SEW Eurodrive schafft Transparenz durch ISO-Standard

Elf ITIL-Prozesse nach ISO 20000 zertifiziert

30.07.2008 von Rolf Röwekamp
Die IT hat ihre Organisation nach ISO 20.000 zertifiziert und elf ITIL-Prozesse eingeführt. Das schafft Vertrauen gegenüber Mitarbeitern und Wirtschafts-prüfern, senkt Fehlerquoten und formalisiert kontinuierliche Verbesserungsprozesse.

Ein Flachbildschirm hängt in Kopfhöhe an der Wand im tageslichtdurchfluteten Büro von CIO Hansjörg Heinrich. Auf dem Rechner mit 52-Zoll-Bildschirm läuft in Echtzeit das Ticketsystem, in das ständig Störungs- und Aufgabenmeldungen einlaufen - und wieder verschwinden. Jeder am Incident-Prozess Beteiligte sieht diese Oberfläche auch in seinem Zimmer. Wenn also Tickets zu lange offenstehen, fällt es jedem auf.

Auch Detlef Schuck bekommt den Stand der Abarbeitung über einen Beamer in sein Büro geliefert. Er ist der zweite CIO der IT-Doppelspitze beim Hersteller von Antriebstechnik SEW Eurodrive aus Bruchsal. "Das Erstaunliche: Es wirkt!", sagt Heinrich. "Allein die Visualisierung gab einen riesigen Schub." Der Servicegrad bei der Abarbeitung von Incidents stieg von 80 auf über 90 Prozent. "Wir lösen die Probleme jetzt in der vorgegebenen Zeit", berichtet Heinrich. Zu Beginn vor gut einem Jahr war gelegentlich die ganze Tafel voll mit unbearbeiteten Tickets. Jetzt heißt die Ansage: Abends muss die Platte geputzt sein.

Diese Visualisierung ist ein kleiner sichtbarer Ausdruck eines großen Zertifizierungsgsprojekts. Anfang 2007 begann die IT damit, ihre Organisation nach ISO 20 000 für IT-Service-Management auszurichten und nebenbei elf ITIL-Prozesse (IT Infrastructure Library) einzuführen. "ITIL ist eine Untermenge von ISO 20 000, also haben wir ITIL durch die Hintertür mit eingeführt", erklärt Heinrich. "Vermutlich hat noch kein Unternehmen in Deutschland so viele Prozesse in einem einzigen Projekt nach nur zwölf Monaten nach ISO 20 000 zertifizieren lassen."

Gap-Analyse für Reifegrad der Prozesse

Zu Beginn führte SEW zusammen mit der Uni Darmstadt eine Gap-Analyse durch. Anhand einer Prozessmetrik absolvierte die Uni Interviews mit Verantwortlichen und protokollierte die Antworten. Zu jedem Prozess gab es jeweils zwischen 50 und 100 Fragen, um den Reifegrad der Prozesse festzustellen.

Neue Denkweise notwendig

Anschließend zogen die CIOs eine Beraterin hinzu, um auch formal richtig weiterzuarbeiten und keine unnötigen Fehler zu machen. Innerhalb eines Jahres setzte schließlich eine Projektorganisation die Maßnahmen um. Die schnelle Projektumsetzung gelang unter anderem dank vorhandener Erfahrungen: 2006 hatte sich SEW die IT-Sicherheit nach ISO 27 001 zertifizieren lassen (siehe CIO-Magazin 9/2006). Zwar hat die zentrale IT formal alles sehr schnell eingeführt. "Die neue Denkweise hat sich aber noch nicht in allen Köpfen festgesetzt. Doch rund 80 Prozent der IT-Mitarbeiter leben die neue Organisation schon", schätzt Heinrich.

Hansjörg Heinrich, CIO IT Technology Services SEW Eurodrive: "Die Methodik der ITIL-Prozesse und die ISO-Zertifizierung bürgen für Qualität und schaffen Vertrauen in die zentrale IT."

