Am Beispiel von Mitsubishis Word Rallye Championship-Sparte im britischen Birmingham lässt sich im Kleinen nachvollziehen, was PLM leisten kann. Rund 30 Ingenieure arbeiten in schmucklosen Büros daran, Serienfahrzeuge des japanischen Autoherstellers für die World Rallye Championship aufzurüsten. Die Bestimmungen dieser Motorsport-Klasse sehen vor, dass zumindest die Karosserie der teilnehmenden Gefährte aus einer Serienproduktion stammen muss. Was in und um das Chassis allerdings ein- und aufgebaut wird, ist Sache der Ingenieure.
Und so feilen Mitsubishis Entwickler und Designer daran, die eher schmucklose Karosserie eines Mitsubishi-Lancers zum Rallye-Gefährt hochzurüsten. In der Regel wird dafür alles vom Motor über die Reifen bis hin zum Tank und Innenleben selbst entwickelt und eigens angefertigt.
Abteilungen greifen auf eine PLM-Suite zu
Bis vor vier Jahren musste das Team dabei mit unterschiedlichen Anwendungen arbeiten: Designer und Materialtester beispielsweise konnten sich im Entstehungsprozess kaum abstimmen, mussten auf fertig produzierte Teile warten, um deren Belastbarkeit zu prüfen. Mittlerweile greifen die einzelnen Abteilungen auf eine integrierte PLM-Suite des Anbieters PTC zu: "Heute können wir die Fahrzeuge zu 100 Prozent am Rechner designen", berichtet Paul Doe, Chef-Designer bei Mitsubishis Rallye-Sparte.
Design-Daten werden an die Materialtester geschickt, die dann an ihren Rechnern Belastbarkeitstest simulieren und gegebenenfalls weiter optimieren. Aus dem System gehen die Daten auch zur Fertigung nach Japan, die die Teile als Sonderanfertigungen produziert. Gleichzeitig kann die Qualitätskontrolle auf die Produktionsdaten zugreifen und ihre Test-Roboter programmieren: Treffen die neu gefertigten Bestandteile in Birmingham ein, beginnen die Techniker sofort mit der Qualitätskontrolle.
Insgesamt konnte so die Entwicklungsdauer der neuen Fahrzeuge um ein Drittel reduziert werden. Pro Jahr entstehen mittlerweile 14 komplett neue Fahrzeuge in Birmingham.
ERP-Systeme an der Grenze des Optimierbaren
Auf solche Effizienzsteigerungen hoffen immer mehr Unternehmen der herstellenden Industrie. Nachdem viele Betriebe ihre ERP-Systeme bereits bis an die Grenze des Machbaren optimiert haben, konzentrieren sie sich nun auf den Prozess der Produktentwicklung, berichtet Frank Klingelhöfer vom Münchner IT-Dienstleister Highq-IT.
Vor allem Großunternehmen aus der Automobilbranche und dem Maschinenbau haben dabei längst PLM-Systeme im Einsatz. Denn prinzipiell ist PLM eine Erweiterung des bekannten Engineering Data Managements (EDM), der Verwaltung von CAD-Daten, die im Konstruktionsprozess anfallen. Nach und nach wurde der Einsatzbereich dieser Lösungen über den reinen Konstruktionsprozess ausgeweitet, umfasste die gesamten Produktdaten - Product Data Management (PDM) - bis schließlich der Begriff Product Lifecycle Management geboren war.
Vor allem die großen Akteure im Markt, sie haben ihren Ursprung meist im CAD-Segment, versuchen nun den gesamten Produktzyklus mit ihren Lösungen abzubilden. Von der Konstruktion über die Produktion bis hin zur Kopplung mit der Marktperformance im Rahmen des so genannten Customer Needs Management (CDM).
"PLM reicht heute weit über die Konstruktion hinaus“, sagt Frank Klingelhöfer. "Die Firmen wollen Lösungen, mit denen sie Prozesse und Produktänderungen über den gesamten Lebenszyklus verwalten und umsetzen können. Sie suchen Systeme zum Knowledge-Management und zur Kopplung an das Feedback vom Markt.“
PLM-Anbieter versuchen im ERP-Segment Fuß zu fassen
Die bisherige Trennung zwischen Konstruktions- und Produktionsdaten, die meist in ERP-Systemen verwaltet werden, wird aufgeweicht. "Die PLM-Anbieter versuchen in traditionellen ERP-Bereichen Fuß zu fassen“, fasst Frank Klingelhöfer zusammen. Aber auch die ERP-Spezialisten versuchen sich ihren Teil vom Kuchen zu sichern. So konnte sich SAP im PDM-Segment neben traditionellen PLM-Spezialisten wie UGS, Dassault oder PTC etablieren.
Für die Anbieter stellt PLM einen verlockenden Wachstumsmarkt dar: Die Nachfrage steigt zum einen innerhalb einzelner Branchen, wie den Automobilherstellern. Die großen Hersteller versuchen ihre über Jahre gewachsenen, oft heterogenen PLM-Systeme zu integrieren. Zulieferer, denen immer größere Teile der Wertschöpfungskette überantwortet werden, geraten unter Druck PLM-Systeme passend zu denen ihrer Kunden aufzubauen.
PLM wächst über Autobranche hinaus
Zum anderen fragen aber auch andere Segmente der herstellenden Industrie verstärkt PLM-Lösungen nach, etwa die Pharmabranche. Um eine Zulassung für Medikamente in den USA zu erhalten, müssen die Pharmafirmen spezielle Compliance-Vorschriften hinsichtlich Produktion, Dokumentation und IT-Systemen erfüllen. Immer mehr Firmen entwickeln dafür eigene PLM-Strategien.
Auch die Textilbranche mit ihren globalisierten Fertigungsstrukturen versucht Produktentstehung und Marktperformance immer besser zu koppeln und Produktzyklen zu verkürzen. "Adidas arbeitet zurzeit ganz stark daran, seine PLM-Strategie zu erweitern und zu verbessern“, berichtet Klingelhöfer. Das zeige, dass PLM bereits über den rein mechanischen Konstruktionsbereich hinausgewachsen sei.