Karl-Ludwig Kley hat Flugzeuge im Bauch. Zumindest kreisten sie dort, als der Finanzvorstand der Lufthansa neulich bei Herbert Grönemeyer war und auf dem Konzert zusammen mit seinem volljährigen Sohn "der Mensch ist Mensch" gesungen hat. Im Büro ist das anders: Dort kreisen die Flugzeuge um Kleys Kopf, und der CFO muss auf eine minderjährige Tochter aufpassen. Kley ist Vorsitzender des Aufsichtsrats der acht Jahre alten Lufthansa Systems Group, einer der wenigen IT-Töchter, die sich am Markt behaupten und nennenswerte Drittgeschäfte abwickeln. Andere IT-Töchter sind da schwieriger, weil sie entweder fremdeln, mit ihren Geschwistern streiten oder bei zunehmenden Außenkontakten ihre Mutter vernachlässigen (siehe Interview mit Daimler-Chrysler-CIO Sue Unger).
Besonders das Fremdeln sorgt für Enttäuschung, da IT-Ausgründungen in den 90er-Jahren noch als probates Mittel galten, um zusätzlichen Umsatz zu generieren. Die Misserfolgsbilanzen beweisen inzwischen das Gegenteil. Trotzdem gewinnt die Idee angesichts von Ertragsschwächen in den Kerngeschäften wieder Anhänger.
Kley ist einer der wenigen Finanzchefs, die daran glauben, dass sich mit der Konzern-IT Geld verdienen lässt. Mit Grund: Gut ein Drittel ihres Umsatzes erwirtschaftet die Lufthansa Systems durch externe Auftraggeber. In erster Linie bestellen Fluggesellschaften bei der Frankfurter GmbH, aber auch Branchenfremdlinge wie die Commerzbank oder der Heizungsbauer Buderus sind unter den Kunden. "Wir gehen davon aus, dass der externe Umsatz weiterhin zweistellig wächst", sagt Kley, der diese überproportionale Zunahme begrüßt: "Und natürlich soll der Umsatz durch externe Auftraggeber wachsen. Das erwarten wir von allen Konzerntöchtern."
Was Kley natürlich nennt, gilt indes nur für sechs der DAX-30-Unternehmen. Nur diese kleine Führungsriege erwirtschaftet mehr als 30 Prozent ihres Umsatzes auf dem Drittmarkt. Zahlen für den externen Umsatz nennen von sich aus T-Systems und Siemens Business Service (SBS), die mit rund 70 Prozent die aktivsten Anbieter am Drittmarkt sind. Mit mehr als 50 Prozent liegt auch Thyssen-Krupp Information Services (TKIS) gut im Rennen. LH Systems, Deutsche Börse Systems und Gedas, die IT-Tochter des Volkswagen-Konzerns, gehören mit gut 30 Prozent ebenfalls noch zur Führungsgruppe. Mehr Firmen sind es allerdings nicht, die Matthias von Bechtolsheim, Beratungsdirektor bei Arthur D. Little, zum Kreis derer zählen möchte, die IT als strategisches Geschäftsfeld betrachten - wobei er bei diesem Begriff schon Bauchgrimmen bekommt: "Viele der IT-Töchter sind Gemischtwarenläden, bei denen ich keine Fokussierung mehr erkenne", urteilt von Bechtolsheim. Ausgründungen von Automobilherstellern rät er: "Die sollten die Supply Chain entlang der Wertschöpfungskette ihrer Kunden verlängern. Tolle Software für Behörden zu entwickeln bringt strategisch gar nichts."
Nach den IT-Töchtern mit erfolgreichen Vertriebsabteilungen folgt in von Bechtolsheims Einteilung der DAX-30 die Gruppe der Unternehmen, die IT-Servicegesellschaften pflegen. Rechtlich stehen diese Tochterfirmen zwar auf eigenen Beinen, selbstständig laufen können sie dennoch nicht. Maximal zehn Prozent ihres Umsatzes erzielen IT-Dienstleister wie Agis (Allianz), BASF IT Services oder IS Energy (Eon) auf dem Drittmarkt. Die restlichen sechs Servicegesellschaften aus dieser Gruppe beziffern ihren Anteil externer Umsätze nicht und erklären ihn schlichtweg für nebensächlich. Beispiel TUI Infotec: 1997 hat sich der weltweit größte Tourismuskonzern TUI entschieden, im Rahmen einer Neustrukturierung der gesamten Gruppe auch den IT-Bereich in eine eigene Gesellschaft auszugründen. "Wir haben so die Transparenz zwischen den verschiedenen Konzernbereichen erhöht", sagt CIO Heinz Kreuzer. "Außerdem haben wir den Anspruch, konzerninterne Dienstleistungen nach marktkonformen Mechanismen zu erbringen."
