Sie sind das Futter der wirtschaftlichen Entwicklung: Techniker, Ingenieure, Naturwissenschaftler und Mathematiker sorgen maßgeblich dafür, dass sich das Rad der globalen Wirtschaft weiterdreht. Sie entwickeln neue Produkte und effiziente Produktionsmethoden - etwa für stark wachsende Felder wie alternative Energien oder Biowissenschaften. Doch es wird in den westlichen Industrienationen künftig nicht genügend Fachkräfte geben, um dieses Wachstum zu ermöglichen, so Accenture.
Allein in den USA werden laut Accenture zwischen 2008 und 2018 doppelt so viele technische Fachkräfte aus IT und Wissenschaft benötigt wie Fachkräfte in anderen Bereichen. Experten erwarten, dass etwa die Nachfrage nach Biowissenschaftlern um 80 Prozent steigen wird. Der indische Techniksektor soll in sieben Jahren um das Sechsfache wachsen und Südkorea investiert 200 Millionen US-Dollar in ein Smart-Grid-Projekt für alternative Stromverteilung, das 500.000 Techniker erfordern wird.
Zudem treten neue Player in den westlichen Märkten auf. Unternehmen aus den aufstrebenden Ländern nehmen neben ihren Heimatmarkt zunehmend auch die profitableren Segmente der weltweiten Märkte ins Visier. Sie nehmen den Kampf auf mit den etablierten globalen Playern aus Europa und den USA. Damit werden den Platzhirschen nicht nur neue Konkurrenten erwachsen, die von den niedrigen Löhnen in den Heimatländern profitieren, sondern auch Konkurrenten um die Fachkräfte.
Fachkräfte gehen zurück in die Heimat
Gleichzeitig hat Accenture beobachtet, dass vermehrt Facharbeiter nach ihrer Ausbildung und Mitarbeit in westlichen Industrieländern in ihre Heimatländer zurückkehren. Damit wandert nicht nur ihr Know-how ab, darüber hinaus gründen sie oft selbst Unternehmen, werden zu neuen Konkurrenten, die wiederum Fachkräfte benötigen. Diese Abwanderung kann besonders Industrienationen treffen, in denen traditionell viele Ausländer studieren. Accenture zitiert hier Vorhersagen, dass in den USA bald die Hälfte der Doktoranden aus Ingenieurs- und Computerwissenschaften ausländische Studenten sein werden.
Dieser Mangel an Fachkräften kann das Wirtschaftswachstum empfindlich treffen. IT-Unternehmen stehen bereits mit dem Rücken zur Wand. Google hat im vergangenen Jahr angekündigt, "aggressiv anwerben" zu wollen. Das Unternehmen suchte 6200 Mitarbeiter - vornehmlich Informatiker. Und Unternehmen wie Facebook, Amazon oder Apple werden bis 2018 laut Accenture 650.000 neue Mitarbeiter benötigen, wollen sie ihre selbst gesetzten Wachstumsprognosen erfüllen.
Ähnliches gilt für die chemische Industrie oder Versorgungsunternehmen, die in saubere Energien und Smart-Grid-Netze investieren. Sogar die Finanzbranche sucht künftig vermehrt mathematische Akademiker und Ingenieure, die neue analytische Modell und Statistiken aufbauen sollen.
Hoffnungen ruhen auf Ländern wie China, Indien und Brasilien
Die Hoffnung ruht auf Ländern wie China, Indien und Brasilien. Diese drei aufstrebenden Nationen bringen zunehmend mehr Techniker, Ingenieure, Naturwissenschaftler und Mathematiker hervor - deutlich mehr als die USA, Großbritannien und Japan.
In China sind 40 Prozent aller Universitätsabgänger Naturwissenschaftler und Ingenieure - gegenüber 13 Prozent in den USA. Großbritannien kommt immerhin noch auf eine Quote von 22 Prozent. Überholt wird die USA sogar bald von Brasilien: Accenture schätzt, dass Brasilien ab 2016 mehr Ingenieure ausbilden wird.
Natürlich lassen diese Zahlen keinen Rückschluss auf die Qualität der Ausbildung zu. Nicht jeder dieser Abgänger wird ausreichend qualifiziert sein für die Arbeit in einem globalen Unternehmen. Aber sollte das nur auf jeden fünften Absolventen einer chinesischen Universität zutreffen, stünden immer noch 720.000 Abgängern 460.000 in den USA gegenüber.
Das Problem ist also nicht die Knappheit. Es ist die Verteilung: Technische Fachkräfte, die bei uns fehlen, finden sich immer mehr in den aufstrebenden Ländern.
Damit müssen sich heimische Unternehmen immer mehr über ihre traditionellen Jagdgründe hinaus wagen - das kann jedoch einiges kosten, denn in den wenigsten Ländern gibt es gut organisierte Institutionen des Arbeitsmarktes wie beispielsweise eine Arbeitsagentur. Und selbst wer die Fachkräfte findet, steht vor der Herausforderung, wie sich ihr Wissen effizient nutzen lässt.
Portale wie Kaggle und YourEncore helfen
In den vergangenen zehn Jahren haben sich neue Online-Plattformen entwickelt, die global aufgestellt sind. Ein Beispiel ist Kaggle. Die Plattform wurde 2010 in Australien gegründet und vereint mittlerweile 10000 Wissenschaftler weltweit, unter anderem Computerforscher, Statistiker, Physiker und Mathematiker. Unternehmen können auf diesem Portal Datensets und ihre Fragen dazu einstellen und so einer weltweiten Gemeinschaft zur Analyse übergeben.
So hatte ein Unternehmen drei Millionen US-Dollar für die Entwicklung des besten Algorithmus für eine statistische Aufgabe geboten. Die Rechnung ist einfach: Für diese Summe könnte das Unternehmen 20 bis 30 Wissenschaftler engagieren. Für den gleichen Preis werden jedoch auf Kaggle voraussichtlich deutlich mehr als 30 Forscher teilnehmen.
Ähnlich funktioniert YourEncore, das eine neue Idee verfolgt: Hier haben sich Wissenschaftler und Ingenieure im Ruhestand vernetzt. Diese waren bereits für über 50 Unternehmen wie Procter & Gamble, Eli Lilly und General Mills tätig. So hat ein chemischer Ingenieur, der 35 Jahre als Spezialist für Farben bei Kodak tätig war, einem Unternehmen aus der Konsumbranche geholfen, die Farbprobleme mit einem neuen Haarpflegemittel zu lösen.
Diese neuen Plattformen, so Accenture, werden künftig ein möglicher Weg sein, um das Know-how von Technikern weltweit genau an der richtigen Stelle einsetzen zu können.