Die Hauptmotivation von europäischen Unternehmen, sich für Near- oder Offshoring zu entscheiden, hat sich seit längerem nicht verändert. Einerseits versprechen sich die Firmen Kosteneinsparungen gegenüber inländischen Dienstleistern. Andererseits sollen durch den Zugriff auf Ressourcen im Ausland eine erhöhte Flexibilität und verbesserte "Time-to-market"-Bedingungen erreicht werden.
Die Kostenvorteile der Offshore-Anbieter basieren vor allem auf geringeren Personalausgaben. Ein Vergleich der "daily blended rates“ zwischen indischen Anbietern und klassischen External Service Providern (ESP) zeigt beispielsweise für das Applikations-Management Einsparungen bei den Personalkosten von 50 bis 65 Prozent. In die "daily blended rates" wurden dabei die notwendigen Onsite-Aktivitäten beim Offshoring (zwischen 25 und 35 Prozent der Gesamtaktivitäten sowie die Reise- und Nebenkosten einbezogen.
Den reduzierten Ausgaben beim Offshoring stehen jedoch zusätzliche Kosten für Steuerung, Kommunikation, Qualitätssicherung und Restrukturierungsaufwendungen in der eigenen Organisation gegenüber. Bei Einbeziehung dieser Faktoren reduzieren sich die Einsparungen beim Applikations-Outsourcing auf zehn bis 35 Prozent.
Anbietermodelle im Überblick
Der Markt der internationalen Anbieter für Offshoring Services lässt sich in die klassischen IT-Serviceanbieter (ESP) und die reinen Offshore-Anbieter (Offshore-ESP) aufteilen. Bei vergleichbaren Leistungen unterscheiden sich die Dienstleister vor allem durch die Geschäftsmodelle, die Unternehmenssteuerung sowie durch das Herkunftsland.
Klassische ESPs (Accenture, EDS, IBM) steuern ihr Unternehmen aus Zentralen mit Standorten in den Ländern, in denen auch ein Großteil ihrer Kunden beheimatet ist. Große Offshore-Anbieter (Infosys, TCS, Wipro) führen ihre Firma zentral aus dem Heimatland. Ihr Personal beziehen sie überwiegend aus dieser Region, um die Lohnkostenvorteile auszuschöpfen. Lediglich Vertriebs- und Beratungskompetenz sowie Ressourcen für die notwendige Administration vor Ort werden in den Kundenländern aufgebaut.
Sowohl die klassischen als auch die Offshore ESPs reduzieren ihre Personalkosten durch globale Liefermodelle. Neben reduzierten Kosten und höherer Flexibilität sind aber insbesondere drei weitere Schlüsselfaktoren für die Wettbewerbsfähigkeit der Anbieter notwendig:
-
Operational Capabilities
Dabei bilden Industriestandards, wie zum Beispiel das Capability-Maturity-Modell (CMM) des Carnegie Mellon Software Engineering Institutes die Basis. Hier geht es hauptsächlich darum die Software-Entwicklungsprozesse zu verbessern. Die sichtbaren Vorteile liegen vor allem in einer genaueren Abschätzung der benötigten Ressourcen, wie Zeit, Personal und Budget. Ein Nachbearbeiten von Aufträgen soll minimal gehalten werden. Weiterhin soll die Wiederverwendbarkeit von älterer Software gesteigert werden.
Für die Operational Capabilities werden zusätzlich globale Infrastrukturen und Toolsets, die eine Zusammenarbeit der internationalen Arbeitskräfte unterstützen, benötigt.
-
Industry/Business Process Capabilities
Verständnis und Know-how von Geschäftsprozessen in den Branchen und Märkten der Kunden bauen die Anbieter mit erfahrenen Mitarbeitern, starker Führung und in der Praxis erprobten Lösungen auf.
-
Relationship Alignment
Dieser Faktor beleuchtet die Punkte Vertrauen, Kontrolle und Risikoverteilung in einer Kundenbeziehung. Beim Offshoring spielen dabei vor allem die Kommunikationsfähigkeiten des Anbieters sowie die Verknüpfung der Firmenkulturen eine Rolle.
Schwächen der Anbieter
Kein einziger Anbieter zeigt im Augenblick ausreichend Stärke in allen drei Faktoren. Insbesondere die Offshore ESPs weisen Schwächen in der Process Capability und im Relationship Alignment auf. Allerdings versuchen sie diese Punkte, durch den Ausbau ihrer Niederlassungen in den Kundenmärkten zu stärken. Über diesen Weg sollen Sprachbarrieren und Hemmungen der Europäer abgebaut werden.
Die klassischen ESPs zeigen im Vergleich zu den reinen Offshore-ESPs deutliche Schwächen im Reifegrad der Prozesse und der Geschäftsabwicklung, die bislang durch die geografische Kundennähe relativiert wurden. Mit der Verlagerung der Produktion in Billiglohn-Länder und der standortübergreifenden Zusammenarbeit entwickelt sich dieser Faktor jedoch zum entscheidenden Erfolgskriterium für die klassischen ESPs.
Die Studie "Marktsituation und Handlungsoptionen zum Near- und Offshoring" entstand in Zusammenarbeit der Unternehmensberatung Navisco mit der Universität Mannheim. Neben zahlreichen Untersuchungen internationaler Marktforscher wurden 25 Unternehmen mit Erfahrungen beim Offshoring direkt befragt. Zusätzlich wurden Interviews mit den in Deutschland stark vertretenen Offshoring-Anbietern geführt.