Auf rund neun Millionen wird die Zahl der Straßenlaternen in Deutschland geschätzt. Bislang spenden die allermeisten von ihnen nur Licht. Doch in den Masten steckt viel mehr Potenzial: Sie könnten zur Zapfsäule für Elektroautos werden, bei der Parkplatzsuche helfen, Zugang zum Internet bieten, Luftschadstoffe messen oder mit Notruf-Knöpfen und Info-Bildschirmen bestückt werden. Auch als Basisstationen für das neue 5G-Mobilfunknetz sind die Lichtmasten im Gespräch. Vielerorts laufen Versuche, die bewährten Elektrolaternen, von denen die ersten 1882 in Deutschland aufgestellt wurden, zum Rückgrat der digitalen Stadt zu machen.
Energie- und Telekommunikationskonzerne versprechen sich neue Geschäftsfelder - sowohl mit völlig neu konstruierten Laternen als auch mit der Aufrüstung vorhandener Lampen. "Wir glauben, dass die schon vorhandene Infrastruktur nicht beliebig vervielfacht werden kann", sagt Bernhard Lüschper, der bei der RWE-Tochter Innogy die Smart Pole Factory leitet. Smart Pole - so nennt der Essener Konzern seine Multifunktionsleuchte.
"Laternen gibt es quasi überall - an Straßen, öffentlichen Plätzen und auf Parkplätzen", sagt Lüschper. Deshalb sei es sinnvoll, das dichte Netz der Straßenbeleuchtung auch für andere Zwecke zu nutzen. Innogy selbst besitzt oder betreibt rund eine Million Straßenleuchten in Deutschland. In Bochum rüstet der Konzern in einem Innenstadtviertel Laternen unter anderem mit W-Lan und Sensoren auf, die freie Parkplätze am Gehweg melden sollen. Der Vorteil: nennenswerte Bauarbeiten seien dafür nicht erforderlich, so Lüschper.
Der oben am Laternenmast installierte Sensor hat etwa 30 Parkplätze am Straßenrand im Blick und kann feststellen, ob sie belegt oder frei sind und die Daten an Parkleitsysteme weitergeben. "Rund ein Drittel aller innerstädtischen Staus entsteht bei der Parkplatzsuche", sagt Lüschper. Smarte Straßenlaternen seien ein Mittel, um zumindest einen Teil davon erst gar nicht entstehen zu lassen.
Eine Stadt, die alles weiß
Der baden-württembergische Energiekonzern EnBW hat solche intelligenten Straßenlaternen ebenfalls im Angebot. Sie könnten Wärmestrahlen von Motor, Scheinwerfer oder Reifen erfassen und so frühzeitig warnen, bevor sich ein Stop-and-Go-Verkehr aufbaut. Auch Umweltdaten zu Feinstaub und Stickoxid ließen sich mit den Sensoren messen. Bei Überschreitung der Grenzwerte könne der Verkehr dann auf weniger belastete Straßen umgeleitet werden. "Eine Stadt, die alles weiß", wirbt EnBW für sein Angebot.
Auch der Telekommunikationskonzern Vodafone will auf dem Zukunftsmarkt Smart City mitmischen. In Darmstadt hat der Mobilfunker mit Partnern ein Sensorsystem an Laternen rund um das Residenzschloss installiert, das unter anderem Luftqualität und Geräuschpegel misst. Weitere Sensoren registrieren die Anzahl der Fußgänger, Radfahrer und der vorbeifahrenden Autos und melden sie per Mobilfunk zur Optimierung des Verkehrsflusses an eine Analyseplattform - "ohne personenbezogene Daten zu erheben", wie Vodafone versichert.
Große Geschäfte lassen sich mit der intelligenten Straßenbeleuchtung wohl noch nicht machen. EnBW sei seit rund vier Jahren auf dem Feld aktiv und stehe knapp vor der Grenze von 10 Millionen Euro Umsatz, hatte Konzernchef Frank Mastiaux dem "Handelsblatt" im Dezember gesagt. Für ein Start-up sei das aber nicht schlecht.
Keine Schnäppchen
Billig sind die intelligenten Straßenlaternen nicht. Innogy ruft für seinen Smart Pole rund 10 000 Euro auf. Preiswerter ist die Nachrüstung vorhandener Laternen - ein Sensor zur Ermittlung freier Parkplätze gebe es schon für einen dreistelligen Betrag, sagt Innogy-Fachmann Lüschper.
Aufgerüstete Straßenlaternen könnten auch ein Weg sein, die Lade-Infrastruktur für Elektrofahrzeuge in Deutschland schneller auszubauen. Ein Test dazu hat in Berlin begonnen. Mit Mitteln aus dem "Sofortprogramm Saubere Luft" des Bundeswirtschaftsministeriums sollen in der Hauptstadt bis zu 1000 Laternen mit Steckdosen für E-Autos ausgerüstet werden.
"Wir wollen testen, ob das eine Alternative für Wohngebiete und das Über-Nacht-Laden ist", berichtet ein Sprecher der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Umwelt. In Dortmund ist ein ähnliches Projekt geplant, wo bis zu 400 Laternen zu Ladepunkten werden sollen. Derzeit wird geprüft, wo dies technisch möglich ist.
Denn nicht jede Straßenlaterne ist für den Umbau zur Stromtankstelle geeignet. In Berlin gehe das, weil dort die einzelne Laterne mit einem eigenen Kabel ans Stromnetz angeschlossen sei, heißt es bei der Firma Ubitricity, die in der Hauptstadt für die Umrüstung zuständig ist. Wenn mehrere Leuchten mit einem Kabel mit der Hauptleistung verbunden seien, werde es schwierig.
Entsprechend vorsichtig äußert sich der Stadtwerkeverband VKU zu den Chancen des Laternentankens. "Straßenlaternen seien eine von vielen Möglichkeiten, E-Tankstellen im Stadtgebiet zu installieren", sagt Hauptgeschäftsführerin Katherina Reiche. Es müssten aber einige technische Hürden überwunden werden. Der große Vorteil sei jedoch, "dass das Verfahren Platz spart - und der ist gerade in Großstädten ein wertvolles Gut". (dpa/ad)