Man findet kaum eine Stellenanzeige, in der Arbeitgeber nicht mehrjährige Berufserfahrung vom Wunschkandidaten fordern. In der Regel besetzen Unternehmen gerade Führungspositionen nur mit Personen, die zuvor auf einer tieferen Hierarchieebene Erfahrungen gesammelt haben.
"Dahinter steckt die Annahme, dass Erfahrung mit wertvollen Lernprozessen einhergeht, was wiederum ein besseres Führungsverhalten zur Folge hat", schreiben die Wirtschaftspsychologen Professor Uwe Peter Kanning und Philipp Fricke von der Hochschule Osnabrück in der Zeitschrift Personalführung. Dort stellen sie ihre Studie vor, die untersucht, wie nützlich Erfahrung tatsächlich ist.
Zweifel, dass Berufserfahrung das Führungsverhalten verbessert
Die Wissenschaftler zweifeln an der These, dass man sich durch Lebens- oder Berufserfahrung automatisch positiv weiterentwickelt. Das hänge von vielen Faktoren ab, zum Beispiel von der Intelligenz, der Leistungsmotivation und der Bereitschaft, sich selbst zu hinterfragen.
Kanning und Fricke untersuchten die Leistung von 814 Mitarbeitern eines Unternehmens, die eine Potenzialanalyse für angehende Führungskräfte durchlaufen hatten. Die Forscher interessierte besonders, ob sich Führungserfahrung, die Anzahl der bislang geführten Mitarbeiter und das Lebensalter positiv auf das Abschneiden in der Potenzialanalyse auswirken würden.
1. Schneiden Teilnehmer mit Führungserfahrung in der Potenzialanalyse besser ab als diejenigen ohne Führungserfahrung?
Die Auswertung der Untersuchungsergebnisse widerlegte die Alltagserwartung, dass Erfahrung einen Lerngewinn bringt. Angestellte mit Führungserfahrung schnitten nicht positiver als diejenigen ohne Führungserfahrung. Im Gegenteil, sie schnitten sogar geringfügig schlechter ab.
Fazit der Studienautoren
2. Wirkt sich die Anzahl der bislang geführten Mitarbeiter positiv auf das Ergebnis in der Potenzialanalyse aus?
Auch diese Frage beantworten die Wissenschaftler mit nein. In keinem Fall zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Anzahl der geführten Personen und dem Abschneiden in der Potenzialanalyse.
3. Wirkt sich das Lebensalter der Probanden positiv auf ihr Abschneiden in der Potenzialanalyse aus?
Auch hier verneinen die Forscher. Es verhielt sich sogar umgekehrt. Je höher das Lebensalter, desto schlechter schnitten die Teilnehmer in der Potenzialanalyse ab. Allerdings macht das Alter in der Berechnung nur einen sehr geringen Anteil an der Leistung aus - je nach Führungseigenschaft zwischen 0,8 und 5,3 Prozent. Insgesamt zeigten die Studienergebnisse übrigens, dass weibliche Teilnehmer der Potenzialanalyse in allen Kriterien geringfügig besser abschnitten als ihre männlichen Kollegen.
Die Ergebnisse verdeutlichen: Berufs- und Lebenserfahrung machen einen Angestellten nicht automatisch zu einer besseren Führungskraft. Deshalb lautet die Empfehlung der Wissenschaftler, Bewerber mit Führungserfahrung nicht positiver zu bewerten als Kandidaten ohne. Lieber sollte man durch strukturierte Interviews oder Assessment Centers ihre tatsächlichen Kompetenzen prüfen. Zudem sollte in Ausschreibungen nicht länger Führungserfahrung verlangt werden, um kompetente Kandidaten ohne diese Erfahrung nicht abzuschrecken.
Die Wirtschaftspsychologen Professor Uwe Peter Kanning und Philipp Fricke von der Hochschule Osnabrück haben ihre Studienergebnisse in der Zeitschrift Personalführung veröffentlicht unter dem Titel: "Führungserfahrung: Wie nützlich ist sie wirklich? Eine Studie liefert überraschende Ergebnisse."