Ein bisher in der Literatur über Outsourcing zu kurz gekommenes Thema betrifft das Zustandekommen eines Outsourcingvertrages. Nun wird sich sich der geneigte Leser fragen, was denn an einem solchen Vertrag so besonders sein soll. Aber schauen wir uns zunächst einmal die beteiligten Parteien an:
Auf der einen Seite stehen:
1. Die Unternehmensleitung des outsourcenden Unternehmens,
2. der CIO des outsourcenden Unternehmens,
3. die IT-Mitarbeiter des outsourcenden Unternehmens,
4. der technische Einkauf des outsourcenden Unternehmens und
5. die Rechtsabteilung des outsourcenden Unternehmens.
Auf der anderen Seite stehen:
6. Die Unternehmensleitung des Outsourcingpartners, also des Unternehmens, dass die IT-Leistung zukünftig erbringen wird.
7. der Vertrieb des Outsourcingpartners,
8. die Rechtsabteilung des Outsourcingpartners und
9. der zukünftige Customer Center Leiter als Vertreter der operativen IT-Abteilungen des Outsourcingpartners, also der zukünftigen Leistungserbringer, als da sind die SAP-Basisbetreuung, das Application Management, der User-Help-Desk, usw.
Nachdem wir nun die handelnden Personen vorgestellt haben, möge das Spiel beginnen:
Bei einem gemütlichen Plausch an einem knisternden Kaminfeuer haben die beiden Unternehmensleitungen an dem Gedanken des Outsourcing Gefallen gefunden und sie beschließen, die Aufgabe des Schaffens einer beiderseitigen Win-Win-Situation an ihre jeweiligen Fachabteilungen zu delegieren. Es wird ein enger Zeitrahmen vereinbart, denn die Win-Win-Situation soll zum Nutzen beider Unternehmen möglichst schnell Wirklichkeit werden.
Es soll uns an dieser Stelle nicht interessieren, welchen Umfang das Outsourcinggeschäft haben wird. Es reicht, wenn wir unterstellen, dass zwischen 30% und 100% der bisherigen IT-Aktivitäten fremdvergeben werden sollen.
Doch kehren wir zu dem Verlauf unseres Outsourcinggeschäftes zurück: Der CIO des outsourcenden Unternehmens wird in der turnusmäßigen Sitzung der erweiterten Geschäftsleitung über das Vorhaben, die sportlichen Kostenziele und über den engen Zeitrahmen informiert. Ihn beschleicht der leise Schrecken dessen, der um seine weitere Zukunft fürchtet und ganz tief in ihm regt sich eine gewisse Abneigung gegen dieses Vorhaben. Er beugt sich jedoch dem Willen der Unternehmensleitung und stellt ein Team zusammen, in dem der technische Einkauf, die Rechtsabteilung, sein für die IT-Kostenverrechnung zuständiger Mitarbeiter und er selbst als Teamleiter die Aufgabe bearbeiten werden.
In einer Reihe von Sitzungen werden nun die bisherigen IT-Kosten gesammelt, was aber wegen der unklaren Verbuchungspraxis in einigen Bereichen des Unternehmens gar nicht so einfach ist. Mit diesen Vorgaben finden Gespräche zwischen dem technischem Einkauf und der Vertriebsabteilung des Outsourcingpartners statt. Man einigt sich recht schnell auf die zukünftigen Outsourcingpreismodelle, die bei einem eingeschwungenen Zustand eine beträchtliche Kosteneinsparung gegenüber den bisher als IT-Kosten zusammengefassten Verbuchungen darstellen würden. Damit haben der technische Einkauf und der Vertrieb des Outsourcingpartners ihre Aufgabe erfüllt und ziehen sich relativ schnell und geräuschlos aus dem Geschehen zurück.
