Autonomes Fahren

Es geht um die Datenhoheit, nicht ums Auto

15.09.2015 von Christoph Lixenfeld
Alle glauben an den Erfolg selbstfahrender Autos. Dabei geht es gar nicht um die Frage Lenkrad oder nicht, weder für Google noch für Daimler.
  • Wer nicht mehr auf den Verkehr achten muss, kann sich Werbung ansehen, darum geht es beim Google Car.
  • Die US-Digitalkonzerne wollen gar keine eigenen Autos produzieren.
  • Gefährlich werden Google und Co. für Autohersteller deshalb, weil sie im Kampf um Kundendaten die Nase vorn haben.

"Wir stehen vor einer Neuerfindung des Automobils", so Dieter Zetsche vor ein paar Wochen in einem Interview. Der Daimler-Chef meinte damit keineswegs jene 11 neuen Modelle, die das Unternehmen bis 2020 noch auf die Räder stellen will. Sondern die Bemerkung war eine Verbeugung vor Googles autonom fahrenden Auto.

Dass der US-Datenkonzern in das Daimler-Territorium einbrechen will, mache ihm dabei allerdings keineswegs Angst. Stattdessen setzt er auf Kooperation: "Eine Option könnte sein, dass die Autos in einem Joint Venture entstehen und wir diese dann bauen", so Dieter Zetsche.

Ein bisserl lustig ist diese Vorstellung deshalb, weil viele der aktuellen und erst recht der geplanten Daimler-Modelle so ganz und gar keine Ähnlichkeit haben mit Googles Selbstfahrauto: hochbeinige Schützenpanzerhaftigkeit mit kleinen Fensterflächen hier, winzige Räder und große Scheiben dort.

Connected Car
Connected Car
Per Smartphone können etliche Fahrzeugfunktionen ferngesteuert werden.
Connected Car
Das Anklappen der Spiegel oder das Ent- und Verriegeln der Türen sind dabei nur zwei Funktionen.
In-Car-LTE-Hotspot
Per nachrüstbarem WLAN-Stick wird das Auto zum LTE-Hotspot.
Drivexone
Per OBD-Adapter werden auch ältere Modelle zum Connected Car.
Drivexone
So lässt sich darüber etwa die Position des Fahrzeugs kontrollieren.

"Google und Apple wollen keine Autos bauen"

Wenn das Auto autonom Tempo und Richtung bestimmt, dürften PS und Image nur noch eine untergeordnete Rolle spielen.
Foto: BMW Group

Außerdem stellt sich die Frage, warum der Fahrer für acht Gänge und 400 PS Geld ausgeben sollte, wenn nicht er selbst, sondern ein Computerprogramm über Tempo und Fahrstil entscheidet?

Gerade die Deutschen legen beim Fahren großen Wert aufs Handgemachte, weniger als 30 Prozent der Autokäufer ordern hierzulande ein Automatikgetriebe. Trotzdem ist natürlich nicht auszuschließen, dass der Angestellte eines Tages morgens in ein fahrbares Ei steigt und sich vom Computer ans Ziel kutschen lässt, während er einen Film ansieht.

Vor der "Neuerfindung des Automobils" stehen wir aber vermutlich schon eher. Und dabei geht es um Daten, nicht um die Frage, ob der Mensch das Gefährt noch lenken muss oder nicht. Der Kampf der Zukunft lautet nicht "Alphabet GTI" (der Google-Konzern heißt seit Kurzem Alphabet) gegen "Daimler GLE". Denn "Google und Apple wollen doch nicht ernsthaft Autos bauen, wer glaubt denn sowas?", wie VW-Aufsichtsratschefs Bernd Osterloh im März treffend bemerkte.

