Viele Veröffentlichungen beschäftigen sich mit den Grundlagen von Robotic Process Automation (der sogenannten "RPA-Technologie") und erläutern deren Funktionsweise und Nutzenpotenziale. Einige wenige beschäftigen sich mit den Risiken, die der Einsatz von RPA mit sich bringen kann, wie beispielsweise eine Vernachlässigung dringend erforderlicher (Prozess-) Anpassungen in den Kernanwendungen. Aber nahezu nirgendwo lassen sich konkrete Hinweise und Empfehlungen zur Schaffung adäquater Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Nutzung der Technologie im Linienbetrieb finden.
RPA-Governance - unternehmensweite Rahmenbedingungen für RPA
Solche Rahmenbedingungen können gesamtheitlich als RPA-Governance bezeichnet werden. Diese definiert unter anderem die strategischen Leitlinien für den Einsatz von RPA, schafft Vorgaben für Fachkonzeptionen und Organisationsanweisungen und sichert ein nachhaltiges RPA-Wissensmanagement. Einer der relevantesten Bestandteile der RPA-Governance ist außerdem die Schaffung einer Organisationseinheit, die sich um Betrieb und Weiterentwicklung der RPA-Technologie im eigenen Unternehmen kümmert: Die RPA-Unit.
Beschäftigt sich ein Unternehmen erstmals mit der Nutzung von RPA, erfolgen erste Implementierungen im Regelfall in (Pilot-) Projekten. Wie die Erfahrung aus vielen Praxisfällen zeigt, gehen Verantwortung für Betrieb und Umsetzung zusätzlicher Automatisierungen im Anschluss nicht immer in die Linie über - oft bleiben die RPA-Projekte in ihrer Projektstruktur über Jahre bestehen.
Etablierung der RPA-Unit als Kernaufgabe der RPA-Governance
Dieser Übergang in die Linie sollte jedoch schon in einem frühen Stadium der RPA-Nutzung angestrebt werden. Idealerweise gleich nach Abschluss eines (positiv verlaufenen) Pilotprojekts und der Entscheidung, RPA langfristig und umfassend im Unternehmen nutzen zu wollen. Denn dieser Übergang…
schafft klare Verantwortlichkeiten;
sichert Ressourcen, die insbesondere für den RPA-Betrieb (also den Produktionsbetrieb) notwendig sind;
transferiert das erforderliche Know-how ins Unternehmen;
vereinheitlicht Vorgehensweisen und Standards;
schafft Akzeptanz, insbesondere in den Fachbereichen, die häufig Nutzer der Technologie sind.
Spätestens im Zeitpunkt der Verantwortungsabgabe durch das Projektteam muss die RPA-Unit als aufnehmende Instanz bestehen, während andere Governance-Bestandteile auch durchaus erst im Anschluss geschaffen werden können. Das Aufsetzen der RPA-Unit zählt deshalb zu den Kernaufgaben der RPA-Governance.
Aufgaben der RPA-Unit: Potenzialhebung und Betriebssicherung
Die Aufgabenbereiche der RPA-Unit lassen sich in zwei Schwerpunkte unterteilen.
Die Hebung neuer Automatisierungspotenziale.
Die Sicherstellung des täglichen RPA-Betriebs.
Der erste Aufgabenbereich beinhaltet unter anderem folgende Themen:
Laufende Prozess-/ Potenzialidentifikation
Prozessaufnahme
Prozessanpassung
RPA-Prozessentwicklung
Testing und Freigaben
Der zweite Aufgabenbereich umfasst beispielsweise:
Sicherstellung des produktiven RPA-Betriebs
Annahme und Umsetzung von Anpassungsbedarfen der RPA-nutzenden Bereiche
RPA-Controlling
Fehler-Handling
Release-Management
Usw.
In einem nächsten Schritt lassen sich diese Aufgaben einzelnen Mitgliedern der RPA-Unit oder aber anderen direkt/ indirekt beteiligten Bereichen zuordnen.
