diese heute über Lagerbestände abgepuffert. Rund 80 Prozent der Abverkäufe bleiben konstant, sodass keinerlei Änderungen bei der Produktionsplanung nötig sind. Nur stark beworbene Produkte oder Auftragsfertigungen für Dritte bringen den ruhigen Produktionsrhythmus bei Bedarfsspitzen durcheinander. Ansonsten reicht es aus, die Produktionsvorgaben für die nächsten drei Monate festzuschreiben.
Zulieferer nutzen Supply-Chain-Daten
Schritt für Schritt wurden alle bestellenden Henkel-internen Vertriebe aus den belieferten europäischen Ländern an Instream angeschlossen und geben nun ihre Bedarfe direkt online in SAP APO ein. Ende 2004 werden insgesamt rund 100 Henkel-Anwender in ganz Europa das neue System nutzen. Auch auf den Datenaustausch mit den externen Bestellern in den Real- oder Schlecker-Märkten via EDI ist Instream vorbereitet. Für die Zulieferer hat sich durch Instream ebenfalls einiges geändert: Sie greifen direkt auf die Supply-Chain-Daten zu und können ihre Produktion dementsprechend justieren.
Die Hektik ist aus dem Bestellwesen herausgenommen worden. Eilaufträge, kurzfristige Mehr- oder Mindermengen und auch kurzfristige Stornierungen gibt es kaum noch. Um sicherzugehen, dass jeder Artikel zu jeder Zeit lieferbar ist, produziert das Unternehmen zehn Prozent über dem historisch ermittelten Bedarf. Die Lagerkosten machen nur einen Bruchteil der Ausgaben der alten Bestandsplanung aus.
Dass sich das Projekt auch auf anderen Ebenen auszahlt, steht für den Supply-Chain-Leiter Haumann fest. Die hohen Rüstkosten, also der Aufwand, der anfällt, wenn ein Mixer oder eine Abfülllinie von einem Produkt auf das andere umgestellt wird, sanken durch das Projekt um mehr als zehn Prozent. Die Lieferfähigkeit aller Produkte erhöhte sich auf 99,7 Prozent. Im kommenden Jahr wird auch der von Henkel übernommene US-Waschmittelhersteller Dial in den Genuss der neuen Planungsmethodik kommen. In Arizona soll eine abgespeckte Version von Instream implementiert werden.