Volle Lager statt schier endlosem Kundenandrang, Rabatte statt Preiserhöhungen: Nach dem Corona-Boom findet sich die Fahrradbranche auf dem Boden der Realität wieder. Wenn sich Händler und Hersteller bei der Branchenmesse Eurobike (21. bis 25. Juni) in Frankfurt treffen, haben viele zwar ein schönes Geldpolster im Rücken, doch die Lage ist durchwachsen. Vorteil für Kunden: Die Zeit für den Fahrradkauf ist so günstig wie lange nicht.
"Der Corona-Boom, in dem die Leute kaufen, was sie kriegen können, ist vorbei", sagt Burkhard Stork, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV). Zudem belastet die hohe Inflation die Verbraucher. Das Segment der einfachen klassischen Räder bis ca. 700 Euro habe es schwer, sagt Stork. "Die Lager sind voll, und erste Hersteller spüren das beim Umsatz und bei den Aufträgen."
Noch in der Pandemie hatte die Fahrradbranche goldene Zeiten erlebt. Damals konnten sie sich vor Kunden kaum retten, die den Solo-Sport Radeln entdeckt hatten und Busse oder Bahnen mieden. Doch die Produktion kam nicht hinterher - viele Kunden mussten wegen Lieferproblemen lange warten. Manche bekamen ihr Modell erst, als die sommerliche Radsaison fast vorbei war - bei deutlich höheren Preisen. Im Corona-Jahr 2020 erzielte die Branche einen Absatzrekord, der Umsatz sprang laut Statistischem Bundesamt um rund ein Drittel hoch.
Also bestellten Händler noch mehr Ware. 2022 stieg die Produktion laut ZIV auf den Höchstwert von 2,6 Millionen Rädern. Doch ab Herbst drehte sich der Markt. Hersteller lieferten plötzlich große Mengen Räder. "Teilweise kamen Lieferungen für 2022 und 2023 auf einmal", sagt Stork. Das Ergebnis sind Bestände und Vorbestellungen bei den Händlern, die weit über dem Bedarf für dieses Jahr liegen. Mit Nachlässen sollen die Räder nun aus den Lagern. Pech für die Branche: Der nasse Frühling ließ die Geschäfte nur schleppend anlaufen.
"10 bis 15 Prozent Rabatt sind möglich", sagte ZIV-Geschäftsführer Stork. In der Pandemie seien die Produktionskosten hochgeschossen. Nun normalisierten sie sich, Lieferkettenprobleme hätten sich zu "95 Prozent" eingependelt. Räder würden aber nicht verramscht, meint er.
Rabatte belasten Margen
Jüngste Zahlen des Vergleichsportals Idealo für den "Spiegel" zeigen deutliche Nachlässe. Demnach sind im Mai die Durchschnittspreise für Mountainbikes im Onlinehandel um 16 Prozent zum Vorjahresmonat gesunken. Rennräder verbilligten sich um 7 Prozent, während E-Bikes gegen den Trend um 15 Prozent teurer wurden. Die Rabatte helfen zwar den Händlern beim Umsatz, belasten aber die Margen. Nicht alle Branchenfirmen kommen gut durch die neue Zeit. Beim Versandhändler Bike24 etwa standen zuletzt rote Zahlen.
"Wir stehen vor einer starken Konsolidierung und Professionalisierung im Fahrradmarkt", glaubt Robert Peschke, Geschäftsführer von Little John Bikes mit Sitz in Dresden. Um an Geld zu kommen, würden viele Händler "panisch" die Preise senken, sagte er jüngst der "Wirtschaftswoche". "Selbst für aktuelle Fahrradmodelle gibt es zum Teil ruinöse 20 Prozent Rabatt und mehr", sagt Peschke. "Zahlreiche Fahrradhändler wird dieser Preiskampf am Ende die Existenz kosten."
Alexander Giebler vom Pressedienst-Fahrrad aus Göttingen glaubt, dass manche Händler Probleme bekommen, da ihre Kapitaldecke schmelze. Ein Massensterben erwartet er aber nicht. "Wer seine Hausaufgaben gemacht hat, wird gut durch die Krise kommen."
Hoffnungsträger E-Bike
Einmal mehr ruhen die Hoffnungen der Branche auf E-Bikes, die dieses Jahr erstmals traditionelle Räder bei den Verkaufszahlen überholen dürften, wie der ZIV schätzt. Schon 2022 wurde mit 2,2 Millionen E-Bikes ein Absatzrekord erreicht, während der Verkauf herkömmlicher Bikes um 300 000 auf 2,4 Millionen fiel. Längst hat sich die Fahrradindustrie auf die Produktion lukrativer E-Bikes eingestellt. Dank des hohen E-Bike-Anteils hat sich der Umsatz der Branche binnen zehn Jahren auf 7,4 Milliarden Euro fast vervierfacht.
"Der Boom bei hochwertigen E-Bikes hält weiter an, wir sehen keine Marktsättigung", sagt Stork. Der Trend zum E-Bike gehe "quer durch alle Kategorien". Sportliche Räder wie Gravel- und Mountainbikes mit Motor seien gefragt, Lastenräder ohnehin. Bei Mountainbikes etwa seien bereits 90 Prozent der verkauften Räder elektrifiziert. Der Trend zu technisch hochwertigen und damit auch teureren Rädern werde von Diensträdern angetrieben. "Bei den Monatsraten merkt man kaum, ob ein Fahrrad 3000 oder 4000 Euro kostet", meint Stork.
Die Gefahr einer bevorstehenden Branchenkrise mit Jobabbau sieht er nicht. Manche Hersteller hätten zwar derzeit mehr Personal als nötig, wollten das aber wegen des Fachkräftemangels halten. "Wir sehen, dass der Verkauf im Handel wieder stark anzieht und gehen davon aus, dass sich die Lage auch für die Produzenten bald wieder bessert."
Mehr Unterstützung wünscht sich der ZIV von der Politik: "Wir haben 75 Jahre lang Politik für das Auto gemacht, nun müssen wir das Radfahren zumindest gleichstellen." Es gelte Dinge auszuprobieren, die in Ländern wie den Niederlanden längst Standard seien wie große Parkhäuser für Fahrräder und ein Netz breiter, gut ausgebauter Radwege: "Wir brauchen Mut zum Umdenken der Städte." (dpa/ad)