Fachkräftemangel

Firmen vergraulen IT-Frauen

16.09.2008 von Nicolas Zeitler
IT-Karrieren von Frauen haben noch immer Seltenheitswert. Viele steigen nach einigen Berufsjahren wieder aus. Um dem Mangel an IT-Fachkräften gegenzusteuern, müssen Firmen ihre männliche und teils feindselige Kultur abschaffen.
Die IT-Branche kann auf Frauen nicht verzichten. Doch viele fühlen sich in der männlich dominierten Umgebung noch immer unwohl.

Der Frauenanteil in der IT-Branche ist nach wie vor gering. Über die Ursachen wird rege diskutiert, doch ein probates Mittel, etwas an diesem Zustand zu ändern, ist bislang nicht gefunden. Dass so wenige Frauen den Weg in die Informationstechnologie finden oder viele nach einigen Berufsjahren wieder aussteigen, könnte den Mangel an Fachkräften künftig noch verschärfen. Fest steht laut einem Artikel der Online-Ausgabe von IT World Canada indes eines: Nicht die Frauen müssen sich ändern, sondern die Rahmenbedingungen in der Branche.

Mehr als die Hälfte der Frauen in der Wissenschaft, im Ingenieurwesen oder der Technologiebranche scheiden nach einiger Zeit wieder aus dieser Arbeit aus, wie eine in der Harvard Business Review unlängst veröffentlichte Studie zeigt. Die meisten kündigen demnach im Alter von Mitte Dreißig.

Die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist offenbar längst nicht die einzige Ursache. Viele Frauen nehmen die Kultur in Technologiefirmen auch als stark männlich geprägt und sogar feindselig gegenüber Frauen wahr, anderen fehlt eine Perspektive für den Aufstieg. Mangelnde Hingabe an die Arbeit und Karriere sei hingegen kein Grund für den Rückzug, wie Jenny Slade vom kanadischen Zentrum für Frauen und IT betont. "Die meisten gehen, weil sie ihre Tätigkeit als nicht verträglich mit der Umgebung ansehen, in der sie arbeiten müssen", sagt Slade.

Die Folge: Den Unternehmen gehen viele gut ausgebildete Fachkräfte und deren Innovationsstärke durch die Lappen. Den Exodus der Frauen um ein Viertel einzudämmen, würde dem US-amerikanischen IT-Arbeitsmarkt allein 200.000 weibliche Fachkräfte bringen, rechnet Jenny Slade vor.

Dass Frauen grundsätzlich Dünkel vor den harten Naturwissenschaften haben, kann beim Blick auf Zahlen nur mehr als Mär gelten: Die Hälfte aller Mathematik-Studienabschlüsse in den USA erwerben Frauen, bei Chemie und Biologie liegt ihr Anteil sogar noch höher.

Tanzwettbewerb mit Robotern

Dass Frauen dagegen vor der Informatik zurückschreckten, liege daran, wie diese Fachrichtung daherkomme, mein Fachfrau Slade: Seit fast 30 Jahren habe sich an der Art, wie das Fach gelehrt werde, kaum etwas geändert. Eine Frau könne sich in diesem Umfeld gar nicht wohlfühlen.

Schon in frühem Alter müsse man Mädchen Computertechnik als etwas "Cooles" präsentieren. Diese Erfahrung hat die Mathematikerin und Informatikerin Deirdre Athaide bei ihrem Arbeitgeber IBM gemacht. Das Unternehmen veranstaltet jeden Sommer weltweit eigens Programme, die Mädchen für Informatik begeistern sollen. Bei dem letztjährigen Sommer-Lager in Toronto bauten die Teilnehmerinnen unter anderem kleine Roboter und ließen sie bei einem Tanzwettbewerb gegeneinander antreten. Von der verbreiteten Ansicht, Mädchen interessierten sich nicht für Computer sei dabei nichts zu spüren gewesen, erzählt Software-Fachfrau Athaide.

Informatiker-Klischees zertrümmern

Spielerisch konnten die Mädchen zum Beispiel auch lernen, wie ein Beschleunigungsmesser funktioniert. Erst bastelten sie selbst ein solches Gerät, dann testeten sie es beim Besuch in einem Freizeitpark in der Achterbahn. "In jungem Alter interessieren sie sich nicht dafür, was eine Programmiersprache ist, aber sie wollen wissen, was eine Programmiersprache mit Youtube zu tun hat", meint Athaide.

