DAS IT-HERZ DER AUTOSTADT schlägt im dritten Stock des Servicezentrums. Etwa 5 mal 15 Meter groß ist der feuersichere Raum, in dem sich die zwanzig Millionen Mark teure Datenzentrale befindet, die Claus Hohmann zusammen mit mehr als 150 Kollegen innerhalb eines Jahres mit allen Pavillons vernetzt hat. Allein die Informationssysteme ließ sich der Volkswagen-Konzern über 150 Millionen Mark kosten. Die Server und Hochleistungs- Computer verarbeiten täglich eine Datenmenge von etwa einem Terabyte.
Im Flur der E-Business-Abteilung illustriert eine Zeichnung das Datennetz. Die zentrale Leitung, der Backbone, legt sich wie eine Schlinge um die Autostadt. Sie zweigt vom Servicecenter ab, verbindet das Kundenzentrum mit den Hochregal-Türmen voll bestellter Fahrzeuge, zieht sich durch künstliche Wasserstraßen hindurch und versorgt sämtliche Pavillons mit Bildsequenzen, Tondateien und Steuerungssignalen für Projektoren.
Nur oben links verlässt die Datenleitung das zwei mal drei Meter große Poster. Hier dockt die Autostadt an die schräg gegenüberliegende Konzernzentrale an. Deren Datenbanken sowie die Gäste-, Kunden- und Unternehmensdaten der Autostadt sind bei Hackern begehrt. Doch die Angriffe prallen bislang zuverlässig an der Firewall ab. Ein Verdienst des Chief Information Officers, der seit Beginn der Bauarbeiten vor zwei Jahren mit an Bord ist.
Digitale Warnschilder im Büro des CIOs
Claus Hohmann hat das Datennetz dreifach redundant ausgelegt. Wenn es am Rande der Belastbarkeit steht, sieht er auf dem Flachbildschirm in seinem Büro, das nur eine Flurlänge vom IT-Herz entfernt liegt, buchstäblich rot. Fällt lediglich eine Web-Cam an der Außenfassade des VW-Pavillons aus, meldet der Computer das durch ein gelbes Warnschild. Verstummen darüber hinaus noch in zwei zentralen Zweigstellen im Datennetz die Signale, springen die Schilder auf Rot -- das Zeichen für den CIO, sofort etwas zu unternehmen. "Von meinem Büro aus habe ich die Übersicht über die gesamte Autostadt", sagt der Betriebs- und Sozialwissenschaftler, der so leicht nicht aus der Ruhe zu bringen ist. Wer vom ehemaligen Luftwaffenmajor zackige Kommandos erwartet, liegt bei Hohmann falsch. Lässig, aber bestimmt delegieren -- so weist der Ex-Pilot den Daten und Mitarbeitern die Richtung. "Menschen zu führen und zu taktieren", sagt er, "das habe ich gelernt".
Bislang hat der CIO alle Zwischenfälle schadlos überstanden -- auch den totalen Stromausfall vor einem Dreivierteljahr. Sechs lange Stunden waren Video-Installationen lahmgelegt, Kunden bekamen ihre Autos nicht ausgeliefert, keine der Infosäulen, der mannshohen Points of Interest (POI), gaben ihre Inhalte preis, sämtliche Filme blieben stehen, darunter auch der Publikumsrenner "Sicherheit" von Regisseur Dani Levy, der vor allem eine Botschaft vermittelt: Absolute Sicherheit gibt es nicht. Mit Ersatzstrom für den Ernstfall, der unterbrechungsfreien Stromversorgung, ließ sich das System schließlich sanft herunterfahren. Dennoch: Für die Macher des Marketing- Instruments Autostadt ist der Ausfall der Ernstfall. Jede Minute, in der Besucher in die Pavillons strömen, fließt viel Geld durch die Kassen: Pro Tag setzt die Autostadt rund 150000 Mark um.
Software-Standards sind erwünscht
75 IT-Spezialisten arbeiten daran, dass möglichst kein Warnsignal auf Hohmanns Monitor auftaucht. Ihr Rezept: Technik ohne Flaschenhals. "Wer Inhalte im Intranet unterbringen möchte, muss keinen Umweg über unsere Abteilung machen", erläutert Hohmann. Er stelle lediglich den Rahmen dafür zur Verfügung. "Innerhalb des Systems zur Datenadministration überlasse ich alles den Nutzern und Spezialisten." Hohmann sieht sich als Vertreter einer verteilten Technologie, die cluster- und modulhaft erweitert werden kann -- nicht als Zentralist. Er ist deshalb ein Verfechter flexibler Content-Management-Systeme: "Schließlich dürfen die Kosten nicht ins Unendliche wachsen; da müssen wir Ideen auch schon mal anders organisieren."
