Smart Contracting gehört die Zukunft

Falscher Hype um Blockchain

24.07.2017 von Tillmann Braun  
Den Begriff Blockchain kennt man vor allem in Verbindung mit der Krypto-Währung Bitcoin. Doch auch in anderen Bereichen könnte die Technologie deutliche Vorteile bringen – vor allem, wenn es um den schnellen Abschluss von Verträgen geht. Ein Allheilmittel als omnipotente Datenbank ist Blockchain dagegen eher nicht.
Blockchain: Hype und Realität
Foto: enzozo - shutterstock.com

In regelmäßigen Abständen werden neue Technologien gehypt, ohne die es angeblich keine Zukunft mehr gibt. Umso wichtiger wird in diesen Zeiten die Faustregel, dass man nie aus Technologiegründen etwas im eigenen Unternehmen ändern sollte. Stattdessen muss der tatsächliche Nutzen im Vordergrund stehen. Neue Technologien können dabei das Mittel zum Zweck sein. Ein Selbstzweck oder gar ein Allheilmittel sind sie jedoch keinesfalls.

Die ineffizienteste Datenbank der Welt

Obwohl Blockchain für die Krypto-Währung Bitcoin bereits seit längerer Zeit genutzt wird, steigt die Bekanntheit der disruptive Technologie in letzter Zeit sprunghaft an. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Blockchain immer häufiger als revisionssichere und unveränderbare Ablagemethode für sämtliche Daten und Informationen angesehen wird. Doch einige Experten sehen darin lediglich die erste Evolutionsstufe von Blockchain.

"Blockchain ist per Design die ineffizienteste Datenbank der Welt", sagt Sascha Hellermann vom Beratungsunternehmen Cocus. Ziel müsse vielmehr sein, sinnvolle und nützliche Use Cases zu finden und zu entwickeln, die das volle Potenzial von Blockchain für das jeweilige Unternehmen erschließen. Losgelöst betrachtet sei Blockchain sogar uninteressant und auch nicht wirklich neu.

"Letztlich gibt es zwei valide Anwendungsfälle", so Sascha Hellermann. "Einmal als Basis für Krypto-Währungen wie Bitcoin etwa für mobiles Bezahlen, und einmal im Bereich Smart Contracting. Im Smart Contracting liegt die Zukunft der Technologie, da sie automatisierte Verträge ermöglicht und die Bezahlung gleich über eine Krypto-Währung mit abgewickelt werden kann. Blockchain schafft so letztlich eine Plattform, die sowohl bei bekannten als auch bei unbekannten Partnern die Erfüllung von Verträgen garantiert", nennt Sascha Hellermann die wichtigsten Vorzüge.