Nun muss natürlich noch ein Vertrag geschlossen werden, der die vereinbarten Leistungen und die per Letter-of-Intent fixierten Preismodelle dauerhaft regelt. Damit werden die Rechtsabteilungen der beiden Parteien beauftragt. Die Rechtsabteilung des Outsourcingpartners holt den Standardvertrag für mittelgroße Unternehmen mit etwa 600 Seiten aus dem Schrank und gibt ihn an die andere Rechtsabteilung weiter. Die Rechtsabteilung des outsourcenden Unternehmens aber hat mit Fragen wie Service Level Agreements, mit Verfügbarkeiten, fixen und variablen Kostenanteilen bei der PC-Betreuung und bei SAP-Usern keine Erfahrung und fordert daher den CIO auf, seinerseits die wichtigen Eckpunkte zu formulieren, die in dem Vertrag ja unbedingt berücksichtigt werden müssen. Der CIO befasst sich aber zu diesem Zeitpunkt bereits schwerpunktmäßig mit der Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs. Veranlasst durch die Gerüchte um das bevorstehende Outsourcing, um einen Betriebsübergang und evtl. deutschlandweite Einsätze der dann zukünftig bei einem internationalen IT-Dienstleistungskonzern (dem Outsourcingpartner) beschäftigten IT-Mitarbeiter haben bereits drei Leistungsträger des CIO das Weite gesucht. Der CIO selbst sieht die Erwartungen an seine eigene berufliche Zukunft gefährdet und ist ganz vorsichtig auf der Suche nach einer neuen „Herausforderung“. Er stellt überschlägig die wichtigsten Punkte für den Vertrag zusammen, schiebt aber ansonsten den schwarzen Peter des Vertragsabschlusses an die Rechtsabteilung zurück. Es ist also immer noch kein Vertrag zustande gekommen, der dem outsourcenden Unternehmen eine praxisgerechte IT-Verfügbarkeit zu zukunftssicheren Kosten gewährleistet.
Auf Grund des hohen Zeitdrucks beginnt der Customer Center Leiter des Outsourcingpartners bereits mit der Aufnahme der Ist-Situation der zu übernehmenden EDV-Landschaft: Betriebssystem-Versionen, Handbücher, Wartungsverträge und Lizenzen müssen gesammelt werden, es werden Zeitpläne für die Übernahme der operativen Verantwortung erstellt, und dies erfordert von den demotivierten bisherigen IT-Mitarbeitern Überstunden, weil halt viele Dinge doch nicht so lückenlos dokumentiert sind, wie sie es eigentlich sein sollten. Ein Vertrag besteht immer noch nicht.
Der CIO hat unterdessen eine neue Stelle in Aussicht und verhandelt mit der Unternehmensleitung über sein vorzeitiges Vertragsende. Es wird auch eine Einigung erzielt, aber unter der Maßgabe, dass der CIO noch den Outsourcing-Vertrag unter Dach und Fach bringt. Die Rechtsabteilung hat unterdessen den Gerichtsort geklärt und in dem Vertragstext verankert, es wurde eine Inflationsausgleichsklausel eingefügt und damit wird der Vertrag dann allmählich unterschriftsreif. Weil noch verschiedene Resturlaube auf beiden Seiten genommen werden müssen, verschiebt sich die letzte Abstimmungsrunde bis kurz vor den Abschied des CIO.
Jetzt kommt ein Vertrag zustande und der geneigte Leser mag sich ausmalen, welche Regelungen bzgl. Systemverfügbarkeit, maximaler Ausfallzeiten, schwerwiegender Mengengerüstverschiebungen, Wegfall einzelner Geschäftsbereiche etc. in diesem Vertrag „zukunftssicher“ verankert wurden.
Wenn ein Outsourcingvertrag zwischen zwei Unternehmen mit zwei Rechtsabteilungen auf z.B. zehn Jahre fest abgeschlossen wurde, dann ist ein solcher Vertrag bindend und eine tief greifende Veränderung eines solchen Vertrages ist nur unter großen Mühen und mit hohen Abstandszahlungen möglich.
Das Alles wäre vermeidbar gewesen, hätte das outsourcende Unternehmen rechtzeitig einen externen Dritten geholt, der sich mit der oben beschriebenen, überwiegend menschlich bedingten, Problematik auskennt und der ein solches Projekt unabhängig von eigenen Zukunftsängsten im Sinne einer realistischen Zielsetzung zu einem erfolgreichen Abschluss bringt.
Dr. Eberhard Groetschel,
Senior Management Berater
@-yet GmbH
Schloß Eicherhof
42799 Leichlingen