Diese Autos wurden 2015 gehackt
Auto-Hacks 2015
Das Jahr 2015 ist das Jahr der Auto-Hacks. In den ersten acht Monaten des Jahres werden gleich sechs gravierende IT-Security-Schwachstellen in Fahrzeugen verschiedener Hersteller bekannt. Wir haben die aufsehenerregendsten - wissenschaftlich motivierten - Hackerangriffe auf Connected Cars für Sie in unserer Bildergalerie zusammengefasst.
BMW "ConnectedDrive"
Der ADAC deckt Anfang des Jahres eine massive Sicherheitslücke innerhalb des BMW „Connected Drive“-Systems auf, über die sich Angreifer via Mobilfunknetz Zugang zum Fahrzeug verschaffen können. Das Problem wird schließlich per Software-Update behoben – weltweit sind über zwei Millionen Fahrzeuge quer durch alle Konzern-Marken und -Baureihen betroffen.
Jeep Cherokee
Enormes Medienecho verursacht im Mai 2015 der Remote-Hack eines Jeep Cherokee – bei voller Fahrt. Den Sicherheitsforschern Chris Valasek und Charlie Miller gelingt es, einen Jeep Cherokee über Funk fremdzusteuern. Das Infotainment-System im Fahrzeug dient den Security-Experten als Einfallstor – kurz darauf sind sie in der Lage, sämtliche Fahrfunktionen des SUV fremd zu steuern. Der Fiat-Chrysler-Konzern muss in der Folge in den USA circa 1,4 Millionen Fahrzeuge zu einem Software-Update in die Werkstätten rufen.
General Motors "OnStar"
Hacker Samy Kamkar gelingt es, eine Schwachstelle im General-Motors-Infotainment-System „OnStar“ auszunutzen. Das System ermöglicht den Auto-Besitzern, ihr Fahrzeug per Smartphone zu öffnen und zu schließen. Mit Hilfe eines Toolkits fängt Kamkar die Kommunikation zwischen Smartphone und Automobil ab. So kann er nicht nur den Aufenthaltsort des Fahrzeugs bestimmen, sondern es auch nach Lust und Laune öffnen und schließen sowie den Motor aus der Ferne starten.
Corvette-SMS-Hack
Die Sicherheitsforscher Karl Koscher und Ian Foster gelangen über manipulierte SMS-Nachrichten in das CAN-BUS-System einer Corvette. Als Zugangspunkt dient ihnen ein Telematik-System eines Kfz-Versicherers. So erhalten sie Zugriff auf essentielle Fahrsicherheits-Komponenten wie Bremsen, Gas und Lenkung. Das Telematik-System des US-Versicherers Metromile kommt in den USA unter anderem auch beim Fahrdienstleister Uber zum Einsatz. Metromile zufolge sind die Security-Löcher inzwischen gestopft.
Der VW-Motorola-Hack
Bis zum August 2015 versucht der Volkswagen-Konzern - offensichtlich aus Angst vor Reputationsschäden - die Veröffentlichung von technischen Details zu einem Hack zu verhindern, der Wissenschaftlern der Universitäten Nijmegen und Birmingham bereits 2012 gelungen ist. Als Zugangspunkt dient den Forschern das Transponder-System einer Wegfahrsperre von Zulieferer Motorola. Nachdem sich Volkswagen außergerichtlich mit den Forschern einigt, werden die technischen Details auf der Usenix-Konferenz 2015 öffentlich gemacht.
Tesla Model S
Der jüngste Auto-Hack-Fall in diesem Jahr betrifft das Tesla Model S. Die Security-Spezialisten Kevin Mahaffey und Marc Rogers wollen beweisen, dass auch Teslas Elektro-Limousine nicht unhackbar ist. Letztendlich finden die beiden tatsächlich einen Weg, Kontrolle über das Model S zu erlangen. Auf der Defcon-Konferenz 2015 präsentieren sie ihre Erkenntnisse. Fazit: Auch wenn der Hack des Tesla nur unter immensem Aufwand und über einen physischen Zugang zu den Systemen möglich war – unhackbar ist auch dieses Auto nicht. Immerhin erweist sich die Architektur der Tesla-Systeme laut Mahaffey und Rogers als „relativ sicher“ und „gut durchdacht“.

Es geht um Daten

Warum sollten sie auch? Google hat 2013 etwa halb so viel umgesetzt wie Daimler - und mehr als 24 Prozent Gewinn vor Steuern gemacht. Daimler musste sich mit 7,4 Prozent begnügen. Schon diese Zahlen sprechen dafür, dass die Autohersteller den Googles und Apples Konkurrenz machen wollen und nicht umgekehrt.

Zum Video: Es geht um die Datenhoheit, nicht ums Auto

Es geht nicht um Autonomie, sondern um Daten und um die Hoheit über sie. Im Juli kauften Daimler, BMW und Audi gemeinsam Nokias Kartendienst "Here" für rund 2,5 Milliarden Euro. Location-Dienste sind ein wichtiger Baustein für die Gewinnung von Bewegungsdaten und damit verbundene regional angebundene Services - Google Maps lässt grüßen. "Wenn es um die Verwertung von Daten geht, sehe ich Apple und Google als Konkurrenten", sagt VW-Betriebsrat Bernd Osterloh.

Ganz so unverblümt geben Manager natürlich nicht zu, worum es im Kern geht. Im Gegenteil: Wenn Unternehmenslenker in Deutschland über Daten sprechen, beschwichtigen sie eher und wiegeln ab.

Dieter Zetsche in einem Interview mit der Welt zum Thema Daten: "Wir werden keine Chance für ein Geschäft mit der Weiterverwertung nutzen, wenn das nicht erwünscht ist." Und weiter unten als Antwort auf den Einwurf, Daimler könne ja mit personenbezogenen Daten selbst "ein super Geschäft machen", sagte Zetsche: "Nein, ausgeschlossen. Für uns haben diese Informationen ausschließlich den Zweck, Betrieb, Service und Kundennutzen unserer Autos zu optimieren."

Selbst wenn das bezogen auf die verkauften Mercedes-Fahrzeuge stimmen sollte: Daimler ist über andere Quellen einer der größten Sammler von Bewegungsdaten in Deutschland. Das Unternehmen hat im vergangenen Jahr die Smartphone-Taxivermittlung Mytaxi zu 100 Prozent übernommen, bei deren Nutzung der Kunde (zwangsläufig) mitteilt, wann er von wo wohin fährt.