Die Funktionsweise von Blockchain
Blockchain
Blockchain wird in den kommenden Jahren zur Schlüsseltechnologie in der IT werden.
(1) Transaktion
Die Transaktion ist die elementare Grundeinheit der Blockchain. Zwei Parteien tauschen Informationen miteinander aus. Dies kann der Transfer von Geld oder Vermögenswerten, der Abschluss eines Vertrags, eine Krankenakte oder eine Urkunde sein, die digital gespeichert wurde. Transaktionen funktionieren im Prinzip wie das Versenden von E-Mails.
(2) Verifizierung
Die Verifizierung prüft, ob eine Partei die entsprechenden Rechte für die Transaktion hat. Die Prüfung erfolgt augenblicklich oder es wird in eine Warteschlange geschrieben, die die Prüfung später durchführt. An dieser Stelle werden Knoten, also Computer oder Server im Netzwerk, eingebunden und die Transaktion verifiziert.
(3) Struktur
Die Transaktionen werden zu Blöcken zusammengefasst, wobei diese mit einer Hash-Funktion als Bit-Nummer verschlüsselt werden. Die Blöcke können durch die Zuweisung des Hash-Wertes eindeutig identifiziert werden. Ein Block enthält einen Header, eine Referenz auf den vorhergehenden Block und eine Gruppe von Transaktionen. Die Abfolge der verlinkten Hashes erzeugt eine sichere und unabhängige Kette.
(4) Validierung
Bevor die Blöcke erzeugt werden, müssen die Informationen validiert werden. Das am meisten verbreitete Konzept für die Validierung von Open-Source-Blockchains ist das „Proof of Work“-Prinzip. Dieses Verfahren stellt in der Regel die Lösung einer schweren mathematischen Aufgabe durch den Nutzer beziehungsweise dessen Computer dar.
(5) Blockchain Mining
Der Begriff Mining stammt aus der Bergbau und meint das „Schürfen“. Bei diesem Vorgang wird der Block erzeugt und gehasht. Um zum Zug zu kommen, müssen die Miner ein mathematisches Rätsel lösen. Wer als Erstes die Lösung hat, wird als Miner akzeptiert. Der Miner erhält für seine Arbeit ein Honorar in Form von Kryptowährung (Bitcoin).
(6) Die Kette
Nachdem die Blöcke validiert wurden und der Miner seine Arbeit verrichtet hat, werden die Kopien der Blöcke im Netzwerk an die Knoten verteilt. Jeder Knoten fügt den Block an der Kette in unveränderlicher und unmanipulierbarer Weise an.
(7) Verteidigung
Wenn ein unehrlicher Miner versucht, einen Block in der Kette zu ändern, so werden auch die Hash-Werte des Blockes und der nachfolgenden Blöcke geändert. Die anderen Knoten werden diese Manipulation erkennen und den Block von der Hauptkette ausschließen.

Vertragsabschlüsse in Echtzeit – Manipulation ausgeschlossen

Während sich Blockchain als Grundlage für Krypto-Währungen bereits profiliert und etabliert hat, ist der Einsatz im Bereich des Vertragswesens bislang noch wenig verbreitet. Das könnte sich bald ändern. Denn dank Blockchain können Verträge und komplette Verwaltungsaufgaben günstiger, sicherer und leichter nachvollziehbar werden – und vor allem schneller.

Anstatt Dokumente wie Bestellungen und Auftragsbestätigungen hin und herschicken zu müssen, können Verträge selbst über Ländergrenzen hinweg per Blockchain quasi in Echtzeit abgeschlossen werden. Schließlich basiert Blockchain auf einem mitunter weit vernetzten Peer-to-Peer-System, in dem sämtliche Aktionen überprüft, bestätigt sowie in Blöcken zusammengefasst und miteinander verkettet werden. Informationen in dieser Informationskette aus Blöcken (daher der Name Blockchain) sind unveränderlich und somit wie in Stein gemeißelt – und Manipulationen somit ausgeschlossen.

Verträge, die per Blockchain dokumentiert sind, können also auch Jahrzehnte später noch nachvollzogen werden. Kommen neue Informationen hinzu, werden diese nicht ausgetauscht, sondern vielmehr linear hinzugefügt. Da sämtliche Informationen im Netzwerk an vielen verschiedenen Stellen abgesichert sind, ist es nicht möglich, dass diese verloren gehen, wenn es an einer Stelle zu ungewolltem oder auch absichtlich herbeigeführtem Datenverlust kommt.

Drei Arten von Blockchain für unterschiedliche Bedürfnisse

Wo und wie oft die Daten abgespeichert sind, hängt davon ab, welche der drei Arten von Blockchains verwendet wird. Bei privaten Blockchains bleibt alles im eigenen Unternehmensnetzwerk, weshalb sich diese Anwendungsart in erster Linie für Tests eignet, bevor weitreichender Projekte angegangen werden.

Erstreckt sich das Netzwerk über mehrere Parteien wie beispielsweise die kompletten Vertragspartner eines Unternehmens, spricht man von einem Konsortium. Ratsam ist in diesem Fall, dass die abgespeicherten Informationen nicht allen Parteien zugänglich sind, sondern je nach Bedarf durch Passwörter geschützt werden. Für die meisten Unternehmen weniger interessant sind so genannte "Public Blockchain", bei denen die Daten im weltweiten Netzwerk abgespeichert sind.