Wichtig ist es Athaide zufolge auch, die Mädchen vom typischen Erscheinungsbild eines Informatikers zu lösen. "Nur weil sich eine für Technologien interessiert, muss sie noch lange nicht aussehen wie ein Nerd", meint die Informatikerin. Deshalb würden den Teilnehmerinnen der Sommer-Camps von IBM auch ganz verschiedene Rollenmodelle vor Augen geführt.

Mitte der 1980er Jahre waren noch 40 Prozent der Informatikstudenten Frauen. Seither ist der Anteil deutlich gesunken. "Die gesamte Informatikbranche hat ihren Glanz verloren", sagt Telle Whitney, Geschäftsführerin des Anita-Borg-Instituts, das mehr Frauen für technische Berufe interessieren will. Schülerinnen nähmen Informatik als etwas für Freaks wahr. Whitney zufolge müsse man ihnen stärker zeigen, was diese Wissenschaft auf der Welt Gutes bewirken könne.

Weniger Selbstvertrauen

Mehrere Untersuchungen zeigen, dass viele Mädchen sich auch dann nicht für ein mathematisches oder naturwissenschaftliches Studium entscheiden, wenn sie es von ihren fachlichen Begabungen her meistern könnten. Jungen auf ähnlichem Leistungsniveau schreckten davor viel seltener zurück. Mädchen trauten sich ein solches Studium seltener zu. "Das könnte daran liegen, dass sie in früher Kindheit zu selten dazu ermutigt werden", vermutet Whitney.

Bei einem von IBM gesponserten Programmier-Wettbewerb im April waren unter den 300 Teilnehmern in hundert Mannschaften denn auch nur fünf junge Frauen. Eine davon gehörte zum Team der Universität Waterloo unter der Leitung von Gordon Cormack. Eine Veranstaltung wie der Programmiermarathon könne nun einmal nur wenige Frauen begeistern, meint der Teamchef. "Frauen mögen auch Wettbewerbe, nur eben andere Arten als Männer", hat Cormack beobachtet.

Zu wenige Vorbilder

Cata Wit, ein Forum für Frauen in der Technologie, hat die Herausforderungen untersucht, die die Technologiebranche meistern muss, um auf Frauen anziehender zu wirken. Ergebnis: Derzeit gebe es dort zu wenige Aufstiegsmöglichkeiten, eine schlechte Ausgewogenheit zwischen Privat- und Berufsleben und auch viel zu wenige Vorbilder.

Der Rat für Informations- und Kommunikationstechnologie hat unlängst einen Bericht über eine Tagung mit weiblichen Führungskräften aus der Branche veröffentlicht, in dem das zuletzt genannte Problem ebenfalls angesprochen wird. Darin wird ein Aktionsplan aufgestellt. Im Herbst soll ein Mentorinnen-Programm übers Internet anlaufen. Außerdem soll ein Netzwerk entstehen, das Frauen, die bereits erfolgreich in der IT-Branche arbeiten, bekannter macht.

In Kanada besteht auf diesem Feld auch dringender Handlungsbedarf. 636.000 Menschen arbeiten dort derzeit in der IT, 89.000 Stellen in der Branche sind offen. Gleichzeitig haben die Einschreibungen in Informatik- und Ingenieurs-Studiengänge um 70 Prozent abgenommen. "52 Prozent unserer Bevölkerung sind Frauen", sagt Joanne Stanley vom Forum Cata Wit. "Die dürfen wir nicht alle als potenzielle IT-Arbeitskräfte verlieren."

Produkte gemischter Teams erfolgreicher

Zudem seien Studien zufolge Produkte von gemischtgeschlechtlichen Entwicklungs-Mannschaften auf dem Markt erfolgreicher, sagt Telle Whitney vom Anita-Borg-Institut. Eine US-Studie über Patente habe gezeigt, dass Erfindungen gemischter Teams bis zu 42 Prozent häufiger in anderen Publikationen zitiert würden als die reiner Männer-Teams.

Jenny Slade vom Zentrum für Frauen und IT wäre es indes am liebsten, ihr Institut würde irgendwann überflüssig. "Unser letztendliches Ziel ist es, uns selbst das Geschäft wegzunehmen", sagt sie. "Der Moment ist dann da, wenn es einmal ganz selbstverständlich ist, dass Frauen eine Technologie-Karriere einschlagen."