Sie tragen Wollmützen auf dem bärtigen Schädel, sind trotz hoher Dosen Redbull immer entspannt und sitzen gerade in einem Berliner Café über ihrem neuen Projekt. Ein cooles Leben haben sie, die jungen selbständigen IT-ler (manche machen auch was mit Medien). Ein Klischee, dem beispielsweise die IG Metall widerspricht. Crowdworker oder Clickworker arbeiten häufig unter "äußerst unfairen Bedingungen", so die Kritik der Gewerkschaft. Grund genug für das Münchener Unternehmen Testbirds, eine Diskussion zu starten. Deren Ergebnis ist der erste "Code of Conduct", der Grundsätze für bezahltes Crowdsourcing/Crowdworking festlegt.
Schließlich arbeitet Testbirds selbst mit Crowdworkern. Geschäftsmodell des jungen Unternehmens ist nach eigener Darstellung eine Plattform, auf der Unternehmen ihre Apps und Websites schnell und realitätsnah von Endkunden und Experten testen lassen können. Der Code of Conduct ist ein Gemeinschaftswerk von Philipp Benkler aus der Testbirds-Geschäftsführung sowie Christian Rozsenich, Geschäftsführer von Clickworker, und Dorothea UTZT, Geschäftsführerin Streetspotr. Der Deutsche Crowdsourcing Verband unterstützt das Papier.
Insgesamt zehn Grundsätze haben die Unterzeichner festgelegt. Darin finden sich Begriffe wie Seriosität und Bezahlung, Aufgabendefinition und Zeitplanung, Kommunikation und Datenschutz.
"Das ist die erste Version und diese ist bewusst offen formuliert", erklärt Benkler im Gespräch mit uns. Ginge es nach dem 28-Jährigen, könnte binnen weniger Monate schon der "Code of Conduct 2.0" entstehen, in den Erfahrungen von Crowdworkern und Unternehmen ebenso einfließen wie die der Gewerkschaften. Schließlich hat die IG Metall erst im Mai eine eigene Plattform live geschaltet: faircrowdwork.org. "Auf der Plattform finden alle Clickworker Beratung und Hilfe, können sich in einer Community über die Bezahlung austauschen und vor unseriösen Auftraggebern warnen", erklärt ein Sprecher.
Eine gute Idee, findet jedenfalls Testbirds-Chef Benkler. Schließlich setzt ein solches Portal am Punkt 4 seines Code of Conduct an: Motivierende Arbeit. Die Unterzeichner "werden stets ihr Bestes geben, den Erwartungen der Crowdworker hinsichtlich einer motivierenden und erfüllenden Arbeit nachzukommen". Denn intrinsische Motive sind solchenFreelancern mindestens so wichtig wie der schnöde Mammon, weiß Benkler.
Testbirds startet daher regelmäßig Umfragen unter seinen mehr als 100.000 registrierten Testern. Das ist aber nur ein Teil, wie Benkler betont. "Den Crowdworkern ist ihre weitere Qualifikation wichtig, daher haben wir eine eigene Bird School eingerichtet", sagt er. "Wir kooperieren auch mit den Universitäten in Siegen und St. Gallen." Auch Gamification-Elemente sollen die freien Tester bei der Stange halten.
Wenn es ums Geld geht - Punkt 3 des Codes of conduct verspricht den Clickworkern "faires und angemessenes Honorar - wirft Benkler zunächst einen nicht-monetären Wert in die Waagschale: Vertrauen. "Wir kalkulieren auf Basis von Erfahrungswerten und Feedback aus der Crowd", erläutert er. Und sagt offen: "Veranschlagen wir für einen Auftrag eine bis zwei Stunden, der Tester ist aber nach dreißig Minuten fertig, wird er uns das kaum sagen.