Im Februar 2008 bestand Eurodrive die Prüfung durch den TÜV Süd, bevor die CIOs und Geschäftsführer Finanzen im Juni feierlich die Urkunde überreicht bekamen. "Im Unternehmen gab es immer wieder die Diskussion, nach welchen Prozessen und Leitlinien die zentrale IT arbeitet. Mit der ISO 20 000 belegen wir nun auch gegenüber unseren weltweiten Landesgesellschaften, dass wir nach nachvollziehbaren und international anerkannten Regeln arbeiten", erläutert Schuck. "Die Methodik der ITIL-Prozesse und die ISO-Zertifizierung bürgen für Qualität und schaffen Vertrauen in die zentrale IT, wenn wir als Dienstleister gegenüber unseren Landesgesellschaften auftreten."

Die Symbolkraft des international anerkannten Stellenwerts der ISO wirkt aber nicht nur nach innen gegenüber den Mitarbeitern. Auch nach außen hin sehen Wirtschaftsprüfer es sehr gerne, wenn sie ISO-zertifizierte Organisation vorfinden. Zwar können sie das nicht verlangen, weil die ISO 20 000 nicht Bestandteil der jährlichen Prüfung ist. Aber sie fragen, nach welchen Methoden die IT arbeitet, ob ITIL-Prozesse vorhanden und Prozesse standardisiert sind. Finden sie die ISO vor, so loben sie das auch schon mal im Abschlussbericht.

Zudem ersparen sich Unternehmen damit viel Aufwand. Im Idealfall reicht dem Wirtschaftsprüfer später ein Blick auf das Zertifikat bei seiner Prüfung. Dann muss die IT ihn nicht mehr drei Tag lang durch alle Räume führen.

Kontinuierlichen Verbesserungsprozess etablieren

Ein noch wichtigeres Ziel der Zertifizierung war jedoch, den Kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) voranzutreiben und zu formalisieren: Also immer wieder prüfen und überdenken, ob die IT optimal arbeitet. Weil Schuck und Heinrich dafür alle IT-Mitarbeiter brauchen, mussten sie zunächst die ISO-Norm in die SEW-Sprache übersetzen. Denn die Terminologie wirkte sehr bürokratisch. Viele Begriffe bedurften zunächst einer internen Diskussion und einheitlichen Intepretation. So drehten sich die Gespräche mit den Mitarbeitern darum, wie Prozesse nachvollziehbarer und verständlicher werden.

Den KVP täglich leben

Dabei legten die CIOs großen Wert darauf, möglichst viel prakischen Nutzen aus der ISO für den Alltag zu ziehen, um die Mitarbeiter für die Umsetzung zu gewinnen. Wenn früher eine Änderung ein Problem nach sich zog, reagierte die IT zeitnah und behob den Fehler. Heute diskutiert die IT darüber, wie sie Fehler vorausschauend vermeiden kann. "Seit Einführung der ISO leben wir den KVP in den Köpfen unserer Mitarbeiter", sagt Schuck. "Allein dafür hat sich das Projekt bereits gelohnt."

Detlef Schuck, CIO IT Business Services SEW Eurodrive: "Seit der ISO-Einführung leben wir den KVP in den Köpfen unserer Mitarbeiter. Allein dafür hat sich das Projekt bereits gelohnt."

Auch außerhalb von solchen Einsätzen lebt die IT den KVP: Jeden Freitag, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr um 8:30 Uhr treffen sich die CIOs mit ihren Abteilungsleitern sowie den Prozessverantwortlichen und sprechen über Verbesserungsmaßnahmen und Probleme der vergangenen Woche. "Gerade in Change-Prozessen verfügen wir jetzt über wesentlich mehr Transparenz und haben die Fehlerquote deutlich gesenkt", bilanziert Heinrich.

