Der strukturelle Fachkräftemangel in Deutschland hat sich durch die Krise nicht aufgelöst, sondern nur kurzfristig abgemildert. Die Arbeitslosenquote bei Ingenieuren und in der IT ist auf konstant niedrigem Niveau. Szenarien für die Zukunft gehen trotz Abwanderung von Aufgaben in Nearshore- und Offshore-Länder von einem chronischen und verschärften Fachkräftemangel aus.
Gleichzeitig wird eine hohe Sockelarbeitslosigkeit bei Menschen mit geringer Qualifikation prognostiziert. Eine echte Chance, den Fachkräftemangel in der IT mittelfristig zu mildern, ist ein steigender Anteil von Frauen, die sich beispielsweise für eine Karriere als IT-Berater entscheiden und einen der geeigneten Studiengänge wählen.
Stand 2010 haben 41 Prozent der IT-Berater der von der Lünendonk GmbH jährlich analysierten führenden IT-Beratungs- und Systemintegrations-Unternehmen in Deutschland Informatik studiert, 18 Prozent sind Wirtschaftswissenschaftler. Weitere 15 Prozent sind Ingenieure, 10 Prozent der Berater haben Naturwissenschaften studiert, 16 Prozent haben eine sonstige Ausbildung.
Die Voraussetzungen für mehr Frauen in der IT sind durchaus gegeben. So hat sich die Zahl der Frauen unter den Studienanfängern in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) deutlich erhöht. Bei den Erstsemestern stieg die Zahl der männlichen Studenten im Jahr 2008 um 11,3 Prozent, bei den Frauen waren es 21 Prozent mehr. Die Entwicklung im Zeitraum von 2006 bis 2008 zeigt einen Anstieg bei den Frauen um 30 Prozent.
Im Jahr 2008 studierten insgesamt 6432 Frauen im 1. Fachsemester Informatik. Das sind nach Angaben des Nationalen Paktes für Frauen in MINT-Berufen, der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung getragen wird, 18,6 Prozent der Informatikstudenten. Das Niveau liegt damit nur unwesentlich über der aktuellen Verteilung zwischen Frauen und Männern bei den IT-Beratern der führenden Anbieter-Unternehmen in Deutschland. Es bewegt sich etwas, es gibt also noch viel "Luft nach oben".
Welche Chancen und Argumente sprechen für eine Karriere als IT-Berater und die Arbeit bei einem Beratungs-Unternehmen? Junge Menschen, die nach dem Studium die ersten Berufserfahrungen sammeln, profitieren durch die Einsätze in verschiedenen Teams und Kunden-Unternehmen erheblich. Sie erhalten Einblick in unterschiedliche Unternehmenskulturen, Abläufe und Organisationsformen sowie oft auch in verschiedene Branchen. Doch auch in der folgenden Phase der Familienplanung, die bei Akademikerinnen etwa ab dem 30. bis 35. Lebensjahr beginnt, hat die IT-Beratung einiges zu bieten.
Flexibilität managen - eine Chance für Beratungsunternehmen
In vielen Berufen und Unternehmen ist die mangelnde Flexibilität der Tätigkeit nur schwer oder gar nicht mit der Kinderbetreuung vereinbar. Themen wie Präsenzpflicht oder starre Arbeitszeitmodelle erschweren die Berufstätigkeit von hochqualifizierten Müttern erheblich. Auf dieses Potenzial wird schon viel zu lange verzichtet.
Hier könnten IT-Beratungs-Unternehmen punkten und in der Zusammenarbeit mit den Kunden-Unternehmen Lösungen entwickeln. Denn die Vielfalt der Tätigkeiten als IT-Berater ist groß. Damit besteht nicht nur theoretisch die Möglichkeit, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Kaum ein anderes Berufsbild setzt die Zukunftstrends von Wissensberufen früher in tägliches Handeln um: Virtuelle Teamarbeit, ortsunabhängiges Arbeiten, Zugriff auf Unternehmensdaten von überall und damit beispielsweise auch von zu Hause. All das ist heute vielerorts Standard.
Mit sinkender Präsenzpflicht reduziert sich der Aufwand für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte - gleichzeitig steigt die verfügbare Netto-Arbeitszeit. In entsprechend abgebildeten Prozessen ist auch eine Arbeit in Zeitzonen-übergreifenden Teams möglich.
Fachkräftemangel der Zukunft
Doch auch, wenn die Präsenz vor Ort erforderlich ist, können Lösungen entwickelt werden. Zum Beispiel, wenn ein Kunden-Unternehmen auch die Kinder von externen Dienstleistern in der angeschlossenen oder geförderten Krippe aufnimmt oder deren Aufnahme aktiv fördert. Solche Veränderungen erfordern oft nicht viel Aufwand – aber eine höhere Priorität bei den Arbeitgebern und deren Kunden.
Einen Vorgeschmack darauf, wie sich der Fachkräftemangel der Zukunft anfühlen könnte, lieferte die Zeit zwischen 1998 und 2001, als der Dotcom-Boom die Gehälter in der IT explodieren ließ und die Unternehmen sich gegenseitig überboten mit Services für Ihre Mitarbeiter: Fitness-Studio, Wäsche-Services oder Job-Angebote für den Partner. Die Not machte erfinderisch.
Trotzdem wurde die Mitarbeiterbindung nicht erhöht. Unternehmen, die ihren Mitarbeitern - Männern wie Frauen - die Berufstätigkeit erleichtern und sie bei der Kinderbetreuung unterstützen, werden nicht nur als Arbeitgeber attraktiver. Sie dürften auch in Punkto Mitarbeiterbindung viel gewinnen.
Hartmut Lüerßen ist Partner bei der Lünendonk GmbH.