Car2go von Profitabilität weit entfernt

Gemeinsam mit Europcar betreibt Daimler außerdem die Smart-Vermietung Car2go. Trotz vieler Kundenproteste verbannt das Unternehmen die anfänglich eingesetzte Member-Card zum Öffnen und Schließen Schritt für Schritt aus den Fahrzeugen, stattdessen sollen irgendwann alle Smarts nur noch über eine App auf dem Smartphone nutzbar sein.

Über das Warum der Umstellung äußerte sich Car2go stets nur vage. Fakt ist, dass das Unternehmen so Zugriff auf die "Datenmaschine Smartphone" ihrer Kunden bekommen kann.

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Die Geschäftsgebiete schrumpfen

Dritter Stern in Daimlers Datenkosmos ist "Moovel", laut Selbstbeschreibung eine "offene Mobilitätsplattform", die in jeder Situation die optimale Verbindung zum Ziel finden soll. Mit von der Party sind neben den (ganz oder teilweise) Daimler-eigenen Diensten Mytaxi und Car2go die Bahn, Verkehrsverbünde oder Fahrradverleihe.

Nach Angaben von Daimler fußt das Geschäftsmodell von Moovel auf den Gebühren dieser externen Anbieter. Und auch Car2go ist nach offizieller Lesart nicht auf der Welt, um Daten zu sammeln, sondern das Unternehmen soll Geld mit dem Verleih von Smarts verdienen.

Richtig gut zu laufen scheint das Geschäft allerdings nicht. Während Car2go Anfang 2013 angab, in drei Städten bereits Gewinn zu erwirtschaften, hieß es im Herbst 2014, insgesamt sei die Gewinnschwelle frühestens 2016 erreicht. Ebenfalls noch 2014 wurde der Standort Ulm dichtgemacht.

BMW ist schon einen Schritt weiter

Im Sommer 2015 schließlich verkleinerte das Unternehmen seine Geschäftsgebiete - das heißt jene Teile der Städte, in denen Car2go genutzt werden kann - in Berlin, Hamburg, München, Köln/Düsseldorf und Wien. Vor allem im Vorzeigestandort Berlin schrumpfte das Geschäftsgebiet deutlich. Der Grund: Außerhalb der Kernzonen stehen die Smart zu lang ungenutzt herum.

Capgemini über vernetzte Autos (Connected Cars)
Capgemini über vernetzte Autos
Das vernetzte Auto - inwieweit theoretische Möglichkeiten und praktische Umsetzung auseinanderklaffen, haben die Analysten von Capgemini untersucht.
Besuch beim Händler
So schnell dürfte der stationäre Autohandel nicht aussterben. Schließlich wollen die Kunden das Auto "in echt" sehen und eine Probefahrt unternehmen. Das motiviert jedenfalls 72 Prozent beziehungsweise 61 Prozent der Befragten zu einem Besuch beim Händler, wie die Studie "Cars online 2014" zeigt.
Beliebte Services
Offenbar lassen sich Kunden in den aufsteigenden Märkten stärker von den neuen Services begeistern als Konsumenten in den reifen Märkten. Ob es um Sicherheit, Services oder Infotainment geht - überall ist das Interesse der Verbraucher in den aufsteigenden Ländern größer.
Daten teilen
Die Verbraucher wurden gefragt, wem sie Einblick in ihre Daten gewähren würden. Dabei liegen Hersteller und Händler vorn. Der Versicherung dagegen möchten noch nicht einmal vier von zehn Befragten Einblick geben.
Investitionen: Hersteller versus Händler
Ein anderer Aspekt ist die unterschiedliche Vorgehensweise von Herstellern und Händlern. Während 56 Prozent der Hersteller aktuell in ihre IT investieren wollen, sind es nur elf Prozent der Händler. Die Frage bezog sich auf den Einsatz von Smartphones und Tablets sowie Apps (Quelle: Studie "Neue Technologien im Autohaus).
Gründe für Investitionen in Apps
Motivation zum Investieren ist für Hersteller der Blick nach vorne. Sie nennen Zukunftsorientierung als wichtigsten Grund. Händler wollen vor allem die Kundenbindung stärken.
Auswirkungen der Smartphones
Hersteller schreiben Smartphones und Tablets stärkere Auswirkungen auf ihre Aktivitäten zu als Auto-Händler.

Doch selbst wenn das Vermietgeschäft in Zukunft noch schlechter läuft, muss das kein Problem sein. Die Beratungsgesellschaft KPMG hat Anfang des Jahres ein rettendes Geschäftsmodell entwickelt: Werbung auf Basis der während der Fahrt gewonnenen Kundendaten, zum Beispiel für Restaurants, die auf dem Weg liegen.

BMWs Car2go-Konkurrent DriveNow (gemeinsam mit Sixt) ist hier schon weiter als Daimler: Im Bedien-Menü der bereitgestellten Minis und 1er-BMWs finden sich schon heute Angebote von Skizentren oder Thermen.