Für zwölf Prozent der Unternehmen aus der Energiewirtschaft ist die Digitalisierung "das zentrale Thema", weitere 65 Prozent sprechen von einem "wichtigen Thema" - aber es gebe auch "andere, ebenso wichtige Themen". Das berichten die Berater von Ardour Consulting, die im Rahmen einer ausführlichen Studie 61 Vorstände und Geschäftsführer aus der Branche befragt haben - mehrheitlich Versorger, die einer oder mehreren Kommunen gehören. Gut die Hälfte der Befragten ist Vorstandsvorsitzender oder Geschäftsführer, 54 Prozent haben das IT-Ressort unter ihrer Fittiche.
Was treibt die Vorstände besonders um? Rund 86 Prozent sorgen sich vor einem höheren Wettbewerbsdruck durch neue Marktteilnehmer. Dabei haben die Befragten vor allem internationale Konzerne auf dem Schirm, die neue Energiedienstleistungen entwickeln und anbieten. Genannt werden Firmen wie Google, Bosch, Samsung und Volkswagen, aber auch kleinere Startups, die beispielsweise virtuelle Kraftwerke betreiben. Hier fallen Namen wie Next Kraftwerke aus Köln und econeers aus Dresden.
Weniger Subventionen?
Drei Viertel gehen zudem davon aus, dass die Subventionen gekürzt werden dürften, und 46,6 Prozent glauben, dass die Versorger genötigt sein werden, mehr an die Eigentümer auszuschütten. Außerdem erwarten 73 Prozent, dass sie neue Geschäftsfelder erschließen müssen, um erfolgreich zu sein.
Dabei wird IT als entscheidender "Veränderungstreiber" gesehen, der etablierten Unternehmen wie Herausforderern neue Handlungsspielräume eröffnen kann. Die Befragten glauben mehrheitlich, dass sie ihr Kommunikationsverhalten gegenüber Kunden verbessern, ihre Geschäftsprozesse optimieren, sich mit externen Partnern vernetzen und die IT-Agilität erhöhen müssen.
Doch wie heißt es in der Studie: "Die gegenwärtige Praxis sieht oftmals anders aus: Jede Abteilung, jeder Bereich werkelt vor sich her." Den Aussagen der Vorstände zufolge finden die notwendigen Markt- und Technologiebeobachtungen "isoliert, überlappend und unsystematisch" statt. Selten gebe es einen bereichsübergreifenden Austausch, gemeinsame Bewertungen, Machbarkeitsstudien oder Pilotprojekte.
Den Energieversorgern ist die interne IT zu komplex
Zwei Drittel der Befragten erkennen zudem eine zu hohe Komplexität in der internen IT. Redundant vorliegende Anwendungen, veraltete IT-Systeme, konkurrierende Geschäftsprozesse etwa um Dienstleister abzurechnen - das sind Alltagsprobleme, mit denen Versorger umgehen müssen.
Die befragten Manager der Energieversorgungsunternehmen (EVU) sind - vielleicht auch aufgrund der schwierigen Ausgangssituation - überzeugt, dass die Digitalisierung ein zentrales (12 Prozent) oder wichtiges (65 Prozent) Thema ist. Andererseits bezeichnen sich gerade mal vier Prozent als "Pionier" oder "First Mover", weitere 39 Prozent sehen sich als "Early Follower" und 34 Prozent als "Late Follower".
Erstmal ein Workshop…
Geht es um den aktuellen Stand der "Digital Journey", ergibt sich ein trauriges Bild: 18 Prozent haben sich noch gar nicht damit beschäftigt, 52 Prozent sind über erste Gespräche und Workshops nicht hinausgekommen. Erste Maßnahmen angestoßen oder erfolgreich umgesetzt haben nur 19 Prozent der Vorstände.
"Lediglich mittelgroße EVU scheinen der Branche ein paar kleine Schritte voraus zu sein und sich bereits intensiver mit dem Thema beschäftigt zu haben", heißt es in der Studie. Größere hätten vermutlich mit der Komplexität des Themas und ihrer IT-Organisation zu kämpfen, um unternehmensweite Ansätze für eine durchgängige Digitalisierung zu finden. Die kleineren hinken ebenfalls hinterher - vermutlich, weil sie nicht die Größe oder "kritische Masse" haben, um bestimmte Fähigkeiten aufzubauen.
Bessere Prozesse in Marketing und Vertrieb angestrebt
Welche konkreten Potenziale versprechen sich die Vorstände von digitaler Technik? Zuvörderst werden effizientere Geschäftsprozesse in wertschöpfenden Bereichen wie Marketing, Vertrieb oder Technik genannt. Es folgt die potenziell bessere Kundenbetreuung und die Vernetzung mit Lieferanten und Kooperationspartnern. Viele Befragte glauben zudem an neue IT-basierte Produkte und Dienstleistungen, etliche sogar an ganz neue Geschäftsmodelle, um dem offenbar unausweichlichen Umsatz- oder Margenverlust entgegenzuwirken.