Siebzig Gigabit Daten für einen Panoramafilm
Mit Hilfe der amerikanischen Software-Firma Vignette können selbst technische Laien Inhalte ins Autostadt-Intranet stellen, wo sich Handels- und Fahrzeugbereitstellungs-Systeme befinden. Ordert beispielsweise ein Einzelhändler einen Golf, den der Kunde in der Autostadt abholen möchte, weiß das "Customer Care Center" (CCC) schon Bescheid, da die Bestellung automatisch in das Fahrzeugbereitstellungs-System einfließt. Rund 400 Fahrzeuge verlassen täglich die beiden mit insgesamt 800 Autos gefüllten, sechzig Meter hohen zylindrischen Türme, die "clever gemachten Hochregallager" (Hohmann). Auch die Pressedatenbank und die Points of Interest werden aus dem Content-Management-System gespeist. So kann beispielsweise das Informationsangebot ausgetauscht und aktualisiert werden. An den Informationssäulen, die sich auf dem gesamten Gelände befinden, bekommen die Besucher Zusatzinformationen zu den Pavillons, und sie können E-Mails verschicken und empfangen.
Die Aufgabe von Hohmanns Mitarbeitern beschränkt sich weitgehend auf die Bereitstellung der Ressourcen, der Programme und Module. Zudem lassen sich digitale Audio- oder Video-Dateien auf die Server stellen. Neue Video-Installationen beispielsweise werden so auf Monitore und Leinwände gebeamt. Während der Sicherheitsfilm von Dani Levy läuft, stellt das System die Daten für jeden der neun Projektoren zur Verfügung, die dann zeitgleich arbeiten. Eine technische Finesse, die diesen Film in Panoramaprojektion auf die kreisrunde Leinwand wirft. Siebzig Gigabit Daten sausen dabei in zwölf Minuten durch die Leitungen.
Dennoch: Für Hohmann ist die Technik lediglich Mittel zum Zweck, den viertgrößten Themenpark Deutschlands ständig so attraktiv wie möglich zu gestalten. "Als CIO mit einer besonderen Neigung zum Geschichtenerzählen" sieht sich der IT-Chef selbst. Das verbindende Element für ihn ist das Antwort-Netzwerk: Sowohl die Technik, etwa in Form der POIs oder des Intranets, als auch die Beschäftigten wie Tour-Guides, Ticketing-Personal und Pädagogen antworten auf die Fragen der Besucher.
Die Skoda-Transformation organisiert
Bei seiner Aufgabe kommt Hohmann seine zwanzigjährige Erfahrung zugute. In Nord- und Südamerika sowie in der Tschechoslowakei beriet er VW-Vorstände und Top- Manager in der Organisation ihrer Unternehmen. "Ich habe viele Gespräche geführt und zugehört, wie sie sich die Welt vorstellen", erzählt Hohmann. Er empfindet es heute als ungeheuren Luxus, dass er damals Leute einfach nur beobachten durfte.
Bei der VW-Tochter Skoda arbeitete er offiziell als Sekretär in der Geschäftsführung; de facto beriet er die Skoda-Manager bei der Organisation und Umstrukturierung des Unternehmens. Als rechte Hand des Geschäftsführers wirkte er mehr im Hintergrund, schrieb Protokolle von Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen. Die Firma sollte von der zentralwirtschaftlichen zu einer westeuropäischen Denkweise geführt werden. "Ich habe als Organisator die Transformation im Hintergrund mit vorangetrieben", sagt Hohmann, der sich ungern in den Vordergrund stellt.
Der Mann, der Tschechisch und Portugiesisch versteht -- und englisch träumt, wie er behauptet --, empfindet seine vielfältige internationale Erfahrung als großes Plus bei seiner Tätigkeit als moderner CIO. "In Deutschland sind oft ehemalige IT-Leiter mit entsprechendem Studium zum CIO gemacht worden." Probleme gebe es dann besonders in der Unternehmensspitze: "Denn die Semantik dieser IT-Leute fügt sich nicht in die Unternehmenssprache. Doch der Top-Manager braucht schnelle, vereinfachte Botschaften." Sonst werde der CIO nur noch gerufen, wenn wieder ein Computer abgestürzt ist. Und er gelangt nie in den Board-Room. Da ist Ex-Pilot Hohmann längst angekommen.