Üben für den freien Markt
Kontrahierungszwang und Last Call gebe es bei der LH Systems nicht, versichert Lufthansa-Finanzchef Kley. Letzteres hält der Vorzeigevertreter für erfolgreiche IT-Töchter sogar für völlig abwegig: "Damit machen Sie die ganze Ausschreibung sinnlos." Um zu verhindern, dass IT-Aufträge mit geschäftskritischem Inhalt nach außen vergeben werden, behalte sich die Lufthansa jedoch vor, zwischen strategischen und nicht strategischen Aufgaben zu unterscheiden. Erstere blieben zwingend im eigenen Unternehmen, machten aber höchstens ein Zehntel aller Aufträge aus, sagt Kley. Diesen Anteil findet er angemessen, um nicht in die Abhängigkeit eines externen Anbieters zu geraten oder Prozesskenntnisse an Mitbewerber zu verraten.
Prozesswissen nicht verscherbeln
Für Jürgen Maidl, CIO bei BMW, ist das letztgenannte Argument so wichtig, dass er ganz auf die Ausgründung von IT-Kompetenz verzichtet. Maidl spricht dabei stellvertretend für jene 16 Unternehmen unter den DAX-30, die einen Wettbewerbsvorteil durch bessere Prozesskenntnis so lange wie möglich im Haus halten und gar nicht auf die Idee kommen, die dazugehörige IT weiterzuverkaufen. "Bisher wurde bei der BMW Group noch keine IT-Firma ausgelagert", so Maidl. "Und das ist auch in Zukunft nicht geplant." Gerade hätten ihn wieder Berater der Boston Consulting Group mit dem Argument der besseren Transparenz zu überzeugen versucht. "Kostentransparenz in der Informationstechnik schaffe ich durch Controlling und Benchmarking", sagt er dazu.
Wenn überhaupt, komme die Zweitverwertung von IT-Kompetenz bei BMW nur in Partnerschaften infrage. Maidl hält dies für die sauberste Lösung, da niemand aus seiner Abteilung sich dabei um Vertrieb oder Support kümmern müsse. Mit Dassault Systems, dem Anbieter der Konstruktions-Software Catia, und mit SAP arbeite man zusammen, sagt Maidl. Auch mit der BMW-Tochter Softlab unterhalte er enge Kontakte in punkto Customer und Supplier Relationship Management. "Da machen wir frühzeitig unsere Planungen bekannt, damit die sich darauf einstellen können", erklärt Maidl, ohne dabei in erster Linie an Profit von außen zu denken: "Das ist keine Tochter wie Gedas oder, früher, Debis."
Träumen von Debis
Für Otter kommt eine Ausgründung noch aus einem anderen Grund nicht infrage: "Eine IT-Tochter würde gar nicht in die Kultur unseres Unternehmens passen", sagt der CIO. Adidas baue auf ein jugendliches Wir-Gefühl, in das ein Hin- und Herschieben von Rechnungen einfach nicht passe. Natürlich sei auch er ständig mit der Forderung nach mehr Transparenz konfrontiert, so Otter. Die lasse sich aber ebenso durch Service Level Agreements erfüllen. Solange der Turnschuh läuft, frage ohnehin niemand nach dem Wert des Schnürsenkels.
