Eigentlich sollte die Elektronische Gesundheitskarte bereits im Jahr 2006 eingeführt werden. Selbst drei Jahre später sieht es aber nicht so aus, als würde das nun bald nachgeholt werden: Noch immer streiten Experten aus Politik, Gesundheitswesen und IT-Industrie darum, ob die Patientendaten so sicher sind, wie die Befürworter meinen.
Der Streit hielt auch auf der Anhörung des Bundestages am 26. Mai an. Dort forderte etwa die FDP ein Moratorium für die Einführung der Elektronischen Gesundheitskarte. Die Anhörung habe gezeigt, so Ulrike Flach, Technologiepolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, "dass der bürokratische Aufwand der Kartenlesung, der Ver- und Entschlüsselung und der PIN-Eingabe sehr hoch ist". Zudem seien auch datenschutzrechtliche Bedenken nicht ausgeräumt worden. "Die elektronische Gesundheitskarte", so Flach, "eines der Leuchtturmprojekte der großen Koalition, ist gescheitert".
Auch die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen drängt bei der Einführung der Karte auf die strikte Einhaltung von Datenschutzbestimmungen. Zwar heißt es in einem Antrag der Fraktion vom März dieses Jahres, dass die elektronische Gesundheitskarte "wichtige Schrittmacherdienste" für eine bessere Zusammenarbeit der Gesundheitseinrichtungen und -berufe leisten könne. Gleichzeitig sprechen sich die Grünen aber für eine strikte Freiwilligkeit der Teilnahme am Betrieb der Gesundheitskarte sowie dafür aus, "unangemessenen Zeitdruck bei der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte" zu vermeiden.
Der Einzelsachverständige Manfred Zipperer hielt dagegen, das Konzept stelle schon jetzt sicher, dass Dritte keinen Zugriff auf sensible Gesundheitsdaten haben. Cord Bartels von der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (gematik), versicherte, der Datenschutz werde bei der Gesundheitskarte durch "weitreichende Vorkehrungen sichergestellt". Von einem vorbildlichen Sicherheitsniveau sprach auch der Einzelsachverständige Prof. Dr. Peter Haas: Kein Land unternehme hier so viele Anstrengungen wie die Bundesrepublik.
Andreas Bogk vom Chaos Computer Club sah dagegen den gewünschten Sicherheitsstandard nicht erreicht. Das derzeitige System sei aber eventuell vertretbar, wenn die vorhandenen Probleme gelöst werden. Für das Aktionsbündnis "Stoppt die e-Card" wandte sich Silke Lüder gegen eine zentrale Speicherung von Krankenhausdaten.
Warnung vor einem Datenberg
Der Einzelsachverständige Kai-Uwe Steffens warnte vor der Entstehung eines Datenberges, der Begehrlichkeiten wecken werde. Wenn etwa nach einem Gewaltverbrechen an einem Kind Tatortspuren auf eine seltene Krankheit des Täters hinweisen sollten, könne schnell eine öffentliche Diskussion über einen Zugriff auf die entsprechenden Daten zur Strafverfolgung entstehen.
Prof. Dr. Christoph Fuchs von der Bundesärztekammer warb dafür, Bedenken in der Ärzteschaft gegenüber der elektronischen Gesundheitskarte abzubauen. Dabei sei das Prinzip der Freiwilligkeit von "zentraler Bedeutung". Günther Buchholz von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung sagte, man werde in Zukunft elektronische Kommunikation benötigen, brauche aber Zeit, die Leistungsanbieter damit vertraut zu machen.
Gegen ein Moratorium sprachen sich auf der Anhörung des Bundestages auch die Spitzenverbände der privaten und gesetzlichen Krankenkassen sowie die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) aus.
Die Bitkom, Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche, kritisierte ebenfalls die Forderungen von FDP und Grünen: "Sechs Jahre nach dem politischen Beschluss und drei Jahre nach dem ursprünglich vorgesehenen Starttermin soll die elektronische Gesundheitskarte nun weiter verzögert werden", sagte Bitkom-Präsident Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer im Vorfeld der Anhörung. "Hier wird der Datenschutz vorgeschoben, um Klientelpolitik zu betreiben und die Verbreitung neuer Technologien zu verhindern." Fast alle europäischen Länder hätten die elektronische Gesundheitskarte bereits eingeführt. Scheer: "Weitere Verzögerungen können wir uns nicht leisten."
Auch die Bundesregierung sieht keine Gefahr für den Datenschutz
Aktuell gibt es keine Stellungnahmen der Bundesregierung oder von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) zu der Anhörung im Bundestag. Allerdings hat das Ministerium in früheren Erklärungen immer wieder betont, dass die Datenschutzbestimmungen mit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte nicht nur eingehalten, sondern noch verbessert würden: "Realität ist heute, dass Patientendaten von Ärzten unverschlüsselt und damit für alle lesbar per Telefax oder Mail versendet werden. Dadurch können sie leicht abgefangen und von Unberechtigten gelesen werden". Die mit der elektronischen Gesundheitskarte aufgebaute sichere Telematikinfrastruktur schaffe die notwendigen Voraussetzungen und technischen Standards, um die ärztlichen Forderungen nach einem sicheren Informationsaustausch umzusetzen.
Auch ein Moratorium hält das Gesundheitsministerium offenbar für überflüssig: Im April erklärte es die Testphase zur Einführung der Karte als "erfolgreich abgeschlossen" und sprach sich für die zügige Einführung der Karte aus.
Wann sie denn nun tatsächlich kommt, die elektronische Gesundheitskarte, bleibt aber nach wie vor unklar. Der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) jedenfalls rechnet nicht "vor dem letzten Quartal 2010 oder Anfang 2011" damit. Andere, gar abweichende Voraussagen gibt es derzeit nicht.