Um an dieses Ziel zu gelangen, müssen IT-Bereiche vier Bedingungen erfüllen - diese Erfahrungen haben jedenfalls Heinrich und Schuck gemacht:

1. Zertifizierung muss Projekt sein

Als im August 2007 der frühere CIO in den Ruhestand ging und Schuck und Heinrich die Verantwortung übernahmen, konzentrierten sie sich zunächst auf die Neuausrichtung und Organisation der IT. Während dieser Zeit drohte das Projekt zu versanden. Der Dampf bei den Mitarbeitern ließ nach, weil eine klare Ansage von oben fehlte und niemand mehr wusste, ob das Projekt noch fertiggestellt werden sollte. "Man braucht eine klare Struktur und einen sehr guten Projektleiter. Nur so wird die nötige Power aufgebaut", rät Heinrich. "Sonst zerfleddert das Projekt."

2. Kompromisslos dahinterstehen

Aber auch während des Projekts müssen CIOs immer 100-prozentig signalisieren, dass sie den Erfolg wollen. Das Management muss Farbe bekennen und immer wieder fordern, konsequent an der Umsetzung zu arbeiten. Wenn der CIO sich nicht darum kümmert, scheitert es. "Deswegen haben wir auch während des Projekts immer wieder explizit kommuniziert, dass uns die ISO 20 000 sehr wichtig ist. Dass es nicht nur um den Stempel geht, sondern dass wir im Sinne der Kundenzufriedenheit die Qualität unserer IT-Services nochmals deutlich verbessern wollen", sagt Heinrich.

3. ISO-Normen übersetzen

"Wir haben gelernt, dass man die in der ISO sehr ausführlich beschriebenen Prozesse für die eigene Mannschaft auf ein Blatt Papier eindampfen muss", sagt Schuck. Jeder muss in fünf Minuten verstehen, wie welcher Prozess aussieht. Das lässt dann für Mitarbeiter auch keinen Interpretationsspielraum mehr, sondern ist klar definiert. Allerdings lassen sich die ISO-Schriften anfangs allesamt interpretieren; das ist auch so gewollt. Deshalb muss jedes Unternehmen die Vorgaben für sich deuten und anpassen.

4. Externen Berater hinzuholen

Heinrich und Schuck raten auf jeden Fall, sich einen externen Berater dazuzuholen. "Wenn man sich selbst in die formale Umsetzung der ISO einarbeiten will, dauert es einfach zu lang", sagt Schuck. Bei Eurodrive kam eine Beraterin ein Jahr lang drei bis vier Tage im Monat ins Haus und begleitete das Projekt. Sie half dabei, die Dinge auch so umzusetzen, dass sie den formalen Anforderungen entsprachen und die IT die Zertifizierung bestanden hat.

Alle Maßnahmen führten letztlich dazu, dass die IT nun Transparenz bis auf CIO-Ebene geschaffen hat - nicht nur durch die Zertifizierungsurkunde und die Visualisierung auf den Bildschirmen. "Die IT verfügt über die nun klaren Prozesse mehr Zeit für die wichtigen Unternehmensprojekte", resümieren Heinrich und Schuck. "Wie haben jetzt einfach mehr Zeit für die strategisch wichtigen Dinge im Sinne von Business-Alignment der IT."

Unternehmen | SEW Eurodrive GmbH & Co. KG

Hauptsitz

Bruchsal; familiengeführtes Unternehmen

Mitarbeiter

12 000

Umsatz

1,8 Milliarden Euro (2007/2008)

Produkte

Getriebemotoren, Steuer- und Regelungstechnik, Software, Service unter anderem für Förderbänder, Getränkeabfüllanlagen, Montagelinien, Prozesse in der chemischen Industrie und Rolltreppen

IT-Kennzahlen

CIOs

Hansjörg Heinrich, IT Technology Services; Detlef Schuck, IT Business Services

IT-Mitarbeiter

210 weltweit

IT-Budget

keine Angaben

IT-Benutzer

7200