Früher war der Technische Direktor der National Security Agency (NSA) oft und gerne beim Bundesnachrichtendienst. "Das waren die guten Tage", sagt Binney. "Da wussten wir, gegen wen wir gearbeitet haben." Jetzt rät er CIOs zum Boykott der flächendeckenden Überwachung.
Binney hat mittlerweile nicht mehr viele Freunde bei seinem alten Arbeitgeber. Er zählt zu den "Whistleblowern" (engl. für Informanten), die unverhohlen darüber sprechen, wie die US-Spionageeinheit Bürgerrechte beschneidet. "Ich fühle mich verpflichtet, das zu tun", sagt der Pensionär Binney, der die NSA 2001 kurz nach den Anschlägen verlassen hat. "Die Programme, die ich in den 90er-Jahren mitentwickelt habe, werden gegen die Bürger eingesetzt. Das verstößt gegen die amerikanische Verfassung."
Das Prinzip der "Bill of Rights" sei gewesen, dass die Bürger wissen sollten, was die Regierung macht - und nicht umgekehrt. Binney widerspricht auch der Auffassung des NSA-Direktors Keith Alexander, wonach noch kein Amerikaner durch die Überwachung zu Schaden gekommen sei: "Die (Geheimdienste inklusive FBI, Anm. d. Red.) beschatten die Tea-Party genauso wie die Occupy-Bewegung. Die beschatten auch religiöse Gruppen." Versammlungsfreiheit und Zeugnisverweigerungsrecht würden dabei beschnitten. "Die Leute werden daran gehindert, ihre bürgerlichen Grundrechte auszuüben", sagt Binney.
Bill Binney, ehemaliger Technischer Direktor der NSA: "Ihre Kanzlerin hat gemeint, das sei wie bei der Stasi. Ich sage, unser System ist viel besser als die Stasi." |
Bedrohung für alle Demokratien
Das sei die ernsteste Bedrohung gegen alle Demokratien in der Welt, die er je erlebt habe, meint der Bürgerrechtler. "Die Russen hätten gerne eine so große Bedrohung dargestellt", sagte Binney vor den Zuhörern der Handelsblatt-Tagung "Strategisches IT-Management" im Münchener Sofitel-Hotel. Binney, der mehr als 30 Jahre für die NSA gearbeitet hat, antwortete auf die Frage des Handelsblatt-Redakteurs Jens Koenen, ob Amerika ein Polizeistaat geworden sei, mit einem klaren "Ja".
Dass dies nicht als Skandal wahrgenommen werde und noch nicht für mehr Unruhe unter seinen Landsleuten gesorgt habe, liege daran, dass die Amerikaner noch nie ein totalitäres System erlebt hätten. "Wir sollten Merkel und denjenigen zuhören, die so etwas schon erlebt haben", sagte Binney in Anspielung auf die ersten Reaktionen der Bundeskanzlerin nach dem Abhörskandal beziehungsweise auf ihre Herkunft aus der DDR. "Ihre Kanzlerin hat gemeint, das sei wie bei der Stasi", unkt der Mathematiker Binney, der einen ausgeprägten Humor bewahrt: "Ich sage, unser System ist viel besser als die Stasi."
In Amerika erwache jedoch langsam ein Bewusstsein, dass etwas nicht richtig laufe, meint Binney und verweist auf das US-Repräsentantenhaus, das im vergangenen Jahr nur noch mit knapper Mehrheit abgelehnt hatte, die Budgets der NSA zu kürzen. Binney sieht darin den einzigen Weg, einen drohenden Überwachungsstaat abzuwenden.
"Wer hat sein persönliches Kommunikationsverhalten geändert?", fragte Moderator Professor Walter Brenner. Rund 80 Prozent der Zuhörer zogen die rote Karte. Auf die Frage, wer seine IT-Strategie ändern wolle, gingen ein paar grüne Zettel mehr in die Höhe (ca. 30 Prozent). |
Nicht grundsätzlich gegen Kontrolle
Die NSA müsse gezwungen werden, ihre Bespitzelung einzuschränken: "Es hat überhaupt keinen Sinn, 4,9 Milliarden Menschen mit Zugang zum Internet zu überwachen." Dabei ist der gelernte Geheimdienstler nicht grundsätzlich gegen Kontrolle. Auch nachdem die Sowjets keine Bedrohung mehr darstellten, hat der russisch sprechende Binney seinen Job nicht sofort aufgegeben: "Wenn jemand mit einem Satellitentelefon aus den Bergen Kolumbiens oder Afghanistans kommt, lohnt es sich, genauer hinzugucken. Das könnte ein Drogendealer oder ein Terrorist sein", kommentiert er seine frühere Arbeit.
5 Ratschläge, wenn auch nicht sonderlich praktikabel
In der anschließenden Podiumsdiskussion nahmen die deutschen Vertreter aus Wirtschaft, Verbänden und Verwaltung Binneys Bedrohungsszenario eines Überwachungsstaates durchaus ernst. Allerdings fielen die Antworten für CIOs nicht sonderlich praktikabel aus, wie dem Problem zu begegnen sei:
Antwort 1 lautete, weniger amerikanische Dienstleister zu nutzen. Dem entgegnete bezeichnenderweise Hans-Georg Maaßen vom Bundesamt für Verfassungsschutz: "Wir haben schon Schwierigkeiten, überhaupt noch deutsche Dienstleister zu finden, die unseren Sicherheitsansprüchen genügen." |
Antwort 2 kam vom Mathematiker Binney selbst: Er schlug vor, jedes Unternehmen solle eine eigene Verschlüsselungstechnik entwickeln, um die Hintertürchen zu vermeiden, die in jeder kommerziellen Software steckten. Dem entgegnete ein Vertreter des mittelständischen Publikums: "Wir können das doch gar nicht leisten. Ich kann Code lesen, aber ich würde mir nicht zutrauen, eine Hintertür zu entdecken - auch wenn wir die Software selbst entwickeln." |
Antwort 3 ist der Ruf nach einem deutschen oder wenigstens europäischen Internet. Dies wurde insgesamt als unrealistisch verworfen. Robert Leindl, CIO von Infineon, drückte seine Skepsis so aus: "Der Ruf nach der deutschen Cloud ist verkaufstechnisch motiviert. Ich kann nicht als internationales Unternehmen in eine deutsche Cloud gehen." |
Antwort 4: Mehr Open Source einsetzen, um den Zugang der NSA durch (amerikanische) Standardprogramme einzuschränken. Constanze Kurz vom Chaos Computer Club hielt dies für eine Schaufenster-Antwort: "Ich würde mir wünschen, dass Open Source mehr gefördert wird. Aber weder eine Behörde noch ein Unternehmen wird in größerem Umfang Open Source einsetzen." |
Antwort 5: Mehr Bewusstsein in der Belegschaft schaffen, dass Daten nicht in allzu leicht zugänglichen Kanälen landen. "Schauen Sie sich an, welche Daten Snowden hat", ermahnt Binney: "Was er hat, kann bald auch ein anderer Geheimdienst haben oder ein Hacker." Ein ständig wiederkehrender Aufruf zu mehr Sicherheitsbewusstsein könne also nie schaden. |
Auf die Frage, was ein deutscher CIO tun könne, um eine allgegenwärtige Überwachung durch die NSA abzuwehren, bleibt Binney nur eine allgemeingültige Antwort, die er vor dem Publikum im Sofitel vor allem an die CIOs der Telkos richtet: "Stehen Sie auf. Kooperieren Sie nicht."