AUF DEM BOLZPLATZ hat Gerd Müller nichts verloren, doch verbindet den IT-Architekten im Rechenzentrum Bayerischer Genossenschaftsbanken (RBG) in München einiges mit seinem legendären Namensvetter: vor allem den Riecher für kurze Wege und die hohe Effizienz. Ein Kundenberater der Fonds-Gesellschaft Union Investment etwa kann sich die Informationen über ein Wertpapier-Depot mit ein paar Klicks auf den Bildschirm holen.
Vor fünf Jahren waren dafür noch 15 Arbeitsschritte nötig, rechnet Müller vor: eine Software für das Ordering, eine für Balken- und Tortengrafiken zur detaillierten Depot-Analyse, eine für aktuelle Kurse, dazu der Zugriff auf Informationen vom Vortag; das erforderte die Suche auf verschiedenen Host-Systemen. Heute befindet sich alles auf einer Oberfläche – dank des von der RBG entwickelten Tools namens Geno Broker.
Das IT-Werkzeug verbindet über das Austauschformat XML verschiedene Backend-Systeme miteinander: die Bankfiliale, den Internet-Browser und das Callcenter. Der Geno Broker, den die Union Investment einsetzt, ist ein – im Vergleich zu Angeboten der EAI-Spezialisten Bea Systems, Tibco oder Vitria – eher bescheidenes EAIInstrument. Für die Fonds-Gesellschaft bot es gleichwohl die Möglichkeit zu einer ersten Annäherung an EAI.
Vor eineinhalb Jahren dann gab die Union Investment eine klare Strategie aus: Die Monolithen im Haus sollten beseitigt und bisher getrennte Systeme wie die Buchhaltung, die Depot-Informationen und das Kunden-Management in einem System zusammengeführt werden. Gesucht wurde eine unternehmensweite EAI-Plattform; geplante Ausgaben: rund fünf Millionen Euro.
Mit einem Fonds-Vermögen von 30,7 Milliarden Euro und einem Marktanteil von knapp 16 Prozent ist die zur Gruppe der Volks- und Raiffeisenbanken gehörende Union Investment die drittgrößte Fonds-Gesellschaft in Deutschland. Durchschnittlich zirka zwanzig Millionen Transaktionen pro Tag wickeln die derzeit noch mehr als 160 Systeme ab, die über 800 Schnittstellen miteinander verbunden sind; bis zu zwei Millionen Transaktionen müssen in Spitzenzeiten in einer Stunde möglich sein.
Schon bei diesen Vorgaben lichtete sich das Feld der Kandidaten, die eine entsprechend leistungsstarke Software zu bieten hatten: „Die einen sind zusammengezuckt, die anderen nahmen’s gelassen“, erinnert sich Frank Weidmann, EAI-Projektleiter bei Union IT-Services, der vor der Entscheidung für einen EAI-Anbieter Gespräche mit 17 Spezialisten führte. Die Union Investment formulierte in Hinsicht auf die angestrebte Architektur zwei Hauptziele: Um die Kosten überschaubar zu halten, sollten möglichst Standardprodukte gewählt und Eigenentwicklungen durch Module ersetzt werden.
Erst eine Nutzwertanalyse brachte endgültige Klarheit über die kompetentesten Anbieter. „Rund 400 Detailinformationen über die Größe des Unternehmens, die eingesetzten Systeme, über Middleware, Datenbanken und Datenformate flossen in die Nutzwertanalyse nach UFAB (Unterlagen für die Bewertung und Auswahl von ITDienstleistern) ein“, erklärt Jörg Christ von der Frankfurter Firma Entory. „So haben wir den Nutzen quantifizierbar gemacht.“ Entory hat sich auf IT-Projekte im Finanzsektor spezialisiert und die Einführung von EAI bei der Union Investment begleitet.
Im Benchmark-Center bei Sun Microsystems in Langen simulierte Entory in einem so genannten Proof of Concept schließlich ein typisches EAI-Szenario. Auf dem Prüfstand befanden sich die zwei verbliebenen EAI-Software-Favoriten, beide aus Kalifornien: die E-Link-Plattform von Bea Systems, San Jose, und die Business Ware von Vitria, Sunnyvale. Vor knapp einem Jahr stand der Sieger fest: die Business Ware von Vitira, deren Einführung nun abgeschlossen ist. Der wichtigste Schritt in Sachen unternehmensweite IT-Integration ist damit getan. „Jetzt gibt es eine zentrale Steuerinstanz, und der Aufwand für Anpassungen sinkt gegenüber dem ,Spaghetti‘-Code der klassischen Systemintegration um mindestens 25 Prozent“, erklärt Christ. Das „Modell Riester“ beispielsweise, mit dem der Staat die private Altersvorsorge fördert, könne nun schneller an die neuen Rahmenbedingungen angepasst werden.
