Es war ein ungewöhnliches Bild: Gleich zwei deutsche Minister saßen beim EU-Treffen zum Datenschutz in Vilnius einträchtig mit am Tisch. Zu einer informellen Tagung ohne Beschlüsse, wo sonst gerne mal Vertreter geschickt werden, erschien die Bundesregierung gleich doppelt. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zeigten den EU-Partnern persönlich, wie wichtig Deutschland seit den Enthüllungen über die Bespitzelung durch US-Geheimdienste den Datenschutz nimmt. Beide betonten ihre Eintracht: "Zwei Minister, eine Meinung: die Bundesregierung", umschrieb Leutheusser-Schnarrenberger den Auftritt.
Im Gepäck hatte die Ministerin einen gemeinsamen Brief mit Frankreich, in dem sich beide Länder für die Rechte ihrer Bürger an den eigenen Daten stark machen. Europäer müssten wissen, wenn Internetkonzerne Daten an ausländische Behörden weitergäben, heißt es darin. Die deutsch-französische Initiative bringt frischen Wind in die zähe Debatte um einen besseren Datenschutz auf EU-Ebene.
Da ließ EU-Justizkommissarin Viviane Reding, die seit eineinhalb Jahren für die Datenschutzreform kämpft, ihrer Begeisterung freien Lauf: "Die Präsenz von zwei Ministern zur selben Zeit (..) zeigt, dass Deutschland wirklich dafür steht." Die geplante Reform könne 2014 wohl noch vor den Europawahlen im Mai beschlossen werden. Das alles hätten die Enthüllungen über das US-Ausspähprogramm "Prism" bewirkt: "Danke, Prism, für den Weckruf", sagte Reding.
Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass sich in der EU nur dann etwas bewegt, wenn die beiden Schwergewichte Deutschland und Frankreich Hand in Hand arbeiten. EU-Kommissarin Reding stellte zufrieden fest: "Der deutsch-französische Motor arbeitet."
Doch der neue Schwung Deutschlands rief in Vilnius bei manchen Diplomaten Erstaunen hervor, ja gar Stirnrunzeln. "Die spielen doch nur ein Spiel, und das heißt Wahlkampf", sagte ein EU-Diplomat. "Das weiß hier jeder." Aus Sicht Europas habe Deutschland gestern noch gebremst und treibe heute die Sache voran. Viele würden sich fragen, was dann nach der Bundestagswahl im September sein wird: "Erst dann wird sich zeigen, was Deutschland wirklich will."
Auch aus dem Europaparlament, das zustimmen muss, kommen kritische Stimmen. Der mit dem Dossier federführend befasste grüne Abgeordnete Jan Philipp Albrecht warnt, die deutschen Ankündigungen könnten "nur Wahlkampfgetöse auf Kosten der Bürgerrechte bleiben".
Tatsächlich ist die Reform des EU-Datenschutzes seit längerem in Arbeit. Doch die Sache stockt, viele EU-Länder - auch Deutschland - hatten immer wieder Bedenken angemeldet. US-Internetriesen wehren sich und wollen die Regeln zulasten der Internetnutzer verwässern, Europa-Abgeordnete sprechen von einer wahren "Lobby-Schlacht".
Die Reaktionen auf die Aktivitäten der US-Geheimdienste waren in Berlin und Brüssel bisher denkbar verschieden. Während in Deutschland eine hitzige Debatte läuft, blieb es in der EU-Hauptstadt bemerkenswert ruhig. Die EU ist bei dem Thema Geheimdienste nicht zuständig, weil die nationale Sicherheit allein Sache der Staaten ist, die sich da auch nicht gerne hineinreden lassen.
In Deutschland hat das Thema Schutz der Privatsphäre von Bürgern in Zeiten des Bundestagswahlkampfes besondere Bedeutung bekommen. Es war die Kanzlerin selbst, die das Thema Anfang der Woche zur Chefsache machte. Angela Merkel (CDU) erklärte, den Datenschutz in den Gesprächen mit den USA ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen: "Ich bin dem Schutz der Bürger vor Terror ebenso verpflichtet wie dem Schutz der Privatsphäre der Bürger."
Ob die EU-Datenschutzreform nun tatsächlich schnell Wirklichkeit werden wird, ist aber offen. Weder die Staaten im Rat noch das Europaparlament verfügen bisher über eine abgestimmte Position. Erst nach der Sommerpause steht die Abstimmung im Parlament an, 4000 Änderungsanträge liegen zu dem Entwurf vor, eine unglaubliche Zahl. Diplomaten zweifeln daran, dass das komplexe Reformpaket noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann. "Das ist allein von den Abläufen her kaum machbar", sagt ein EU-Diplomat. (dpa/rs)