In Sachen Kundenbetreuung erwarten knapp 80 Prozent der Befragten, dass es dringend an der Zeit sei, den eigenen Webauftritt leicht bedienbar und "responsiv" zu gestalten, so dass sich die Gestaltung der Oberfläche automatisch an die mobilen Endgeräte der Besucher anpasst. "Da draußen wächst gerade eine Generation neuer Kunden heran, die vollkommen anders mit uns kommunizieren will, als wir es bislang kennen. Wir müssen das vorausdenken", zeigt sich ein Umfrageteilnehmer einsichtig. Auch schüfen hier Künstliche Intelligenz und moderne Chat-Roboter ganz neue Voraussetzungen.
Die Verantwortung ruht auf vielen Schultern
In der Umfrage wird auch danach gefragt, wer die organisatorische Verantwortung für den digitalen Umbau hat. Ergebnis: Sie ist meistens (57 Prozent) auf mehrere Business-Bereiche verteilt. Die Zentral-IT ist nur in sieben Prozent der Fälle zuständig, weitere sieben Prozent haben die Verantwortung auf mehrere IT-Bereiche verlagert. Außerdem kann die Zuständigkeit in einem oder mehreren Business-Bereichen, einem eigenständigen Bereich außerhalb von IT und Business oder in einer Stabsfunktion angesiedelt sein. Auffällig dabei: Zwei Drittel der Befragten sind sich nicht sicher, ob ihre derzeitige Aufstellung eine Langfristlösung sein wird.
Die Frage, welche Ansätze Versorger im Rahmen der Digitalisierung verfolgen, ergab überraschende Ergebnisse. Die meisten Vorstände (66 Prozent) denken demnach zunächst an eine Zusammenarbeit mit Startups. Ebenfalls beliebt ist das Aufbauen neuer Disziplinen wie Data Science (64 Prozent), das Nutzen privater oder öffentlicher Cloud-Technologien sowie agile Arbeitsmethoden (Scrum, Design Thinking). Alle anderen Aspekte, etwa der Aufbau eines eigenen Digital Lab oder die Einführung einer CDO-Rolle, folgen mit einigem Abstand. Bereits umgesetzt wurden der Cloud-Einsatz (52 Prozent), neue Arbeitsmethoden (39 prozent) und die Kooperation mit Startups (38 Prozent).
Die Technik ist nach Meinung der meisten Befragten nicht der Hemmschuh auf dem Weg in die digitale Zukunft. Schwierigkeiten treten eher dort zutage, wo es gilt die Organisation zu verändern und die Rollen und Prozesse zu optimieren. Es gilt, besser bereichsübergreifend zusammenzuarbeiten, IT-Projekte erfolgreich umzusetzen, die Kommunikation zu verbessern, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln sowie mehr über die Kunden in Erfahrung zu bringen.
Keine Digitalstrategie
Ernüchternd fallen die Antworten auf die Frage nach einer ausformulierten Digitalisierungsstrategie aus: 93 Prozent der EVU haben keine! Die Studienmacher von Ardour Consulting sehen sich mit dieser Feststellung nicht allein: Die Beraterkollegen von PwC hatten in der Studie "Deutschlands Energieversorger werden digital" ermittelt, dass 17 Prozent der EVU eine Digitalisierungsstrategie verfolgten. Auch wenn das fast doppelt so viele sind, ist die Tendenz erschreckend. Damit werden Auswirkungen und Potenziale offenbar noch nicht systematisch bewertet, keine Zielbilder entwickelt und keine strategischen Maßnahmen definiert.
IT-Strategie wird nur selten erneuert
Immerhin gibt es in 73 Prozent der EVU eine IT-Strategie, die von der Hälfte der Befragten allerdings nur alle fünf Jahre erneuert wird. Die Ardour-Berater glauben, dass die Versorger "Fähigkeiten, Prozesse, Rollen und Ressourcen aufbauen müssen, um in kürzeren Zyklen von 1-2 Jahren regelmäßig ihre IT-Strategie zu erneuern." Dazu sei eine stärker strategisch denkende und handelnde IT-Organisation nötig. IT-Chefs müssten die Bedeutung der IT für ihre Unternehmen herausarbeiten und die Zusammenarbeit mit dem Business attraktiver gestalten.
Die Vorstände wollen ihre IT-Verantwortlichen dabei nicht alleine lassen: Fast 90 Prozent sehen das Entwickeln einer IT-Strategie als eine Aufgabe an, die die Verantwortlichen im gesamten Unternehmen fordert. Wichtigste Ziele sind demnach ein höherer Gesamtnutzen von IT-Investitionen, eine verbesserte Effizienz und mehr Agilität durch neue Vorgehensweisen.
Gleichzeitig muss sich die Rolle der IT generell ändern. Fast 70 Prozent der Befragten sehen die IT-Organisationen nicht als Innovatoren, mehr als die Hälfte glaubt zudem nicht, dass sie Multi-Supplier-Umgebungen managen kann. Auch die Rolle als "Business-Partner", der auf Augenhöhe berät, scheint unterentwickelt. Konsens besteht hingegen darin, dass die IT Infrastrukturen entwickeln und betreiben kann (73 Prozent), als interner Full-Service-Anbieter positioniert ist (79 Prozent) und dass sie IT-Anwendungen entwickeln und betreiben kann (60 Prozent). Als Business-Berater wird sie jedoch nicht wahrgenommen.