RPA-Unit im Detail: Rollen und Aufgaben
Eine einsatzfähige RPA-Unit sollte mindestens aus einem RPA-Manager, einem RPA-Business-Analysten und einem RPA-Entwickler (oder mehreren) bestehen. Während der RPA-Manager steuernde und kommunizierende Aufgaben übernimmt, beschäftigt sich der RPA-Business-Analyst insbesondere mit Prozessidentifikation, -aufnahme und -anpassung. Der Schwerpunkt des RPA-Entwicklers liegt in Entwicklung und Test der automatisierten Prozesse bzw. des Bots. Gleichzeitig sorgt dieser für Fehlerhandling u.ä. und stellt damit den RPA-Betrieb sicher. Das Aufgabenspektrum zeigt, dass die Rolle des RPA-Entwicklers für einen stabilen RPA-Betrieb mit mehreren Personen besetzt sein sollte. Gegebenenfalls kann sogar eine Aufteilung der Unit entlang der beiden genannten Aufgabenbereiche in zwei Teams sinnvoll sein, beispielsweise Team "Neu" und Team "Betrieb".
Bei ansteigendem Nutzungsumfang von RPA können weitere Rollen hinzugefügt werden. Denkbar sind zum Beispiel ein RPA-Controller, der sich ausschließlich um die Steuerung des Bot-Portfolios kümmert und Verbesserungsmöglichkeiten identifiziert. Ein RPA-Change-Manager könnte den unternehmensweiten Wandel, der durch die intensive Nutzung einer Automatisierungstechnologie ausgelöst werden kann, unterstützen. Je mehr Bots parallel auf den Systemen arbeiten, desto komplexer die entstehende RPA-Architektur. Diese kann durch einen RPA-Infrastruktur-Ingenieur betreut werden.
Howto: Einordnung der Unit in die Organisationsstruktur
Wird die organisatorische Einordnung der RPA-Unit diskutiert, können mindestens drei Ansätze unterschieden werden: eine zentralisierte, eine dezentralisierte und eine hybride, also gemischte Einordnung.
Bereits die Bezeichnung "RPA-Unit" deutet auf eine einzelne, in sich geschlossene und damit oft zentralisierte Einheit als ideale Form einer organisatorischen Einordnung hin. Sie ermöglicht ein effizientes Management von RPA und aller zugehörigen Aufgaben. Anders als bei einer dezentralisierten Einordnung, sind hierbei einheitliche Vorgehensweisen, ein Wissensmanagement oder eine zentrale Lizenzverwaltung sichergestellt. Im Gegensatz zu dezentralisierten RPA-Verantwortlichen - die zum Beispiel in den jeweiligen Fachbereichen angesiedelt sind - können Ressourcen im zentralisierten Ansatz besser verteilt und damit effizienter eingesetzt werden, zum Beispiel bei Kapazitätsüberhängen.
In solch einem zentralisierten Modell kann die RPA-Unit beispielsweise dem Organisations-/ oder Prozess-Management-Bereich des Unternehmens zugeordnet werden. Über den RPA-Manager und den RPA-Business-Analysten wird dann die Schnittstelle zu den Fachbereichen, die RPA-Bots für die eigenen Prozesse nutzen, sichergestellt.
Zur Studie "Robotic Process Automation 2020"
Hybride Formen können unterschiedlich ausgestaltet werden - zum Beispiel so, dass die RPA-Business-Analysten organisatorisch den einzelnen Fachbereichen zugeordnet sind, dort Prozesse identifizieren, analysieren und dokumentieren, während die RPA-Entwicklung in einer zentralisierten Einheit erfolgt. Ein solcher Ansatz mit dezentralisierten Business-Analysten kann das Vertrauen der Fachbereiche in die Technologie stärken. Die genaue (fachliche) Kenntnis des Bereichs und seiner Aufgaben fördert außerdem das Potenzial geeignete Prozesse zu identifizieren. Im Gegenzug steigt mit zunehmender Dezentralität und Anzahl der Business-Analysten die Komplexität der - nun organisatorisch und meist auch räumlich verteilten - RPA-Unit und damit auch deren Steuerung.
Zum Video: Erfolgsfaktor "RPA-Unit"
Fazit: Zentralisierte RPA-Unit als anfänglich sinnvollste Lösung
Wird eine neue Technologie eingeführt, stehen in den ersten Jahren der Know-how-Aufbau und das Sammeln konkreter, unternehmensindividueller Erfahrungen im Vordergrund. Deshalb gilt:
Die Etablierung einer RPA-Unit innerhalb der Linienorganisation sollte bereits kurz nach ersten - projekthaften - Pilotversuchen und spätestens nach der Entscheidung für eine langfristige Nutzung der Technologie erfolgen.
Diese Unit sollte - zumindest anfänglich - zentralisiert in die Organisationsstruktur eingeordnet werden, um einen schnellen Know-how-Aufbau und eine hohe Flexibilität im Reagieren auf veränderte Anforderungen an die Unit u.ä. zu gewährleisten.