Ein ungeschriebenes Gesetz (nicht nur) in der IT-Industrie besagt, dass es lediglich einer Studie oder Kundenumfrage bedarf, um ein neues Produkt, eine Dienstleistung oder was auch immer in den Markt zu drücken. Microsoft macht da keine Ausnahme. Man nehme einen mit den Mitteln der modernen Sozialforschung auf "empirisch glaubwürdige Füße“ gestellten Fragebogen (mindestens 1.000 nach dem "Zufallsprinzip“ ausgewählte Personen), formuliere die Fragen sehr gründlich (ohne die Antworten selbstherrlich vorwegzunehmen), analysiere das Ganze extrem vorurteilsfrei nach den Gesetzen des Marketing und schon ist das stets "überraschende“ Ergebnis ausgebrütet, pardon fertig.
Jüngstes Beispiel in einer nicht enden wollenden Kette: "Bürger sehen dringenden Handlungsbedarf und wünschen sich eine aktivere Rolle im eigenen Gesundheitsmanagement“. Das klingt irgendwie unverfänglich und neutral. Man hat einem tief verborgenen Bürgerwunsch zur Sprache verholfen. Was will man mehr? Ist doch zutiefst demokratisch und so.
Geburtshelfer für diesen völlig überraschenden Wunsch war kein anderer als Microsoft. Ralph Haupter, Vorsitzender der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland, fasst zusammen: "Die Ergebnisse unserer Umfrage sind überraschend eindeutig: Der Bürger wünscht sich mehr Vernetzung und sieht im Einsatz von Informationstechnik die Chance, das deutsche Gesundheitssystem zu modernisieren, Kosten zu senken und auf den demografischen Wandel zu reagieren.” Gesundheit müsse bezahlbar bleiben, und der Einsatz von moderner IT sei das Mittel für mehr Effektivität und Effizienz.
"Darüber hinaus“ erhielten Patienten "mehr Lebensqualität durch mehr Mobilität“, "mehr Sicherheit“ und "mehr Selbstbestimmung“. Alle diese schönen Sachen, die die Bürger so sehnlichst wünschen, kann Microsoft zur Verfügung stellen.
Eigentlich ist Microsoft bekannt und groß geworden durch solche Sachen wie Betriebssysteme (DOS, Windows) oder Büro-Software (Word, Excel, Explorer et cetera). Aber Konzerne müssen in dieser unserer Welt nun einmal wachsen, und was liegt da näher, als immer weitere Bereiche der Gesellschaft mit den eigenen – alten oder auch neuen – Software-Produkten in Beschlag zu nehmen.
Jeder IT-Hersteller will im Gesundheitswesen mitmischen
Jetzt also das Gesundheitssystem. Das haben übrigens schon HP, IBM oder auch Dell entdeckt. Eigentlich nichts Besonderes. Und alle haben sie Studien und Umfragen, Zahlen und Analysen parat, die immer nur das Eine belegen sollen: Wir haben die besten "Lösungen“, um die Probleme des "Gesundheitswesens“ (wahlweise: der "Patienten“, der "Krankenkassen“ oder der "Staatsfinanzen“) auf die Reihe zu bringen.
Wieder Haupter: "Viele eHealth-Projekte klingen wie Zukunftsvisionen, dabei liefern Informationstechnologien schon heute verfügbare Lösungen.” Mit Hilfe moderner Kommunikationsplattformen könne die Versorgung im Pflegefall und in ländlichen Regionen durch das "schnelle Hinzuziehen von Experten“ deutlich verbessert werden. Moderne IT helfe, Ressourcen nicht nur effektiver zu verteilen, sondern auch "räumliche Distanzen zu überwinden“.
Solche Ergebnisse sind, erfahren wir, eingebettet in die “Innovationsinitiative Chancenrepublik Deutschland“. Microsoft wolle genau an dieser Stelle ansetzen. Haupter: "Es geht uns darum zu zeigen, was bereits möglich ist und zwar hier und heute.” Die "Chancenrepublik“ zeige anhand konkreter Pilotprojekte und Beispiele, "welche Potenziale in Informationstechnologie für das Gesundheitssystem stecken“: So wolle man "für eine neue gesellschaftliche Innovationskultur werben“, die Wirtschaft, Gesellschaft und Politik mit einbezieht und so den Standort Deutschland stärke.
Und genau das wollen die Bürger der Bundesrepublik. Sagt Microsoft. Die vom "Meinungsforschungsinstitut“ TNS im Konzernauftrag durchgeführte Umfrage hat demnach folgende Ergebnisse gezeitigt:
Ergebnisse der Umfrage
1. Das Gesundheitssystem hängt am Tropf
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75 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass unser Gesundheitssystem nicht zukunftsfähig ist und dringend modernisiert werden muss.
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Die Gesundheitskosten steigen immer weiter an. Das Gesundheitssystem muss effizienter werden (71 Prozent).
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Das Gesundheitssystem ist zu stark auf den Kranken ausgerichtet. Vorsorge und Prävention müssen stärker in den Vordergrund rücken (62 Prozent).
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Behandelnde Ärzte, Krankenhäuser und Kassen sind nicht gut genug vernetzt: Mangelnde Abstimmung führt häufig zu ineffizienten Behandlungswegen (65 Prozent).
2. IT als Lösungsansatz
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62 Prozent der Deutschen würden ihre medizinischen Daten gerne selbst elektronisch verwalten und damit eine aktivere Rolle im eigenen Gesundheitsmanagement übernehmen.
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Innovative IT macht das Gesundheitssystem bezahlbar bei gleichbleibend hoher Qualität (74 Prozent).
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Moderne IT-Anwendungen sollten gezielt zur Unterstützung von Vorsorge und Präventionsmaßnahmen genutzt werden (80 Prozent).
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Moderne IT vereinfacht die Kommunikation zwischen Hausarzt, Fachärzten und Patient und verbessert so auch die Versorgung in ländlichen Regionen (80 Prozent).
Wer wollte dem widersprechen? Schließlich ist das Kostenargument für alles zu gebrauchen: "Das Gesundheitssystem muss aus Sicht von 71 Prozent der Umfrageteilnehmer effizienter werden.“ Und dann: "Demgegenüber glauben rund 74 Prozent der Befragten, dass der Einsatz von innovativer IT das Gesundheitssystem langfristig bezahlbar macht, bei gleichbleibend hoher Qualität.“
Und wenn man dann noch einen weiteren Teil der Last auf die Schultern der Patienten verteilt, kann man nur vornehm schweigen: "Über 62 Prozent der deutschen Bürger würden ihre medizinischen Daten sogar gerne selbst elektronisch verwalten und damit eine aktivere Rolle im eigenen Gesundheitsmanagement einnehmen.“
Aber ist das wirklich der Nutzen einer modernen, IT-gestützten Medizin?