Seit der Vorstand der ERGO Group 2017 beschlossen hatte, Robotics als digitales Innovationsthema voranzutreiben, läuft die Bot-Maschine des Versicherers. Im vergangenen Jahr brachte das Robotics-Team im Schnitt zwei neue Bots pro Monat live in die Produktion. Die zentrale Frage in der Ergo-Zentrale in Düsseldorf lautete nicht mehr "Was kann die Technik?", sondern "Was wollen wir erreichen und wie kann Robotics dabei helfen?"
Aktuell skaliert der Konzern die Technik in andere Länder. Man helfe den internationalen Kollegen, Robotic Process Automation (RPA) für ihre lokalen Gegebenheiten zu optimieren, hieß es. Zentrale Herausforderung sei dabei, parallel zur steigenden Nachfrage nach weiteren Bots, den zuverlässigen Betrieb der aktiven virtuellen Roboter zu gewährleisten. Mit ihrer RPA-Initiative bewirbt sich die Ergo-Versicherung in diesem Jahr um den DIGITAL LEADER AWARD (DLA), den der IDG-Verlag gemeinsam mit der NTT-Gruppe vergibt – am ENde reichte es in der Kategorie "CULTURE" sogar zum Sieg und damit der Trophäe.
Mehr Leistung, mehr Service, mehr Effizienz
Die Branche steht unter Druck. Versicherungen agierten in gesättigten Märkten in Europa und stünden wegen der anhaltend niedrigen Zinsen unter hohem Kostendruck, sagen auch die Ergo-Verantwortlichen. Daher gelte es, die Kunden mit Leistung und Service zu überzeugen sowie gleichzeitig die eigenen Prozesse effizienter zu machen und Abläufe zu optimieren.
Vor diesem Hintergrund identifizierten die Düsseldorfer RPA und Robotics als probate Mittel, mit dieser Situation umzugehen. Aus Sicht des Versicherers eigne sich die Technik, um sowohl den Service für die Kunden zu verbessern wie auch selbst kosteneffizienter zu arbeiten. Die an sich selbst gestellte Hausaufgabe lautete: "Prozesse verschlanken, höhere Qualität liefern bei weniger Aufwand, um die Mitarbeiter zu entlasten - und das mit Fokus auf ein exzellentes Kundenerlebnis."
Robotics bringt neue Kultur
Dass die Initiative noch weitere Effekte nach sich ziehen würde, hatten die Verantwortlichen am Anfang gar nicht auf dem Schirm. "Als wir damit starteten, war uns nicht bewusst, welchen Schneeball wir damit kulturell zum Rollen bringen", berichten sie rückblickend. "Der Einfluss von Robotics auf die Art, wie Kollegen über Technik und Zusammenarbeit denken, wurde viel wichtiger als die erzielten Effizienzgewinne." Ins Rollen kam dieser kulturelle Wandel mit dem Robotics Competence Center (RCC). Dort fanden sich cross-funktionale Teams aus Analysten, Entwicklern sowie je nach Prozess wechselnden Experten und Führungskräften aus verschiedenen Fachbereichen zusammen.
Zunächst galt es jedoch, Vorbehalte aus dem Weg zu räumen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Gerade in den Fachabteilungen überwog die Skepsis, berichten die Verantwortlichen. Mit dem Begriff Robotics konnten die wenigsten etwas anfangen. Für viele Mitarbeiter gehörten Roboter in Fabrikanlagen und Fertigungsstraßen wie beispielsweise in der Automobilindustrie.
Dass es auch virtuelle Roboter gebe, war für viele bei Ergo am Anfang eine zu abstrakte Vorstellung. Dazu kamen Ängste innerhalb der Belegschaft. "Was wird aus meiner Arbeit, wenn ich Aufgaben aus der Hand gebe und automatisiere?", lautete oft die bange Frage der Mitarbeiter, wenn die Robotics-Initiative zur Sprache kam.
Vertrauen für die Roboter
Für die Initiatoren stand daher an erster Stelle, zunächst Vertrauen zu schaffen. Sie machten sich auf die Suche nach Pionieren und Unterstützern in den Fachbereichen. Um in den Abteilungen aufzuzeigen, welche ihrer Prozesse für eine RPA-Unterstützung geeignet seien, wurde eine Aufklärungskampagne gestartet: Beispielsweise standen bei "digital.morning" die Fachbereiche auf der Bühne und berichteten über ihre Fortschritte in Sachen Digitalisierung.
Jeden Monat wurden in dem Mitarbeiter-Videoformat so verschiedenste Digitalisierungsthemen in 45 Minuten auf den Punkt gebracht und per Stream live an alle deutschsprachigen Standorte kommuniziert. Damit erreichten die Verantwortlichen 2.800 Kollegen.
Wichtig für die Akzeptanz sei auch die konstruktive Zusammenarbeit mit den Betriebsräten gewesen, sagen die Robotics-Initiatoren. Es sei schließlich nicht darum gegangen, Arbeitsplätze abzubauen. Vielmehr sollten Mitarbeiter von Routine-Aufgaben entlastet werden, um an anderer Stelle höherwertige Beratungs- und Serviceleistungen erbringen zu können und so die Kundenzufriedenheit zu steigern. Das gelang offenbar: Die zunächst vorhandene Skepsis verwandelte sich zunehmend in Neugier.