Braucht er aber drei Stunden, wird er sich schon melden." Grundsätzlich solle bei Testbirds niemand weniger als zehn Euro pro Stunde erhalten, und das wurde schon vor dem Mindestlohn beschlossen. Zudem zahlen die Münchner ihren Testern Boni: je mehr Bugs gefunden werden, umso mehr Geld gibt es. Im konkreten Fall hängt die Bezahlung immer von Faktoren wie dem Schwierigkeitsgrad der Aufgabe und der verlangten Qualifikation ab, so Benkler.
Aufwand für die Unternehmen
Zehn Euro pro Stunde? Dass die Auftragsvergabe an Crowdsourcer den Unternehmen Kosten sparen kann, gilt als einer der großen Vorteile. Doch Ivo Blohm, Leiter Competence Center Crowdsourcing am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen, sieht die Dinge differenzierter. "So muss das Unternehmen teilweise extrem präzise und aufwendige Aufgaben-/ Projektdefinition erstellen, damit das gewünschte Ergebnis geliefert wird", erklärt er im Gespräch mit uns.
Der Wissenschaftler nennt weitere Risiken: "Ist eine Aufgabe einmal an die Crowd gegeben, besteht die Gefahr des Kontrollverlustes über die Crowdaktivitäten seitens der Unternehmen. Zudem kann es mit dem Einsatz von Crowdsourcing zu Widerständen in der internen Belegschaft kommen sowie internes Wissen aus dem Unternehmen abfließen."
Den wichtigsten Vorteil aus Unternehmenssicht erkennt Blohm darin, dass die Unternehmen auf einen großen Wissens- und Kompetenzpool zugreifen können, der ihnen intern nicht zur Verfügung steht. Zudem bietet dieses Kooperationsmodell sehr viel Flexibilität. Er spreche daher oft von "Workforce as a Service", sagt Blohm. Oft arbeite die Crowd, "wenn in den Unternehmen die Lichter ausgehen", abends und am Wochenende also. "Durch die Zerlegung der Arbeit in kleinere Teilaufgaben, die parallel bearbeitet werden, können Unternehmen häufig ihre Prozesse beschleunigen", erklärt der Wissenschaftler.
Verlässliche Zahlen zur Beschäftigung von Crowdworkern liegen laut Blohm noch nicht vor. Mit Blick auf Plattformen wie Freelancer, Elance oder 99Design schätzt der Wirtschaftsinformatiker, dass es in absehbarer Zeit einige Hunderttausend solcher Freien im deutschsprachigen Raum geben wird.
Den Wirtschaftsinformatiker überrascht es daher nicht, dass die Gewerkschaften den Ball aufnehmen. "Sie haben das rechtliche Vakuum erkannt", attestiert Blohm. Denn der gesetzliche Status der Crowd Worker bewegt sich derzeit in einer Grauzone mit teilweise sehr vagen Bestimmungen. "Es gilt, das Crowdsourcing als neue Form digitaler Arbeit auch hinsichtlich Mitbestimmung und Interessenvertretung zu gestalten", so der Wissenschaftler.
Gewerkschaft fordert Öffnung der Sozialversicherung
Die IG Metall zitiert den Arbeitsrechtler Thomas Klebe, wonach Crowdworker "ein Schutzbedürfnis wie alle Arbeitnehmer" haben. Die Gewerkschaft fordert, dass sich die Sozialversicherung "wenigstens in Teilen" öffnet. Außerdem müssten Mindestlohn und Heimarbeitsgesetz für Clickworker gelten. Auch Blohm sieht die Politik gefordert. "Die Implementierung eines gesetzlichen Rahmenwerks für Crowdwork steht noch am Anfang", sagt er. Dabei solle der Gesetzgeber mit Vertretern der Crowdworker selbst sowie mit Universitäten und Gewerkschaften zusammenarbeiten.
In dieses Horn stößt auch Testbirds-Chef Benkler. Er wünscht sich nun, dass sein Code of Conduct erst einmal angenommen wird und Crowdwork voranbringt. "Und natürlich wünsche ich mir, dass sich alle an unser eigenentwickeltes Regelwerk halten. Inklusive wir selbst." Spricht's und greift nach der Redbull-Dose.