Es begann mit einem Aufruf auf Flickr und endete mit einem Flashmob, der Angela Merkels Wahlkampfauftritt in Hamburg mit ironischen, im Zehn-Sekunden-Takt skandierten "Yeaahh"-Rufen störte. Die Demonstranten hatten sich im Internet verabredet. Zunächst erschien der Schnappschuss eines CDU-Plakates, auf dem ein Unbekannter zur Yeaahh-Demo aufgerufen hatte, auf dem Bilderdienst Flickr. Mit Nercore und Spreeblick berichteten zwei populäre deutsche Blogs und über Twitter verbreitete sich die Nachricht weiter im Netz.
Angela Merkel hatte vor ihrem Auftritt von dem geplanten Flashmob gewusst. Die Webmonitoring-Agentur B.I.G, die in diesem Jahr zum ersten Mal den CDU-Wahlkampf online beobachtet und das Social Web nach relevanten Themen und politischen Stimmungen durchforstet, hatte die Kanzlerin rechtzeitig informiert. "Die CDU nutzt unseren Webmonitoring-Dienst derzeit hauptsächlich als Frühwarnsystem, also um sich über Themen zu informieren, die im Netz besprochen werden und um Stimmungen abzulesen", erklärt Anna-Maria Zahn von B.I.G. Die Zahl der Beiträge zum Thema "Yeaahh" sei vor der Flashmob-Aktion in Foren, Blogs oder bei Twitter stark gestiegen.
Die CDU entschied sich aber dafür, die Störenfriede zu ignorieren. Zunächst sieht es so aus, als sei die Entscheidung richtig gewesen. Denn tatsächlich folgten nur rund 30 Demonstranten dem Aufruf im Internet, um am 18. September bei der Veranstaltung Merkels in Hamburg aufzuschlagen. Keine große Zahl, verglichen mit den rund 2000 Zuhörern. Da die Flashmobber zusätzlich auch noch in den hintersten Reihen stehen, machen sie nicht so viel Lärm, wie sie es sich vielleicht versprochen hatten - zumindest nicht in der realen Welt.
Spiegel spricht von Flashmob-Terror
In der virtuellen Welt schlagen die Wellen wesentlich höher. Bekannte Blogs und Nachrichtenseiten wie sueddeutsche.de berichten, auf Wikipedia und Twitter wird heiß diskutiert und Spiegel Online stellt sogar die Frage, ob der "Flashmob-Terror" im Vorfeld von den Sicherheitsbehören hätte verhindert werden müssen. Fünf Tage nach seiner Einstellung wurde das YouTube-Video zum Flashmob rund 220.000 Mal aufgerufen. Diese Video-Aufnahme vermittelt den Eindruck, als wären die Demonstranten wesentlich zahlreicher gewesen als tatsächlich und als hätten sie Angela Merkel übertönt. Der Lautstärke der ironisch Jubelnden im Video nach zu urteilen, wähnt man sich auf einem SED-Parteitag vor 25 Jahren. Die virtuelle Bedeutung des Ereignisses geht also weit über die Bedeutung in der realen Welt hinaus. Und das sollte man nicht vernachlässigen. Denn die verzerrte Darstellung im Netz könnte Kreise ziehen und zum Beispiel andere Gruppen dazu animieren, weitere Flashmobs und ähnliche Störaktionen zu organisieren.
Welche Auswirkungen Ereignisse in der virtuellen Welt auf die reale haben und umgekehrt, lässt sich schwer voraussagen. Dennoch wollen die großen Parteien möglichst auch den Online-Wahlkampf im Griff behalten. Sie eifern Barack Obama nach, von dem behauptet wird, er habe die Wahl mithilfe des Internets gewonnen und warten mit brandneuen Internetauftritten auf, mit Blogauftritten, YouTube-Kanälen und Twitter-Seiten. Und sie lassen das Social Web von Webmonitoring-Diensten wie B.I.G. auf für den Wahlkampf relevante Beiträge hin durchforsten.
Mit Dashboards in den Wahlkampf
"Wir messen für die CDU das Beitragsaufkommen zu bestimmten politischen Themen, Parteien oder Personen und ermitteln dann die Tonalität der Artikel", erklärt Zahn. "Das heißt, wir berechnen, wie viele positive, negative oder neutrale Beiträge zu einem Thema publiziert werden und visualisieren über so genannte Cockpit oder Management-Dashboard die Trends. Ziel ist ein Frühwarnsystem, das der CDU ermöglicht, gezielt einzugreifen. So genannte Tag-Clouds (Themenwolken) zeigen relevante Aspekte zu bestimmten Themen auf. Will Frau Merkel zum Beispiel wissen, in welchem Zusammenhang negativ über sie berichtet wird, kann sie sich die Themen im Tages-, Wochen-, oder Monats-Trend darstellen lassen. Mithilfe einer gezielten PR-Maßnahme oder eines Beitrages in einem Forum oder Blog, könnte sie versuchen, das Ruder umzuschwenken.
Bisher haben vor allem große Unternehmen damit begonnen, Blogs, Foren, Newsgroups- oder Twitter-Seiten auf die für ihr Kerngeschäft relevanten Themen hin zu durchforsten. Sie wollen Trends erkennen, Meinungsführer und Mobber aufspüren, sowie wichtige Netzwerke aufdecken. Die Webmonitoring-Dienste kombinieren für diese mitunter anspruchsvolle Aufgabe eine Vielzahl von Methoden wie statistische und Textmining-Verfahren, Daten- oder Inhaltsanalysen. Mithilfe spezieller Metriken wird die Relevanz der Online-Quellen ermittelt, etwa wie sichtbar und vernetzt diese im Social Web sind. Doch die Analyse von unstrukturierten Daten aus dem Web 2.0 ist nicht einfach. Vor allem die semantische Datenanalyse, welche die Tonalität einzelner Beiträge maschinell und in großem Stil bewerten soll, steckt noch in den Kinderschuhen. Klar ist jedoch bereits jetzt, dass im Netz Politik gemacht wird und dass hier die ohnehin Internet-affinen Parteien die Nase vorn haben.
Im Netz machen die Piraten das Rennen
Einer Studie von B.I.G zufolge, hatte die Piratenpartei bei VZ, der mit fast 14 Millionen Nutzern größten Online-Community Deutschlands, zwei Monate vor der Wahl rund 38.000 Nutzer und war damit beliebter als SPD und Grüne zusammen. Beim Microblogging-Dienst Twitter sollen die Piraten mit 12.399 positiven Kommentaren sogar mehr Anhänger vereint haben, als alle derzeitigen Bundestagsfraktionen zusammen. Und laut einer Umfrage des Portals onlinewahlen.com kann die Piratenpartei im Vergleich mit anderen Kleinstparteien, den so genannten "Sonstigen", 96,5 Prozent der Stimmen für sich verbuchen.
Welche Auswirkungen die Interessen und Präferenzen aus der virtuellen Welt in der realen Welt haben, ist noch nicht klar. Der Flashmob in Hamburg hat aber gezeigt, dass man die Kraft, die das Social Web entwickeln kann, nicht unterschätzen sollte. Vielleicht sind wir nach dem Wahlergebnis vom Sonntag etwas schlauer.