Kurz vor dem Verkaufsstart von Windows 8 gibt es für das so anders geratene jüngste Microsoft-Kind von Forrester Research ein durchaus gutes Horoskop. Analyst Frank E. Gillett lobt, dass der Monopolist der vergangenen Dekaden endlich die Zeichen der Zeit erkannt habe und einen mutigen neuen Weg gehe. Allerdings prognostiziert Forrester auch, dass es dauern wird, bis das neue touch-freundliche Betriebssystem wirklich durchstartet. Das sei frühestens 2014 der Fall – aber auch dann noch nicht unbedingt bei den Geschäftskunden. Den ein oder anderen Geburtsfehler und die ein oder andere zu überstehende Kinderkrankheit moniert Gillett außerdem.
Herausgefordert wurde Microsoft laut Forrester speziell durch zwei Großtrends: erstens die Verschiebung vom reinen PC-Markt zu einer Vielfalt an Gerätetypen – im Kern PCs, Smartphones und Tablets; zweitens durch die beginnende Verschiebung von geräte-spezifischen zu service-zentrierten Lösungen. „Das neue Windows ist eine originelle und beeindruckende Antwort auf neue Technologien und den Wettbewerb“, heißt es in der Studie. „Und es adressiert jene Verschiebungen bei den Innovationen und auf den Märkten, die Microsoft verschlafen hat.“
Gleichwohl sind nach Einschätzung von Forrester die Zeiten der OS-Dominanz für Microsoft vorbei. Einst beherrschte der Riese aus Kalifornien 90 Prozent des Marktes. So hoch ist der Marktanteil laut Forrester immer noch, wenn man nur auf den PC-Markt schaut.
Trotz der stetigen, aber kleinen Verkaufszuwächse für die Macs aus dem Hause Apple bleibt das laut Forrester auch künftig so. Mit dem Aufkommen von Smartphones und Tablets sei der Windows-Anteil am Gesamtmarkt aber in diesem Jahr auf lediglich noch 30 Prozent gefallen, so Forrester. Dank Windows 8 werde es immerhin gelingen, den Verfall aufzuhalten und dieses Niveau zu halten.
30 Prozent Tablet-Markanteil bis 2016
Im Smartphone-Bereich werde Microsoft durch das neue Betriebssystem kleine, aber im Vergleich zur Konkurrenz nicht signifikante Fortschritte machen, heißt es weiter in der Studie. Besser sehe es für Microsoft aber im Tablet-Markt aus, auf dem man bisher effektiv keine Rolle spielte. „Windows 8 ist ein glaubwürdiges und originelles Tablet-OS, aber eine komplexe Hardware-Wahl und ein janusköpfiges User Experience werden ein anfängliches Durchstarten nach dem Launch im Oktober 2012 verhindern“, so Forrester. „Einer langsamen Adaptionskurve folgend, denken wir, dass Microsoft bis 2016 wahrscheinlich fast 30 Prozent Anteile an den Tablet-Verkäufen gewinnen wird.“
So werde der Gesamtanteil auch 2016 bei rund 30 Prozent liegen, weil das Plus bei den Tablets die Entwicklung bei den PCs nur kompensieren kann. Bei den PCs handelt es sich laut Forrester nicht um Verkaufsrückgänge: Absolut steigen die Umsätze, aber effektiv zeigt wegen der stärkeren Zuwächse bei Tablets und Smartphones der Trend nach unten. Die 30 Prozent scheinen aber eine Art magische Grenze für Windows zu sein: „Es kann nicht mehr wachsen ohne eine sehr viel größere Präsenz bei den Smartphones, als wir sie erwarten“, so Gillett.
Lob und Kritik für Windows 8
Weil Windows 8 – in einzigartigem Kontrast zu iOS von Apple und Android von Google mit ihrer Wechselbeziehung zwischen Smartphones und Tablets – so ein starkes Band zwischen PCs und Tablets knüpft, ohne in den Smartphone-Bereich zu stoßen, erwartet Forrester für 2016 ein Dreigestirn mit jeweils spezifischer Marktpräsenz.
Neben der Dominanz von Microsoft bei den PCs zu 90 Prozent werde Apple mit einem Anteil von 41 Prozent den Tablet-Markt anführen, während Android mit 60 Prozent die erste Geige bei den Smartphones spielen werde. „Und als Alleinstellungsmerkmal wird Apple starke Angebote und eine respektable Marktposition über alle drei Kategorien hinweg haben“, vermutet Forrester im Hinblick auf die beiden Standbeine iOS und Mac.
Inhaltlich ist Forresters Palette an Lob lang: Windows 8 spreche neue mobile Gerätetypen jenseits des PCs an und erlaube mit dem einst als „Metro“ bekannt gewordenen Interface User Experience (UX) Interaktion durch Berührung, Sprache und Gesten. Endlich gebe Microsoft eine Antwort auf die seit Jahren wachsende und gerühmte Mac-Nische und öffne sich gegenüber neuen Modellen zum Vertrieb und Einsatz von Apps sowie gegenüber neuen Programmiersprachen und Mobile Development-Ansätzen wie Java Script und HTML5.