Agil statt Großprojekt
So nahm die Robotics-Initiative Fahrt auf. Die Verantwortlichen setzten dabei auch auf ein neues Vorgehensmodell. Klassische IT-Großprojekte, wie sie in der Vergangenheit oft für die über Jahrzehnte gewachsene Anwendungslandschaft aufgesetzt wurden, funktionierten an dieser Stelle nicht. Um in kurzer Zeit Ergebnisse vorweisen zu können, setzte Ergo auf kleine Teams aus IT-Entwicklern und Fachexperten, die agil und mit DevOps-Methoden zusammenarbeiten sollten. Der Plan ging auf. Die Bots gingen im Schnitt schon nach einigen Wochen statt erst nach Monaten in Produktion, so die Bilanz der RPA-Initiatoren. Darüber hinaus seien auch Ausbaustufen kurzfristig möglich, nachdem erste Erfahrungen mit einem neuen Bot gesammelt wurden.
"Mit Robotics automatisieren wir einfache Aufgaben mit hohem Vorgangsvolumen und geringer Wertschöpfung", lautet die Zielsetzung bei Ergo. Dabei ahme der Softwareroboter die Arbeit der Sachbearbeiter nach und bediene dieselben IT-Systeme. Verantwortlich für die Bots sind die Entwickler im Robotics-Teams. Sie sind Teil der IT-Organisation und arbeiten nach DevOps-Prinzipien eng mit den Kollegen der IT-Infrastruktur zusammen. Den Fachbereichen wird Robotics als Komplettlösung aus einer Hand angeboten: Von der Potential- und Prozessanalyse über Entwicklung, Test und Abstimmung mit den Betriebsräten bis zum Betrieb der Bots.
Dabei behielten die Fachbereiche die Hoheit über ihren Prozess, betonen die Verantwortlichen des Versicherers: Die verantwortliche Führungskraft als Prozess Owner stelle Fachexperten für die Entwicklung. Diese beschreiben - unterstützt von den Prozessanalysten des RCC - jeden einzelnen Arbeitsschritt, inklusive Sonder- und Testfällen. Der Prozess Owner vertritt das Vorhaben dann im Betriebsrat, erteilt die Produktionsfreigabe und bekommt mit dem Bot einen zusätzlichen, virtuellen Mitarbeiter.
Um das Thema Robotics weiterzuentwickeln, arbeitet das RCC eng mit dem Bereich Advanced Data Analytics zusammen, der sich unter anderem mit künstlicher Intelligenz (KI) beschäftigt. Während herkömmliche Bots strukturierte, digitale Daten und schematische Abläufe benötigen, könne KI auch unstrukturierte Daten wie Texte, Sprache, Bilder und Videos erfassen. Damit könnten beispielsweise Vertragsnummern aus E-Mails ausgelesen oder die Schadenhöhe anhand eines Gutachtens abgeschätzt werden.
KPIs messen den Bot-Erfolg
Um den Erfolg der Bots zu messen, verwendet Ergo sowohl zentral einheitliche wie auch prozessspezifische KPIs. Quantitativ werde für jeden Bot die daraus resultierende zu erwartende Arbeitszeitersparnis sowie Dauer und Aufwand der Entwicklung erhoben. Im laufenden Betrieb werden die Fallzahlen gemessen, die jeder Bot bearbeitet - Stand Ende April 2020: 43 aktive Bots verarbeiten zusammen mehr als 30.000 Vorgänge pro Monat. Dafür müsste ein einzelner Mensch schon mehr als vier Jahre arbeiten, so die Bilanz des Versicherungskonzerns.
Für die Fachbereiche zählen darüber hinaus je nach Prozess ganz unterschiedliche Kriterien, wie beispielsweise eine schnellere Bearbeitung von Kundenanliegen beispielsweise oder gezieltere Auswahl von Prüffällen. Eine weitere Messgröße ist die Wirtschaftlichkeit bei der Verfolgung von Regressansprüchen gegen Unfallgegner der eigenen Kunden nach einer unfallbedingten Heilbehandlung.
Einen Kuchen für den Roboter
"Robotics ist zum Selbstläufer geworden", ziehen die Ergo-Verantwortlichen heute eine zufriedene Bilanz ihrer RPA-Initiative. Statt selbst nach Einsatzszenarien suchen zu müssen, wie am Anfang, fragten inzwischen die Fachbereiche aktiv nach Bots für ihre Prozesse. Außerdem habe ein Umdenken in den Fachabteilungen stattgefunden: Aus der Erfahrung, lästige und monotone Aufgaben einfach per Roboter-Automatisierung abgeben zu können, würden Prozessabläufe jetzt kritischer hinterfragt, hieß es.
In der Belegschaft habe sich ein neues Mindset entwickelt: Die anfängliche Skepsis - "der Bot nimmt mir meine Aufgaben weg" - sei ins Gegenteil umgeschlagen. Kollegen hätten dank vieler Aufklärungsmaßnahmen verstanden, was ein Bot kann - "aufwändige Tipparbeiten übernehmen" - aber auch, was er eben nicht kann - "komplexe Sachverhalte für den Kunden lösen". Dadurch entstehe eine hohe Akzeptanz, berichten die Ergo-Verantwortlichen. Der Bot wird zum Kollegen, der nicht selten einen richtigen Namen erhält und zu dessen Geburtstag sogar Kuchen gebacken wird.