Was ist was bei Blockchain, Bitcoin und Co.?
Ethereum
Eine weitere Kryptowährung, die auf dem Blockchain-Prinzip basiert. Bietet eine Plattform für programmierbare Smart Contracts. Die "Ether" werden von Fans als legitime Nachfolger der Bitcoins angesehen (siehe auch obiges Bild).
Cryptlet
Von Microsoft für die Azure-Cloud entwickelter Service, mit dessen Hilfe Anwender externe Daten in eine Blockchain einpflegen können, ohne ihre Sicherheit und Integrität zu zerstören. Cryptlets können als indvidualisierte Middleware auch von Azure-Anwendern selbst entwickelt werden - in jeder beliebigen Programmiersprache - und sollen die Brücke von der Blockchain hin zu neuen Business-Services in der Cloud schlagen.
Kryptowährung
Digitales Geld, ohne Münzen und Scheine. Mithilfe von Kryptografie wird ein verteiltes, sicheres und dezentralisiertes Zahlungssystem aufgebaut. Benötigt keine Banken, sondern Rechenpower und technische Hilfsmittel wie die Blockchain.
Blockchain
Eine Blockchain ist eine dezentrale Datenbank, die eine stetig wachsende Liste von Transaktionsdatensätzen vorhält. Die Datenbank wird chronologisch linear erweitert, vergleichbar einer Kette, der am unteren Ende ständig neue Elemente hinzugefügt werden (daher auch der Begriff "Blockchain" = "Blockkette"). Ist ein Block vollständig, wird der nächste erzeugt. Jeder Block enthält eine Prüfsumme des vorhergehenden Blocks. <br /><br /> Entwickelt wurde das technische Modell der Blockchain im Rahmen der Kryptowährung Bitcoin - als webbasiertes, dezentralisiertes, öffentliches Buchhaltungssystem aller Bitcoin-Transaktionen, die jemals getätigt wurden.
Bitcoin Core
Die Open-Source-Software validiert die gesamte Blockchain und wurde Anfang 2009 von einem gewissen <a href="http://www.computerwoche.de/a/neue-hinweise-auf-moeglichen-urheber-von-digitalwaehrung-bitcoin,3220391" target="_blank">"Satoshi Nakamoto"</a> unter dem Namen "Bitcoin" veröffentlicht. Bitcoin Core war in C++ zuächst vor allem für Windows-Systeme programmiert worden. Wenig später folgte die Portierung auf GNU/Linux. Weil die Entwickler sich zerstritten, existieren mittlerweile einige Derivate der Bitcoin-Software, unter anderem Bitcoin XT, Bitcoin Unlimited oder Bitcoin Classic.
BigchainDB
Die "skalierbale Blockchain-Datenbank" kann bis zu einer Millionen Schreibvorgänge pro Sekunde verwalten, Petabytes an Daten speichern und wartet trotzdem mit einer Latenzzeit von unter einer Sekunde auf - das alles dezentralisiert verwaltet und bei höchster Datenintegrität. Technische Grundlage ist die Blockchain-Technologie.
Distributed Ledger
Finanz-Fachbegriff für "verteilte Kontoführung". Bitcoin ist ein komplett neuer technischer Ansatz, um Informationen über bestimmte Zuordnungen zu verteilen. Es gibt hier kein klassisches Konto mehr, das zentral bei einer Bank geführt wird, sondern die "Kontoführung" basiert auf einem Netzwerk von kommunizierenden Systemen.
Smart Contract
Ein Computerprotokoll, das Verträge abbilden oder überprüfen oder die Verhandlung eines Vertrags technisch unterstützten kann. Könnte künftig den schriftlichen Vertragsabschluss ersetzen.
R3CEV
Das Startup R3 CEV baut die blockchainbasierte "Global Fabric for Finance". Mit rund 50 Finanzpartnern soll die größte Blockchain der Welt entwickelt werden - ein erster Testlauf mit elf Großbanken, darunter Barclays, Credit Suisse, HSBC, UBS und UniCredit wurde bereits erfolgreich absolviert. R3CEV ist eine strategische Partnerschaft mit Microsoft eingegangen, um Blockchain-Infrastruktur und -Technologie in der Azure Cloud entwickeln zu können.
Ripple
Ein Open-Source-Protokoll für ein Zahlungsnetzwerk - derzeit noch in der Entwicklung. P2P-Zahlverfahren und Devisenmarkt in einem, basiert auf der Kryptowährung "XRP". Ripple-Nutzer sind jedoch nicht auf diese eine Währung festgelegt, sondern können jede beliebige Währung verwenden - also beispielsweise auch Euro, Dollar oder Yen.