Allerdings nennt Gillett auch eine Reihe von Problemen, die einer sofortigen Erfolgsstory im Weg stehen. Das beginnt bereits mit der Abschreckung, die das unvermeidlich zunächst geladene Touch-Interface und der fehlende Start-Button in der Desktop-Version für klassische PC-Nutzer bedeute. Die Kunden würden zusätzlich verwirrt durch ein inkonsistentes Input-Erlebnis für verschiedene Arten von Hardware. Je nach Gerät kommt beispielsweise mal eine Maus zum Einsatz und mal nicht.
Schwierig mache es Einsteigern auch, dass vier CPU-Architekturen zur Auswahl stehen. Beispielsweise unterstützten auf ARM basierende Windows RT-Tablets einige traditionelle Enterprise-Tools nicht, während Windows 8-Tablets der Laptop-Klasse nicht mit federleichtem Design und optimalen Batterielaufzeiten punkten könnten. Geräte mit den Prozessoren Intel Atom und AMD lägen zwischen diesen beiden Polen. „Kunden werden über diese Wahlmöglichkeiten und Tradeoffs erst einmal lernen müssen, was ihre Kaufentscheidungen herauszögern sowie Versuche in großen Unternehmen in die Länge ziehen wird“, heißt es in der Studie.
Anbieter brauchen ein Jahr für App-Entwicklung
Alles in allem werde sich Microsoft schwer tun, die Komplexität und den Facettenreichtum von Windows 8 auf die Schnelle zu kommunizieren. Außerdem werden laut Studie unabhängige Software-Anbieter ein Jahr brauchen, bis sie sich an die neuen Programmiervoraussetzungen gewöhnt haben und das Windows Store mit der gewünschten Fülle an Apps ausgestattet haben. Gillett weist hier darauf hin, dass es bislang auch noch keine Ankündigung für eine vollständige Windows 8 UX-Version von Office gebe.
Zudem würden sich die Hardware-Hersteller vermutlich bis Herbst 2013 Zeit lassen, ehe eine neue Geräte-Generation am Start ist. Neben einer abwartenden Haltung hinsichtlich der tatsächlichen Windows 8-Verkäufe werde die Zurückhaltung dadurch verschärft, dass auch auf die Verbesserungen beim Energieverbrauch und bei der Sensor-Integration durch die neuen Intel-Prozessoren mit Arbeitstitel „Haswell“ gewartet werde. Auf Kundenseite werde vermutlich recht rasch im Tablet-Segment zugegriffen, während in anderen Bereichen laut Forrester erst einmal Zurückhaltung herrschen sollte.
Anwender-Unternehmen halten sich zurück
Einige Unternehmen werden nach Einschätzung von Forrester ebenfalls Windows 8-Tablets ausprobieren. Ansonsten üben sich laut Studie auch hier die Anwender in Zurückhaltung. „Obwohl Forrester Firmen dazu ermuntert, für alle Anwendungsgebiete Windows 8 unter die Lupe zu nehmen, bereitet der neue Windows 8 UX-Startscreen den Unternehmen Sorgen wegen des Bedarfs an extensiven Mitarbeiterschulungen“, schreibt Gillett. Oftmals sei zudem noch die Migration auf Windows 7 in vollem Gange.
Zu den frühen Anwendern auf Firmenseite dürften laut Forrester jene Unternehmen zählen, deren Führungsebene vom iPad bislang noch nicht wirklich überzeugt ist. Hier seien Windows 8-Tablets sofort eine interessante Alternative. Im Smartphone-Bereich werde der Schub für Windows Phone 8 erst später kommen.
Alles in allem markiert Windows 8 nach Ansicht Forresters lediglich den Beginn einer Transformationsphase. Angesichts der einjährigen Upgrade-Frequenz, die Apple und Google für OS X und Chrome OS fahren, könne Microsoft seinen bisherigen Dreijahresrhythmus künftig kaum mehr aufrechterhalten. Mit Windows 9 sei deshalb bereits 2014 zu rechnen, und auch die Anwender müssten sich auf den beschleunigten Entwicklungszyklus einstellen.
Prognose: Office wird unabhängig von Windows angeboten
Ferner geht Gillett davon aus, dass Microsoft bald einen Weg finden werde, die Desktop-Version von Windows 8 vom Touch-Interface UX entkoppelt anzubieten. Für die traditionellere Kundenschicht brauche es nämlich einen Anreiz, damit diese von Windows 7 tatsächlich irgendwann umsatteln. Forrester rechnet außerdem damit, dass Office komplett unabhängig von Windows angeboten wird. Im Hardware-Bereich werde sich Microsoft nach dem Vorbild der Kooperation mit Nokia bei den Smartphones die Zusammenarbeit auf wenige Premium-Partner wie Lenovo und HP konzentrieren.
Weitere Informationen enthält die Studie „Windows: The Next Five Years“, die bei Forrester Research erhältlich ist.