Selbst Sebastian Vettel blieb von der schonungslosen Kritik von Sergio Marchionne nicht verschont. Der überraschend aus gesundheitlichen Gründen abgetretene Ferrari-Boss trieb mit seiner Unnachgiebigkeit auch das Formel-1-Traditionsteam immer an. Mit Druck führte der kompromisslose Marchionne die Scuderia wieder in Richtung WM-Reife. Nach dem in der zweiten Saisonhälfte 2017 verlorenen Titel ätzte der Mann aus den Abruzzen, dass dieser Rückschlag "eine Mischung aus technischen Patzern und Irrtümern der Fahrern" gewesen sei. Klar, dass mit dieser Kritik auch Vettel gemeint war.
Als womöglich "härtesten Kritiker" des Formel-1-Engagements von Ferrari bezeichnete sich Marchionne einmal selbst. Ein Sanierer schaut schließlich eiskalt auf Zahlen. Und die müssen stimmen. Mit dem Ende der Ära Marchionne ändert sich schon vor dem letzten Formel-1-Rennen vor der Sommerpause in Ungarn einiges - auch für Vettel. Neuer Ferrari-Präsident wird Fiat-Boss John Elkann; Ferrari-Vorstandschef wird Louis C. Camilleri, der zuvor unter anderem leitende Positionen beim Tabakmulti Philip Morris innehatte und mit Teamchef Maurizio Arrivabene vertraut ist.
Sonst ist aber noch vieles offen: Ob es nun um den Teamkollegen Vettels für 2019 geht oder eine weitere Aufrechterhaltung der Drohkulisse eines Ferrari-Ausstiegs. "Hinter der Zukunft steht ein dickes Fragezeichen", zitierte die italienische Nachrichtenagentur Ansa Daimler-Chef Dieter Zetsche am Rande des Deutschland-Rennens am vergangenen Sonntag, als dieser auf die künftigen Kräfteverhältnisse in der Formel 1 angesprochen wurde.
Marchionne drohte mit Ausstieg aus der Formel 1
Marchionne hat den neuen Besitzern des schillerndsten Kreisverkehrs der Welt immer wieder mit einem Ausstieg gedroht, sollte durch die Änderungen im Motorenreglement von 2021 an die DNA der Formel 1 verloren gehen. "Mein Vorsitzender weiß sehr genau, was er sagt und mein einziger Rat ist, ihn sehr ernst zu nehmen", riet Arrivabene. Unter anderem kannte Marchionne sehr genau den Wert des Rennstalls mit dem "cavallino rampante" (aufbäumenden Pferdchen) im Logo. Schließlich ist Ferrari als einziges Team bereits seit dem WM-Beginn 1950 in der Königsklasse des Motorsports vertreten.
Stillstand dürfte vorerst in der Frage nach dem Cockpit neben Vettel für die kommende Saison herrschen. Denn Marchionne blieb bei diesen wichtigen Fragen natürlich nicht außen vor. Darf Kimi Räikkönen (38) also noch eine fünfte Saison an der Seite des aktuell viermaligen Formel-1-Weltmeisters Vettel bestreiten? Oder wird Ferrari-Zögling Charles Leclerc (20) vom Schweizer Sauber-Team befördert?
Räikkönen oder Leclerc? Der künftige Fahrerkurs bei Ferrari hat Auswirkungen. Denn die Italiener beliefern Sauber mit Motoren, das US-Team Haas bezieht von der Scuderia darüber hinaus noch weitere Komponenten. Und die beiden Kundenrennställe müssen daher auch erstmal warten, wie das zweite Ferrari-Cockpit vergeben wird.
Marchionne, bei dem es im Laufe der vergangenen Woche zu unerwarteten Komplikationen gekommen war, wird da nun nicht mehr mitreden. Den Wunsch seines früheren Chefs würde Vettel aber natürlich Ende dieser Saison gerne umsetzen. "Wir wollen spätestens 2018 die WM gewinnen", hatte Marchionne nach der Verpflichtung des Deutschen zur Saison 2015 verkündet. Vor dem Ungarn-Rennen am Sonntag hat Vettel 17 Punkte Rückstand auf WM-Spitzenreiter Lewis Hamilton im Mercedes. (dpa/rs)