Angesichts solcher, zum Teil kategorischen Ablehnung stellt sich die Frage, warum Berater Ausgründungen trotzdem noch empfehlen und bei wem sie damit Erfolg haben. Andreas Rüter vom Beratungshaus Booz, Allen, Hamilton reagiert zunächst empfindlich auf die Frage: "Ich ärgere mich, wenn IT-Töchter in Zeitungen als nicht erfolgreich bezeichnet werden, nur weil sie keinen externen Umsatz machen", so der Autor der Studie "Der erfolgreiche Weg zur IT-Ausgründung". Verantwortliche aus 20 Unternehmen hat er darin nach ihrer Zufriedenheit mit Töchtern gefragt, die größtenteils innerhalb der vergangenen drei Jahre geboren wurden. 15 davon gaben an, dass sich ihre Erwartungen erfüllt hätten, dass sie zum Teil sogar übertroffen worden seien: Die Effizienz der IT sei gestiegen, die Kosten seien gesunken, und die Professionalität der Mitarbeiter habe zugenommen. Ferner sei die Reorganisation nur mit geringen Ausgaben verbunden gewesen: Bis auf zwei Ausreißer habe kein Unternehmen mehr als zehn Millionen Euro in seine IT-Ausgründung investiert. Drei Viertel der Unternehmen hätten Fremdumsatz eingeplant, jedoch nicht mit oberster Priorität. Nur ein Drittel der Töchter habe mehr als zehn Prozent Umsatz mit Fremdkunden erzielt - offenbar für keinen ein frustrierendes Ergebnis.
Berliserve kann jedoch nicht als echte Ausgründung gelten, da Schröder zwar die Aufgaben, nicht jedoch das Personal von der Mutter abgezogen hat - weshalb der Betriebsrat auch keine Bedenken hegte. Der CIO hat - jedenfalls zu Beginn - nur externe Fachkräfte eingestellt, um so die Abhängigkeit von externen Beratern zu reduzieren. Im Prinzip hätte er dafür in die bestehenden Strukturen auch eine Abteilung Inhouse Consulting integrieren können, damit jedoch ein Ziel verfehlt: "Es gibt Mitarbeiter die lieber in einem Beraterumfeld arbeiten als in einem großen Konzern", weiß Schröder. Das scheint in Teilen auch für den CIO selbst zu gelten: Schröder erfüllt den Job des CEOs der Berliserve gleich mit, was ihn zwar nach eigenen Angaben fünf Prozent seiner Arbeitskraft kostet, dafür aber eine kostspielige Stelle spart.
Die Auswahl des CEOs bei einer IT-Tochter
An der Besetzung der CEO-Stelle bei einer IT-Tochter lässt sich gut ablesen, welches Unternehmen es wirklich ernst meint mit dem Anbieten von IT-Diensten zu Marktkonditionen. So verhandelt etwa Knut Norden, CIO beim Energiekonzern RWE und CEO der IT-Tochter RWE Systems, gewissermaßen mit sich selbst über Angebot und Nachfrage. Auch vom CEO der RAG Systems, Dieter Pfaff, ist bekannt, dass er schon mal IT-Mitarbeiter des Konzerns wegen mangelnder Loyalität zur IT-Tochter ausschimpft, wenn diese sich nach Alternativen auf dem freien Markt umsehen. Als ihr vorgesetzter CIO kann er sich das erlauben; allerdings riskiert er damit die Dienstleistungsmentalität der IT-Tochter ebenso wie marktkonformes Verhalten der internen Kunden in den Fachabteilungen.
Allen Beteiligten kommt eine IT-GmbH oder -AG über kurz oder lang wie eine Farce vor, wenn damit nicht das ernsthafte Interesse verknüpft ist, am Drittmarkt erfolgreich zu sein. Anfangserfolge wie gesteigerte Effizienz oder Professionalisierung würden sich auf Dauer auch nicht halten lassen, sagt Lufthansa-Systems-Finanzchef Kley. Einen CIO und CEO der IT-Tochter in Personalunion hält er für abwegig. Selbst den nahtlosen Wechsel des CIOs in die Funktion des CEOs nennt er unglücklich, da dieser dann mit seinem direkten Nachfolger verhandeln müsse.
Im Hause Lufthansa ist etwas Ähnliches allerdings gerade passiert, als mit Bernd Voigt der ehemalige CIO zum Geschäftsführer der größten Teilgesellschaft in der LH Systems wurde. Aber Abweichungen von der Regel gibt es laut Grönemeyer eben überall - "der Mensch ist Mensch".