Eineinhalb Jahre nach dem Zusammenbruch des Wirecard-Konzerns hat die Münchner Staatsanwaltschaft die erste Anklage im mutmaßlich größten Betrugsskandal der Nachkriegszeit erhoben. Beschuldigt ist kein Wirecard-Manager, sondern eine Nebenfigur: Ein ehemaliger Geschäftspartner des untergetauchten Ex-Vertriebschefs Jan Marsalek soll zuerst mit diesem gemeinsam 22 Millionen Euro aus der Konzernkasse veruntreut haben, wie die Münchner Staatsanwaltschaft mitteilte. Anschließend soll der Angeklagte von diesem veruntreuten Geld acht Millionen Euro für sich selbst abgezweigt haben. Zuerst hatte die "Süddeutsche Zeitung" berichtet.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann 26 besonders schwere Fälle der Geldwäsche verbunden mit Betrug in besonders schwerem Fall und falscher Buchführung vor. Laut Ermittlungen wollten Marsalek, der Angeklagte und weitere Komplizen die 22 veruntreuten Wirecard-Millionen über eine Anlagegesellschaft in deutsche Start-ups investieren und so die kriminelle Herkunft der Gelder verschleiern - daher der Geldwäschevorwurf.
Anders als mit Marsalek und Co. verabredet soll der Angeklagte dann aber acht Millionen Euro für den Kauf und Umbau eines Hauses in München sowie eigene Büros in der Schweiz ausgegeben haben. Nun muss zunächst das Münchner Landgericht über die Zulassung der Anklage entscheiden.
Marsalek ist seit Sommer 2020 untergetaucht und wird in Russland vermutet. Bislang nicht angeklagt ist der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun, der seither in Untersuchungshaft sitzt. Das für die Haftprüfungen zuständige Münchner Oberlandesgericht hatte aber kürzlich deutlich gemacht, dass es mit einer Anklage Brauns bis März rechnet.
Die Ermittler werfen Braun und anderen früheren Wirecard-Spitzenmanagern bandenmäßigen Betrug vor. Sie sollen nicht vorhandene Umsätze in Milliardenhöhe erfunden haben, um systematisch Kredite und Investorengelder zu erschleichen. Der Betrugsschaden könnte demnach eine Rekordsumme von drei Milliarden Euro erreicht haben.
Die erste Anklage gegen den einstigen Marsalek-Partner illustriert aber, wie verwickelt die Affäre ist. So scheint nicht ausgeschlossen, dass maßgebliche Beteiligte einerseits gemeinsam kriminelle Sache machten und sich gleichzeitig wechselseitig prellten.
Was Vorstandschef Braun zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft sagt, hat die Staatsanwaltschaft bislang nicht publik gemacht. In einem kürzlichen Zivilverfahren vor dem Landgericht um die mutmaßlich gefälschten Wirecard-Bilanzen wurde jedoch deutlich, dass Braun sich möglicherweise selbst nach wie vor als Opfer sieht.
Die erste Anklage lässt nun zumindest darauf schließen, dass der untergetauchte Marsalek auch nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft große Summen aus dem Unternehmen auf eigene Rechnung beiseite schaffte. Sollten sich die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft erhärten, könnten am Ende Braun und Marsalek sowohl Betrüger als auch von den eigenen Komplizen Betrogene gewesen sein. (dpa/rs)