Das Risiko bei einem solchen Projekt liegt allerdings oft weniger in der Technik als vielmehr im Verhalten der Mitarbeiter. „Das ist keineswegs außergewöhnlich“, bemerkt Detlef Glatzel, Partner der Unternehmensberatung Pricewaterhouse-Coopers (PWC). „Durch EAI werden verschiedene Bereiche eines Unternehmens informationstechnisch miteinander verwoben. Genau das ist jedoch häufig nicht im Interesse eines jeden Beteiligten“, so seine Erfahrung. Besonders diejenigen, die bisher exklusiv Zugriff auf bestimmte Bereiche wie Kundendaten gehabt hätten, seien an einer Öffnung wenig interessiert.
Bei der Union Investment möchte davon alllerdings niemand etwas wissen. „Die Bedenken der Mitarbeiter ließen sich nach und nach zerstreuen“, sagt Weidmann – durch Informationskampagnen, die der Integrationsspezialist „intensives Projekt-Marketing“ nennt. Auf diese Weise lasse sich das Risiko auf die neuen Organisationsstrukturen beschränken.
„EAI ist nur ein Werkzeug“, beschwichtigt auch der Leiter des Bereichs IT-Architektur-Management bei der Union Investment, Axel Erhardt. Dennoch müssten sich Abteilungs- und Projektleiter künftig an mehr Transparenz gewöhnen. „Die Verantwortung wird automatisch an das nächste System weitergegeben“, erläutert Kollege Weidmann die Technologie. „Das ist wie bei einer Buchbestellung über Amazon: Mit einem Händler kann ich noch diskutieren, mit dem elektronischen System, das die Bestellung sofort weiterleitet, nicht mehr.“ Sensible Daten aus den Abteilungen laufen automatisch in die Betriebssteuerung hinein und sind sofort unternehmensweit online. Und die Verantwortlichen können keinen direkten Einfluss mehr nehmen. „Jetzt ist Offenheit gefragt“, sagt Weidmann.
Die Mitarbeiter können sich den strategischen Beschlüssen der Geschäftsführung nicht entziehen, die vor allem die Glättung und Rationalisierung der Prozesse als enormen Vorteil der EAI-Lösung ausgemacht hat. „Mit der Systemlandkarte, die wir für die EAI-Ansätze erstellen, lassen sich Redundanzen aufspüren“, rechtfertigt Erhardt die Veränderung.
Eine Befragung unter Mitarbeitern im Unternehmen offenbarte zudem eine Fehlannahme: „Die Mitarbeiter schätzten die Zahl der insgesamt eingesetzten Systeme auf vierzig bis fünfzig“, sagt Technikinformatiker Erhardt. „Tatsächlich laufen 160 Systeme.“ Und genau das soll sich ändern, denn jetzt fallen uneffiziente Teile durch die zentrale Kontrolle sofort auf. Erhardt: „Wir bereinigen die Systemlandschaft.“
Wie viele übrig bleiben, wagt er nicht zu sagen, doch erwartet die Union Investment ein Rationalisierungsund damit auch Einsparpotenzial „in der Gartner-Dimension“. Die amerikanischen Marktforscher der Gartner Group rechnen in der Regel mit Einsparungen von dreißig bis vierzig Prozent.
Deshalb haben fünf Mitarbeiter der zehnköpfigen Gruppe für Anwendungsintegration ihr Augenmerk besonders auf das Daten-Management gerichtet. „Sie planen, welche Daten wo fließen und in welcher Form sie wo wieder benötigt werden; der Fokus liegt eindeutig auf der Wiederverwendbarkeit der Daten“, sagt Bauingenieur Weidmann. Sein Spezialfach in früheren Zeiten: das Abwasserwesen. Die vielen Kanäle sind ihm geblieben, die Leitungen nun jedoch mit Informationen gefüllt. Das neue Klärwerk heißt EAI.