Afrika als Vorbild für Smart Contracting: Landkauf ganz ohne Notar

Während in Afrika vielerorts weiterhin großer Aufholbedarf besteht, was IT-Infrastrukturen und neue Trends betrifft, sind einige afrikanische Länder in Sachen Blockchain und "Smart Contracting" großen Teilen der westlichen Welt deutlich voraus. Beispielsweise werden in Ghana Verträge über Landkauf mittlerweile bereits per Blockchain vollzogen und festgehalten. Details wie die Geokoordinaten stehen mitsamt der Signatur in der Blockchain. Ein Notar, der in Ghana häufig mehrere Autostunden entfernt ist, muss nicht mehr mit einbezogen werden. Was früher also Tage oder gar Wochen dauerte und hohe Kosten mit sich brachte, erfolgt mit Blockchain nun umgehend und ohne großen Aufwand.

Angesichts dieser Vorteile machen sich mittlerweile auch einige europäische Unternehmen daran, ihre bestehenden Prozesse und Strukturen mittel- und langfristig auf Blockchain umzustellen – obwohl die derzeit verwendeten Methoden weiterhin funktionieren. "In wenigen Jahren werden jedoch die Unternehmen, die auf Smart Contracting setzen, einen klaren Wettbewerbsvorteil haben", sagt Sascha Hellermann.

Als Beispiele, bei denen sich Blockchain besonders bewähren dürfte, nennt Hellermann Branchen und Unternehmen, in denen der Abschluss und die Verwaltung von Verträgen besonders wichtig sind wie etwa in der Energie- oder auch Reisebranche, im Gesundheitswesen, in der Telekommunikation sowie im Bereich Automotive und ganz allgemein bei der Industrie 4.0.

"Beim Management des Warenbestands kann Blockchain ein wichtiges Rad im Getriebe sein, indem vollautomatisiert dafür gesorgt wird, dass etwa der Nachschub an benötigten Waren zu jedem Zeitpunkt sichergestellt ist", so Sascha Hellermann. "Im IoT-Bereich ermöglicht Blockchain zudem die Erfassung sowie den Nachweis von Qualitätssicherungsdaten über die gesamte Lieferkette – und das unveränderbar."

Millionen von Verträgen und Hotelbetten effizienter managen – Banken bleiben außen vor

Aber auch bei den Millionen von Verträgen, die Energieversorger oder auch Hotelketten und Reiseanbieter mit den Endkunden oder auch untereinander abschließen, lassen sich mit Smart Contracting viele Schritte und Kosten sparen. Letztlich kann Blockchain sogar dabei helfen, dass beispielsweise Bettenkontingente schneller und leichter zwischen Teilen einer Unternehmensgruppe abgestimmt und gegebenenfalls über Ländergrenzen hinweg weitergegeben werden.

Und noch einen weiteren Vorteil gibt es: Bei Bitcoin und speziell bei so genannten Konsortium-Coins innerhalb eines Blockchain-Konsortiums bleiben die Banken außen vor. Somit entfallen die üblichen Gebühren, die sich schnell zu großen Kostenfaktoren summieren. Wechselkurse entfallen ebenfalls. Das dürfte vielen Unternehmen gefallen. Den Banken allerdings eher nicht.